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Polikliniken wird es noch in 20 Jahren geben

■ Interview mit Gesundheitssenator Peter Luther (CDU)/ »Den vielbeschworenen Zusammenbruch wird es im ambulanten Gesundheitswesen nicht geben«/ Polikliniken als soziales Modell für alternde Ärzte/ Garantie für Jüngere nur bis 1995

taz: Herr Luther, Sie sind in dieser Stadtregierung der einzige CDU- Senator aus dem Osten. Selbst Ihre Parteifreunde beklagen sich, daß sie sich in Ihrer knapp einjährigen Amtszeit nie zu Themen, die Ost- Berlin betreffen beziehungsweise über Ihr Fachgebiet hinausgingen, geäußert haben — im Gegensatz zu den Sozialdemokraten Christine Bergmann oder Thomas Krüger.

Peter Luther: Immer, wenn es nötig war, habe ich mich geäußert. Aber ich lege in der Tat mehr Wert darauf, Sachpolitik zu machen. Manchmal ist man natürlich gefordert, zusätzlich reine Ostthemen zu bearbeiten. Das habe ich gemacht, als die Charité in Gefahr geriet — und ich glaube, mit Erfolg. Ich glaube auch, daß sehr viele gesundheitspolitische Entscheidungen deshalb so getroffen wurden, weil der zuständige Senator aus dem Osten kommt.

Die Wähler im Ostteil scheinen das nicht zu honorieren.

Laut einer Umfrage im Oktober hat die CDU sogar rund drei Prozentpunkte im Osten zugelegt. Aber es ist auch klar, daß die Probleme im Osten nicht kleiner geworden sind. Gesundheitspolitisch wurden eine ganze Menge Dinge umgesetzt, die Ost-Priorität haben. Dafür habe ich gesorgt, auch wenn ich in vielen Dingen sogar Entscheidungen der eigenen Verwaltung korrigieren mußte. Zum Beispiel bei Investitionen in Krankenhäusern oder zeitlichen Vorstellungen, wenn es um die Bearbeitung bestimmter Themen ging.

Es macht der Spott die Runde, Ihrem Staatssekretär Orwat sei es egal gewesen, wer unter ihm Senator ist. Trifft Sie das?

Nein. Ich kenne diesen Spruch. Er ist reine Polemik von Leuten, die keine Sachargumente gegen unsere Politik haben. Wir haben eine eindeutige Arbeitsteilung. Wir sind sicher vom Typ her unterschiedlich, ergänzen uns aber — wie ich meine — sinnvoll. Jeder von uns beiden hat etwas, was der andere nicht hat. Ich denke, ich muß die »Sensibilität Ost« einbringen, das Tolerante und Ausgleichende. Er muß manche Dinge umsetzen, wo die andere Seite gefragt ist. Eines aber haben wir gemeinsam: die politische Zielplanung. Wenn wir die gemeinsam umsetzen, haben wir eine Menge im Gesundheitswesen erreicht.

Viele vermissen auch bei Ihnen die gesundheitspolitischen Erfolge. In Ost-Berlin gab es einmal 112 Polikliniken und Ambulatorien, lediglich 12 davon bleiben unter Trägerschaft des Senats erhalten. Die ÖTV befürchtet, daß rund 6.000 Arbeitnehmer ihren Job verlieren.

Beide Zahlen sind nicht ganz korrekt. Es gab nicht 112 Polikliniken, sondern 112 Einrichtungen, in denen ambulante Medizin betrieben wurde. Die Zahl der Polikliniken im eigentlichen Sinne war wesentlich kleiner. Richtig ist, daß wir zwölf der größeren Einrichtungen in die Trägerschaft des Senats übernehmen, um überhaupt die poliklinische Idee zu erhalten und zu sehen, ob das nicht eine sinnvolle Ergänzung zum niedergelassenen Arzt ist. Inzwischen haben sich ja 70 Prozent aller früher im ambulanten Gesundheitswesen tätigen Ärzte niedergelassen. Zur Zahl »6.000 Arbeitnehmer«: Das ist die Gesamtzahl aller derzeit im ambulanten Gesundheitswesen Beschäftigten. Davon werden voraussichtlich etwa 3.000 nicht weiterbeschäftigt werden können. Wir sind jetzt dabei, viele Mitarbeiter über ABM-Stellen abzusichern...

Was heißt viele?

Knapp 1.000 ABM-Stellen sind noch nicht vergeben. Davon können gut und gerne — es muß natürlich auch die fachliche Qualifikation stimmen — 700 Stellen von Beschäftigten der Polikliniken besetzt werden. Es wird natürlich Entlassungen geben. Aber wir bieten auch Umschulungsmaßnahmen an. Hier sind von 500 Plätzen bislang lediglich 40 angenommen worden.

Wenn in den Polikliniken — wie von Ihnen geplant — nur noch Ärzte über 50 angestellt werden und jüngere Ärzte gezwungen sind, sich selbständig niederzulassen, sind die Kliniken dann nicht von vornherein zum Aussterben verurteilt?

Diese Entscheidung ist aus rein sozialpolitischen Gesichtspunkten gefällt worden. Für die über 50jährigen, die genau wissen, daß sie sich nicht niederlassen können, mußten wir ein Modell finden, wie sie ihre Leistungen weiter einbringen können. Und das geht eben nur, wenn wir solche Polikliniken in der Regie des Senats belassen.

Jedenfalls vorerst...

Ich bin froh, wenn ich diese Einrichtungen erst einmal erhalten kann. Ich rechne es als Erfolg, daß wir es in Berlin geschafft haben, überhaupt Polikliniken zu erhalten. In allen anderen ostdeutschen Bundesländern — ausgenommen Brandenburg, wo es noch unsicher ist — ist das nicht gelungen.

Glauben Sie, daß es in Berlin auch in 20 Jahren noch Polikliniken geben wird?

Also, ich persönlich bin sicher, daß es solche Einrichtungen geben wird. Und deswegen kämpfe ich auch dafür, diese Strukturen jetzt erst einmal gesetzmäßig zu sichern.

Nach Umfragen halten 85 Prozent aller Bürger in Ostdeutschland die Poliklinik für eine unbedingt erhaltenswerte Einrichtung. Warum war es unter diesen Voraussetzungen eigentlich so schwierig, ihren Erhalt durchzusetzen?

Nur mit dieser Zustimmung im Rücken haben wir es überhaupt geschafft. Wir erhalten zwölf in der Trägerschaft und mindestens die gleiche Zahl unter bezirklicher Regie. Es wäre leichter gewesen, wenn die Bezirke im Sommer dem Senat die Regie überlassen hätten. Dort aber hat man sich auf die bezirklichen Kompetenzen berufen. Ansonsten hätte der Senat 19 Polikliniken in die Trägerschaft übernehmen können. Günstiger wäre auch gewesen, wenn die Polikliniken sich nicht in vielen Fällen uneins gewesen wären, was sie wollten: angestellt bleiben oder niederlassen.

Mit dem Abbau der Polikliniken wird die ambulante Versorgung reduziert. Wie sollen die daraus resultierenden Lücken gefüllt werden?

70 Prozent der Ärzte aus den poliklinischen Einrichtungen haben sich bereits niedergelassen. Das sind rund 1.000 Ärzte und 700 Zahnärzte. Darüber hinaus gibt es die Trägergesellschaft, bezirkliche Polikliniken und drei Einrichtungen ohne Begrenzung, in denen auch Ärzte eingestellt werden können, die jünger als 50 Jahre sind. Buch ist ein Beispiel. In Buch wollen wir eine große staatliche Poliklinik belassen. Garantieren können wir das allerdings nur bis 1995. Den vielbeschworenen Zusammenbruch wird es im ambulanten Gesundheitswesen also nicht geben. Auch die Stadträte sind dieser Ansicht.

Wäre Ihnen die Durchsetzung mancher gesundheitspolitischen Forderungen — wie der Erhalt der Polikliniken — vielleicht leichtergefallen, wenn Sie ein erfahrener Westpolitiker wären?

Wenn ich ein erfahrener West- Profi gewesen wäre, würde es künftig vielleicht gar keine Poliklinik mehr geben. Interview: Martina Habersetzer

Hans-Martin Tillack

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