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Der Yeti will zurück nach Hause

■ »Ramper« von Max Mohr — Versuch einer Komödie in der Freien Volksbühne

Eine Landschaft im Eis mit eiskalten Wolken und schimmernden Bergen: Der Flieger Ramper muß mit ansehen, wie sein Maschinist stirbt und vegetiert in der Folgezeit jahrelang dahin, bis er schließlich gerettet wird. Er, der sein Gedächtnis verloren hat, wird von einem Pärchen im Varieté als Tiermensch vorgeführt. Ein Arzt interessiert sich für ihn und kauft ihn dem Paar ab, um Ramper wieder zivilisationsfähig zu machen. Aus dem Yeti wird ein Gentleman, der wieder zurück nach Grönland möchte. Die Ehefrau des Arztes verliebt sich in ihn, verläßt ihren Mann und befreit Ramper von der »Illusion Grönland« durch die Liebe.

Auf der Bühne von Caroline Euing sieht man neben einer Polarlandschaft die Garderobe des Varietés (in Rot gehalten und mit der Polarlandschaft in Bilderrahmen aus Messing), das Büro des Arztes (in der Medico-freundlichen Farbe Weiß) und eine verglaste Dachwohnung mit Ausblick auf die New Yorker Skyline bei Nacht. Alles sehr reduziert und geschmackvoll. Die Schauspieler/innen spielen maniriert und lassen derart sowohl Tiefe als auch Menschlichkeit vermissen: Katja Teichmann und Gerald Alexander Held wirken als Varieté-Pärchen zwar grell und schrill, aber leider aufgesetzt, Jockel Baumann als Arzt zwar souverän, aber eindimensional, und Iris Disse als seine Gattin unglaubwürdig und gekünstelt. Teresa Harder und Chris Dehler als Assistenten sind perfekt durchchoreographiert, aber eher puppenhaft als aus Fleisch und Blut. René Lasartesse zeigt in kleinen Ausschnitten ein paar Häppchen des Catch-Handwerks (er war mehrmalig Weltmeister), aber auch seine Probleme mit der Sprache, die nicht nur darauf zurückzuführen sind, daß er Franzose ist. Stefan Ostertag bleibt als Maschinist auf der Strecke und wirkt nach wenigen Minuten tiefgefroren, tiefgekühlt. Die Kostüme, die Dorothee Adenstedt für die Schauspieler entworfen hat, versuchen die Farblosigkeit durch Haute-Couture-Design wettzumachen. Sie zeigen aber nur schöne Hülle über leerem Inhalt.

Die Regie von Iris Disse ist bemüht, aus einem ernstgemeinten Stück eine Komödie zu machen, wogegen nichts einzuwenden wäre, gäbe es nicht den Stolperstein Glaubwürdigkeit. Denn letzten Endes bleibt zu fragen, warum man dieses Stück aus dem Jahre 1925 überhaupt spielt, wenn man nicht an einer Aussage interessiert ist. Eine Boulevard- Komödie ist Ramper mit Sicherheit nicht. Dazu ist der Themenkreis der Welteroberung durch Geld, Menschen »normal« machen zu wollen, damit sie in die Gesellschaft passen, und die Botschaft, daß die Liebe wichtiger als alles andere ist, einfach zu seriös. Und da nützt auch kein Versuch, an das expressionistische Theater der 20er Jahre anzuknüpfen. Wo Menschen auf der Bühne nur Silhouetten bleiben, Catcher Schauspieler spielen und die Intentionen der Regie diametral zu der des Stückes verlaufen, kann das Ergebnis nicht überzeugen.

Daß die Aufführung trotz all dieser Mängel sehenswert ist, liegt in erster Linie an dem blinden Akkordeonspieler und Obertonsänger Otto Lechner. Er ist ein Genie auf seinem Gebiet, und nicht nur Balsam für die Ohren, sondern durch seine Präsenz und Konzentration auch Honig für das Herz.

Das Experiment der Freien Volksbühne, mit dem Off-Potential zu kooperieren, ist über alle Maßen zu loben. Leider aber reicht der gute Wille allein nicht aus, um aus einem falsch verstandenen Text eine gute Inszenierung zu machen. York Reich

Weitere Aufführungen: 18., 19. und 24. bis 26. Januar, jeweils 20 Uhr, Freie Volksbühne, Schaperstraße 24, Charlottenburg.

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