DURCHS DRÖHNLAND: Vertontes Gedärm
■ Die besten, schlechtesten, wichtigsten, überflüssigsten Konzerte der Woche / Der wöchentliche Service der Berlin-Kultur-Redaktion zum Musik-Geschehen in unserer Stadt
Ungeahntes Ausmaß erreichte im Osten nach der Wende die Begeisterung für Metal in all seinen Schattierungen. Vor allem in den allerhärtesten der Spielarten Death- und Doom-Metal, die im Westen kaum mehr als akademisches Interesse weckten, sprossen die Bands und Fans nur so aus dem Boden, und das obwohl das Headbangertum in der verblichenen DDR eher stigmatisiert war. Auch auf den Konzerten in den einschlägigen Westklubs wurde fortan hauptsächlich gesächselt und stark berlinert. Ost-Death der ersten Stunde sind Viper aus Luckenwalde. Da die Entwicklung in diesem Sektor so manisch schnell wie die Musik selbst voranhastet, klingen Viper hin und wieder leicht antiquiert. Ihre im Selbstverlag herausgebrachte erste LP Bringers of Desaster leidet zwar unter der rümpelnden Produktion, aber demonstriert eine enorme Spannbreite, die den meisten anderen Death-Bands abgeht. Hier gibt's nahezu alles vom Metallica-mäßigen Intrumental über die gehaltvolle Ballade bis zum üblichen und vorherrschenden Klopper-Stil. Den Liebhabern des Ultraextremen mag die Geschwindigkeit ab und an zu langsam, der Gesang zu wenig kotzig und die Melodien zu vorhanden sein, aber als Einstieg für Interessierte in die krude Welt des vertonten Gedärms sind Viper allemal geeignet. (am 10.1. um 22 Uhr im H&M, Langhansstraße 23, Weißensee)
Lokalmatadoren in Berliner Politkreisen sind PNATSH längst. Der altsympathischen Sponti- Ideologie verbunden, hielten sie sich nicht erst lang mit dem Übungskeller auf, sondern begannen gnadenlos vor Publikum zu proben. Nach gut zwei Jahren können sie inzwischen sogar spielen. Ihre den Anfangstagen des Punkrocks und vor allem den Clash verplichtete Mischung aus Reggae mit wenig Roots und viel Geradeausrock ist zwar manchmal zu durchdacht und gewollt, gewinnt aber durch die solide Dilettanz des Vortrags extrem an Charme.
(am 10.1. um 22 Uhr in der Rumbar, Baumschulenstraße 28, Treptow)
Bereits Ende des letzten Jahres in Berlin zu Gast waren Milch, der einzige ernst zu nehmende Musik-Export aus München. Milch sind ein Duo, das kompromißlos das scheinbar totgesagte Prinzip der genialen Dilettanten wiederbelebt und sich zudem nicht zwischen Hörspiel und Musik entscheiden kann. Dies ist definitiv schwerer Stoff und nickelbrillengeprüft: Masochismus in Noten.
(am 11.1. um 21 Uhr im Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170, Mitte)
Ganz der Klassik verhaftet sind Tarnfarbe. Gegründet 1982, sind sie eine der dienstältesten deutschen Punkbands, auch wenn sie nie die Popularität von zum Beispiel Slime erreichten. Grund dafür waren vielleicht die englischen Texte. Tarnfarbe sind so traditionell, daß sie eigentlich schon gar nicht mehr wahr sind, daß sie selbst im K.O.B. inzwischen antiquiert erscheinen, aber definitiv ihr Publikum finden werden. Das Tempo ist moderat schnell, die Gesangslinien zum Mitgröhlen geeignet und der Gitarrensound ganz klassisch schneidend. Ein Abend zum Erinnern. Versprochen.
(am 11.1. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Tiergarten)
Das beste Konzert des Monats könnten The Walkabouts abliefern. Die Band aus Seattle, im äußersten Nordwesten der USA, stiftete Verwirrung, weil sie extrem herausstachen aus dem sonstigen Programm des dort ansässigen SubPop-Labels, das mit dem Wörtchen Grunge-Rock und dem Produzenten Jack Endino zu mittelschwerer Berühmtheit gelangte. Im Gegensatz zum dumpf groovenden Grunge spielen die Walkabouts einen wunderhübschen, hochmelodiösen und leichten Folkrock, der nichts Besonderes wäre. Ja, wenn da nicht dieses beständige Schleifen des Lärms wäre, der ewig im Hintergrund, mal dezent, mal aufdringlich, verhindert, daß die pathetischen Melodien in den Kitsch abkippen. Wechselweise singen Carla Torgerson und Chris Eckman, als wären sie ein Liebespaar — und vielleicht sind sie ja eines. Des Hippie-Vorwurfs erwehren sie sich ohne besondere Leidenschaft, aber der ist auch völlig unerheblich, denn diese Musik ist zeitlos, eine Platte besser als die letzte und noch kein Ende in Sicht. Wer hier nicht seufzen muß, hat sein Herz nicht am rechten Fleck oder schlicht und einfach keinen Geschmack.
(am 12.1. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz)
Jetzt kommt das, wo eh alle hingehen. Primal Scream sind Rave. Inzwischen definitiv. Nur kann sich keiner so recht entscheiden, ob sie nur dumme Abkupferer oder schlaue Vorreiter sind. Denn eigentlich begannen Primal Scream damals 1986 mit all den anderen britischen Schrammelbands, die den Smiths ein wenig zu intensiv nacheiferten. Immerhin einen Namen bekam das damals: »C86« nach der gleichnamigen Compilation-Kassette. Wie viele der anderen jetzigen Rave- Bands, heißen sie nun Happy Mondays, Stone Roses oder Soup Dragons, haben Primal Scream einfach ihren Gitarrenpop von den richtigen Produzenten auf tanzbar remixen lassen. Warum ausgerechnet bei ihnen darum so ein Aufhebens gemacht wird, ist nicht zu erklären, verhilft ihnen aber zu ungeahnter Popularität. Das Vorprogramm könnte daher um einiges interessanter werden, denn Andrew Weatherall wird die Regler bedienen und versuchen, die Party in Gang zu bekommen. Wenn er es nicht schafft, dann niemand. Die DJs und Produzenten Weatherall und Paul Oakenfold waren dafür verantwortlich, daß die Rave-O-lution von Manchester aus ihren Siegeszug antreten konnte. Kaum eine Maxi aus den glorreichen frühen Tagen, auf denen sich nicht einer dieser beiden Namen findet, kaum eine Band, die ihre Popsongs nicht von Weatherall oder Oakenfold für die Danceclubs neu abmischen ließ. Im Metropol wird sich vielleicht schon zeigen, ob Rave überleben kann oder doch nur das schweißigste Ding des letzten hitzigen Sommers war.
(am 14.1. um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz) to
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