■ Naturbetontes Weltspektakel
: Ein herausgeputztes Sevilla erwartet die Besucher ab 20. April 1992 zur Weltausstellung. Ihr Motto mit Referenz an Columbus: "Das Zeitalter der Entdeckungen". Vom weltgrößten Parkplatz über einen sechzig Tonnen

Ein herausgeputztes Sevilla erwartet die Besucher ab 20. April 1992 zur Weltausstellung. Ihr Motto mit Referenz an Columbus: „Das Zeitalter der Entdeckungen“. Vom weltgrößten Parkplatz über einen sechzig Tonnen schweren Eisberg aus der Antarktis bis zum teuersten Metzger der Welt erwarten den Besucher unzählige Superlative.

VONMATTILIESKE

Würde Christoph Columbus heute, fünfhundert Jahre nachdem er seinen vorwitzigen Entdeckerfuß auf amerikanischen Boden setzte, in sein geliebtes Sevilla zurückkehren, er würde vermutlich nur noch die Giralda, den schmucken Turm des maurischen Kalifen Almanzor, Wahrzeichen der Stadt am Guadalquivir, wiedererkennen. Basses Erstaunen befiele den seetüchtigen Genueser, wenn er nach alter Gewohnheit Santa Maria de las Cuevas aufsuchen würde, jenes Kartäuserkloster, in dem er einst Navigation studierte, um auch ganz sicher den Seeweg nach Indien zu finden. „La Cartuja“, auf einer Insel im Flusse Guadalquivir gelegen, war auch eine der erste der nicht allzu ewigen Ruhestätten des Entdeckers, welcher nach seinem Tode ähnlich viel in der Welt herumkam wie vorher. Columbus starb am 20. Mai 1506 in Valladolid, wurde 1509 in Santa Maria de las Cuevas bestattet, 1539 ausgebuddelt und nach Santo Domingo verfrachtet, wo er 1544 ankam, um später wieder nach Sevilla verschleppt zu werden. In der Kathedrale soll der reiselustige Leichnam bislang endgültig vor Anker gegangen sein.

La Cartuja wurde danach von Erdbeben, Hurrikans, regelmäßigen Überschwemmungen und dem Engländer Pickman, der sie im 19. Jahrhundert in eine Keramikfabrik umfunktionierte, übel mitgespielt. Erst jetzt, nachdem eine Flußregulierung die Überschwemmungsgefahr gebannt hat, feiert die Insel, von deren Existenz die meisten Bürger Sevillas keine Ahnung hatten, weil sie durch eine hohe Mauer, die den Guadalquivir von der Stadt trennte, den Blicken entzogen war, ein glanzvolles Comeback. Sie wurde zum Schauplatz der Expo '92 erwählt, der letzten universalen Weltausstellung dieses Jahrhunderts. Auf einer Fläche von 215 Hektar werden sich vom 20. April bis zum 12. Oktober nächsten Jahres 110 Länder mit den abstrusesten Attraktionen zu überbieten suchen, ihre erlesensten Kunstwerke ausstellen und ihre herausragendsten Künstler entsenden, um den prognostizierten vierzig Millionen Besuchern die Welt zur Insel zu machen.

Etwas Großes passiert mit Sevilla

Sevillas Bewohner waren anfangs alles andere als begeistert von der Idee ihrer ehrgeizigen Stadtväter. „Was sollen wir mit diesem Quatsch“, war die fast einhellige Ansicht. Als die Dinge jedoch langsam Gestalt annahmen, änderte sich die Stimmung allmählich. „Sie merkten, daß hier etwas Großes passiert“, erzählt Maria Cisneros vom Pressezentrum der Expo. „Für Sevilla war die Expo nur ein Vorwand, endlich Dinge zu verwirklichen, die schon lange fällig waren.“ Bis dahin sei Andalusien Spaniens Stiefkind gewesen. „Alles Geld ging nach Katalonien“, klagt Maria, „wir sahen nicht eine Peseta.“

Runde 20 Milliarden Mark werden insgesamt für die Expo '92 ausgegeben, ein großer Teil davon floß in die Restaurierung und Modernisierung Sevillas. Ein neuer Flughafen und ein neuer Bahnhof in futuristischem Design, ein Superzug, der die Strecke Madrid-Sevilla auf drei Stunden verkürzt und direkt bis zum Expo-Gelände fährt, sowie neue Autobahnen erleichtern den Zugang zur Stadt. Sieben neue Brücken überqueren den Fluß. Vorher gab es lediglich vier, der Weg zum andern Ufer war oft lang und beschwerlich. Die Altstadt erhielt Fußgängerzonen, historische Fassaden werden gesäubert und herausgeputzt, und zum erstenmal in seiner Geschichte bekam Sevilla ein Opernhaus, das Teatro La Maestranza, in dem sich während der Expo die Caballés, Domingos und Carreras' die Klinke zur Bühne in die Hand geben werden.

Die Kehrseite der Metropolisierung

Der größte Coup war jedoch die Rückgewinnung des Guadalquivir. Wie in Barcelona entstand die moderne Struktur Sevillas zu einer Zeit, die eher von ökonomischen denn ästhetischen Erwägungen geprägt war. Die Hauptverkehrsader war der Guadalquivir, logisch, daß die Bahnlinien direkt am Fluß zu verlaufen hatten. So war Sevilla durch ein breites, häßliches, staubiges, von Zügen und Lastwagen beherrschtes Brachland vom Wasser abgetrennt. Inzwischen sind Gleise und Bahnhöfe jedoch, ebenso wie die monströse Ufermauer, verschwunden, an ihrer Stelle entstand eine palmengesäumte Promenade mit Bänken, Bootsanlegestellen und Terrassencafés, in die der ruhebedürftige Spaziergänger, wie ein Schild verrät, auch einkehren darf, wenn er nichts konsumieren will — bei den geharnischten Preisen eine wahrhaft volksfreundliche Geste.

Die Preise sind ohnehin das dunkelste Kapitel der Metropolisierung Sevillas. Wie im olympischen Barcelona war die unbestrittene Verschönerung der Stadt mit einer massiven Steigerung der Lebenshaltungskosten, insbesondere der Mieten, verbunden. Dennoch ist die Kritik am Mammutprojekt Expo gering geworden, die Neugier um so größer. An den Sonntagen, wenn das Gelände, auf dem an Wochentagen 7.000 Arbeiter emsig werkeln, zur Besichtigung freigegeben wird, machen sich teilweise 150.000 Sevillanerinnen und Sevillaner auf den Weg zur Cartuja, die nicht mehr als fünfzehn Minuten Fußweg vom Zentrum entfernt liegt, und begutachten die Bauten, die langsam ihre endgültige und oft recht merkwürdige Gestalt annehmen.

1851 fand im Londoner Crystal Palace die erste jener Ausstellungen statt, die fortan unter solch blumigen Slogans wie „Eine humanere Welt“ (Brüssel 1958), „Der Mensch und seine Welt“ (Montreal 1967) und zuletzt „Fortschritt und die Harmonie der Menschheit“ (Osaka 1970) ausgetragen wurden und der Welt den Eiffelturm von Paris, das Atomium von Brüssel und die Riesenskulptur Joan Mirós in Osaka bescherten. Sevilla '92 steht im Zeichen des, wie sollte es anders sein, „Zeitalter der Entdeckungen“, ein dubioses Motto, das vor allem bei den Leidtragenden der europäischen Expansion nach Westen nicht gerade Begeisterung hervorruft. Bereits Columbus selbst und vor allem seine zahlreichen Epigonen sorgten jedoch dafür, daß kaum genug Ureinwohner übrigblieben, um die schamlose Festlichkeit nachhaltig zu gefährden. Ein Aufgebot von 100.000 Polizisten soll dafür sorgen, daß den zahlreichen Staatsoberhäuptern und Ehrengästen, die das spanische Königspaar in seinem Domizil, dem alten Kartäuserkloster des Columbus, erwartet, zum fünfhundertsten Jahrestag der Entdeckung ein ähnliches Schicksal wie das der Entdeckten erspart bleibt.

Parkplatz der Superlative für den Besuch der Idylle

Diese erlesenen Besucher brauchen natürlich nicht den Weg des Normalsterblichen zu gehen, um das Gelände der Weltausstellung zu erreichen. Sie dürfen mit dem Hubschrauber auf einem eigens angelegten Heliport direkt neben dem Kloster einschweben. Die restlichen 250.000 alltäglich erwarteten Schaulustigen können sich per Boot, Schwebebahn, mit dem Zug, zu Fuß oder natürlich mit dem Auto einfinden. Letzteren steht — einer von vielen Superlativen — der größte Parkplatz der Welt zur Verfügung, der 40.000 Personenwagen und 1.100 Bussen Platz bietet. Für eine Weltausstellung des ausgehenden 20. Jahrhunderts ließe sich wohl kaum ein angemesseneres Entree ersinnen.

Ansonsten jedoch sind die Aussteller peinlich bedacht, die heutige Welt als wahre Idylle zu präsentieren, als friedlichen und beschaulichen Ort, ein Garten Eden vor dem Sündenfall, geprägt von saftigem Grün, einer blühenden Vegetation, kleinen Wasserfällen, plätschernden Springbrunnen, rauschenden Bächlein, einem großen See und ebenso blödsinnigen wie neckischen Ausstellungsstücken. Vorbei die Zeiten, als bei derartigen Ausstellungen die Wunder der Technik im Vordergrund standen, als sich der globale Fortschritt in Pferdestärken und Kilowatt messen ließ. In Sevilla regiert die Natur. Die ehemals vollständig brachliegende Insel wurde mit 350.000 Bäumen bepflanzt, opulente Gärten bestimmen das Bild, und die höllischen Temperaturen des andalusischen Sommers sollen mit Unmengen von Wasser bekämpft werden. Ein Großteil des Areals wird von Zeltdächern und begrünten Pergolen überschattet, doch das Prunkstück der von der thermotechnischen Fakultät der Universität Sevilla ausgeklügelten Maßnahmen, die die Temperatur auf La Cartuja drei Grad niedriger halten sollen als im Stadtzentrum, ist die Avenida de Europa, wo zwölf Kühltürme von 30 Meter Höhe einen hauchfeinen Sprühregen erzeugen.

Eitel Sonnenschein: Die Welt lädt ein

Auch die einzelnen Länder setzen in ihren Pavillons mit Vorliebe auf Naturschönheiten. Würde Kolumbus die Expo '92 besuchen, er wäre entzückt, was aus dieser Erde geworden ist, zu deren Umgestaltung er vor fünfhundert Jahren kein geringes Scherflein beigetragen hat. Eine Welt in Harmonie und frei von Harm, allenthalben eitel Sonnenschein, Zwist, Hader und Zerstörung scheinen so fern wie der Andromeda-Nebel. Die arabischen Staaten kommen nicht etwa zeitgemäß mit ausgebrannten Panzern, ein paar lodernden Bohrtürmen und Red Adair als Delegationsleiter, sondern mit Tonnen von Sand, den sie zu einer netten kleinen Wüste mit einer lieblichen Oase gestalten. Südamerika denkt keineswegs daran, die modernsten Motorsägen aus dem Regenwald vorzuführen, sondern pflanzt einen großen Garten mit zahllosen heimischen Pflanzen, die zum allerersten Mal ihre Wurzeln in europäischen Boden schlagen dürfen. Was kein Wunder ist; es waren, sieht man von Tobak und Kartoffeln ab, bekanntlich nicht Pflanzen, an denen die Konquistadoren interessiert waren, sondern „Schweiß und Blut der Indianer“, wie der Vizekönig Conde de Lemos im Jahre 1669 die Silber- und Goldladungen bezeichnete.

Chile schleppt sogar einen sechzig Tonnen schweren antarktischen Eisberg ins 40 Grad heiße Sevilla, eine Schnapsidee, der auch die Norweger anheimgefallen sind. Sie rücken mit einem 25 Meter hohen eisigen Torbogen an. Die Schweizer hingegen verzichteten auf ihr Vorhaben, einen 35 Meter hohen Turm aus Eis in den spanischen Sommer zu verfrachten, und errichten statt dessen ein 38 Meter hohes Gebilde aus Umweltpapier.

Mit einem Turm wollten anfangs auch die USA auftrumpfen, dem — Achtung: Superlativ! — höchsten der Welt selbstredend. 649,83 Meter sollte das Monstrum emporragen, siebenmal so hoch wie Almanzors Giralda. Aber ach, es fehlte an Dollars, das ambitiöse Projekt wurde gestoppt, zum Trost gibt es nun die ersten zehn Originalseiten der Verfassung. Wenn das zugehörige Gebäude fertigwerden sollte. Ausgerechnet

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die USA nämlich wurden zum „running gag“ der Expo, weil sie mit den Baumaßnahmen schwer in Verzug gerieten. Die „mächtigste Nation der Erde hat weniger getan, um sich auf die letzte Weltausstellung des 20. Jahrhunderts vorzubereiten, als Monaco“, höhnte die 'New York Times‘. Ein etwas unfairer Vergleich, denn die nicht gerade pauperisierten Monegassen legen sich mächtig ins Zeug und brillieren mit einem gigantischen Aquarium.

Skurrile Ideen — gewagte Symbole

Ein ziemlich kunterbuntes Bild werden die verschiedenen Pavillons abgeben, bei deren Entwurf sich die renommiertesten Architekten der einzelnen Länder an skurrilen Ideen — und natürlich Superlativen — zu überbieten suchten. Eines der bevorzugtesten Baumaterialien ist im Zeitalter des Waldsterbens und der Regenwaldvernichtung ausgerechnet das Holz. Japan errichtet ein den Tempeln von Kyoto nachempfundenes Gebäude von 60 Meter Länge, 40 Meter Breite und 25 Meter Höhe, das — Superlativ! — größte Holzhaus der Welt. Auch Ungarn mit seiner gewagten Konstruktion, die ein gotisches Portal, einen umgekehrten Schiffsrumpf und ein neckisches Zwiebeltürmchen zum gewagtesten Stilmischmasch der Welt vereint, baut auf Holz, ebenso Finnland, Chile und Schweden. Die Franzosen verkriechen sich mit ihrem Bau dreißig Meter unter die Erde, die Engländer lassen an der Vorderseite ihres Pavillons den dichtesten Wasservorhang der Welt herunterrieseln, und die Sowjetunion führt ein Dach aus 1.705 beweglichen Schindeln vor, die je nach Sonneneinstrahlung verschiedenfarbig funkeln — vermutlich um die bis Sommer 1992 existierenden selbständigen Republiken darzustellen.

In den Pavillons wird es umfangreiche Ausstellungen über die jeweiligen Länder, herausragende Kunstwerke und jede Menge Firlefanz geben. Zu den Einrichtungen der Nationen gesellen sich die Themenpavillons: der „Pavillon des 15. Jahrhunderts“ im alten Kartäuserkloster, der „Pavillon der Entdeckungen“, der ein Kuppelkino mit einer 24 Meter hohen, halbkreisförmigen Leinwand birgt, in dem der Besucher auf seinem Sitz festgeschnallt, herumgeschleudert und ins Geschehen einbezogen wird; der „Pavillon der Schiffahrt“ und der „Pavillon der Zukunft“. Hier darf unter anderem im Planetarium auf einem Kometenschweif eine fiktive Reise durch das Sonnensystem bis zum Jupiter unternommen werden, außerdem kann man mittels einer starken Antenne dringende Botschaften an die Außerirdischen loswerden.

Das teure Comeback des El Cordobés

Eine dicke Brieftasche ist für den Besuch der Expo '92 unabdinglich. Der Eintritt für einen Tag beträgt 64 Mark, die Saisonkarte gibt es für 480 Mark. Hotelbetten in Sevilla werden knapp und vor allem teuer sein.

Die Ausstellung öffnet ihre Tore jeden Tag von 10 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachts, sechzig Bars und vierzig Restaurants sorgen für das leibliche Wohl. Permanente Straßentheatervorführungen sollen das zu erwartende Schlangestehen vor den Pavillons erträglich gestalten, in einem Freiluftkino mit 1.200 Plätzen laufen ständig die wichtigsten Filme des Jahrhunderts. Im Auditorium (6.200 Plätze), dem von Zeltplanen beschirmten Platz „Palenque“ (3.000), dem Zentraltheater (1.000) und dem neuen Opernhaus gibt es 55.000 Theater- oder Musikaufführungen, natürlich ein weiterer Superlativ: „größtes Kulturspektakel der Welt“.

Und zum Auftakt der ganzen Chose wird es vermutlich ein ganz besonderes Schauspiel geben: das Comeback des El Cordobés. Der mit allerlei Mätzchen zur Legende gewordene Matador hatte seine Karriere vor zehn Jahren unter höchst unrühmlichen Umständen endgültig beendet, nachdem ein sogenannter „Spontaneist“ in die Arena gehüpft war und vor den Augen des tatenlosen Matadors vom Stier massakriert wurde. Nun erklärte sich der inzwischen leicht verfettete Mitfünfziger bereit, zur feierlichen Eröffnung der Weltausstellung am 20. April sechs Stiere um die Ecke zu bringen, forderte dafür jedoch ein nicht ganz alltägliches Honorar: 17 Millionen Mark. Der Direktor der Stierkampfarena von Sevilla ist wild entschlossen, die Summe aufzubringen. Für die Expo ist schließlich nichts zu teuer. So wird wohl vermutlich gleich zu Beginn der universalen Monstershow ein urspanischer Superlativ zu bestaunen sein: der teuerste Metzger der Welt.