DURCHS DRÖHNLAND
: Spielchen, auch im MTV-Format

■ Der wöchentliche Service der Berlin-Kultur-Redaktion: Die besten und schlechtesten, überflüssigsten und wichtigsten Konzerte der nächsten Woche

Früher einmal hießen sie Grundwasserabsenkung, dann Hirnwasserabsenkung, seit 1989 schließlich Hirn! Ihr Geheimnis soll bleiben, warum sie den hübschen mittleren Namen aufgegeben haben, um vorwärtsstolpernden Punk mit Sleaze- und experimentellen Einflüssen zu verquicken. Du kannst aber auch finsterer Polit-Punk dazu sagen, wenn du mit dem falschen Bein aufgestanden bist: »Bist Du bereit für die Revolution? Bist Du bereit, Dein Hirn zu drehen? Bist Du bereit für die einzige Lösung oder willst Du mich nicht verstehen? Durchbrich das Rad der Gewalt, lebe in Wahrheit. Da ist was zwischen Dir und mir, es ist Vertrauen, laß uns ein' bauen« (Jimbo sagt). Politik ist oft allzu dumpf, wenn sie mit Geräusch verbunden. Deswegen versuchen sie's mit Humor: »Fährst Du zur See, wo der Dreizack glänzt. Ohne zu denken, will ich mein Ego ertränken« (Schlag ssu). Es gibt nicht viele Bands, die es schaffen, politisch korrekte Inhalte musikalisch zu verarbeiten, ohne dabei in ihrer Ernsthaftigkeit totsterbenslangweilig zu werden. Hirn! gehören ganz bestimmt nicht dazu.

Am 24. 1. um 22 Uhr in der Rumbar, Baumschulenstraße 28, Treptow

Das Hannoveraner Label Swamproom Records steht ganz in der Tradition gebrochener Blumen, gemeinste 60er Garagen-Psychedelia. Ein Dreier-Pack von Swamproom tritt nun auf der Insel auf. Allen drei Bands ist eine ungehörige Sperrigkeit eigen. Gitarren sind jeweils das Bedeutsame, gespielt, als säße man am Lagerfeuer unter der Autobahnauffahrt. Läßt mich unweigerlich an schwarze Rollkragenpullover und noch schwärzere Sonnenbrillen denken. Vor allem Room 101 erinnern an die Erfinder des vertonten Existentialismus Velvet Underground. Wie auf deren ersten Platten wechseln Room 101 zwischen brachialen Rückkopplungsorgien und erzählenden, halbakustischen Songs. Außerdem gemahnt der Gesang an die nölige Stimme Lou Reeds. P.L.O. und die Young Scamps dagegen sind folkiger, wenn auch extrem holprig und widerspenstig wie Preßspanplatten. Hier liegt Schönheit gut verborgen unter penetrant schiefen Klängen. Das ist nun wahrlich kein neues Konzept, aber wurde selten so konsequent ausgelebt. Lauten Lärm zu machen, ist nicht allzu schwierig, aber widerliche Geräusche in Lagerfeuerromantik einzubetten, braucht den ganzen Mann und die ganze Frau.

Am 24. 1. um 22 auf der Insel, Insel der Jugend, Treptow

Große Jungs mit großen Gitarren und noch größeren Herzen. Jungs, die jeden Road-Movie gesehen haben und in ihrer Hinterhof-Wohnung sitzen, während sie von den unendlichen Weiten der Wüste träumen. January Heat verbreiten ihre elegischen Fake-Gefühle in einem inzwischen brachliegenden Sandkasten namens Gitarrenrock. Seit die großen Helden dieser urbanen Träume von der großen Weite inzwischen alt geworden sind (Dream Syndicate), tut es so eine liebevolle Kopie wie die der Westberliner auch. Was ihnen zu wahrer Größe allerdings noch fehlt, wäre schlicht und einfach etwas Noise, denn allzuviel Wohlklang kann gefährlich sein wie Treibsand. Aber die Jungens kommen sicher auch noch in die postpubertäre Phase.

Am 24. 1. um 21 Uhr mit The Blue Toons und Tillkowski im Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7, Kreuzberg

Metallica begannen in ihrer mittleren Phase den Versuch, die Geräusche des Metal in die Form des Jazz zu pressen. Sie und viele andere brachen das Experiment inzwischen ab, aus was für Gründen auch immer. Die 1987 in Saarbrücken zusammengekommenen Extreme Noise dagegen stecken mittendrin in dieser Entwicklung. Die Sounds sind eindeutig Metal, aber die Strukturen der Songs inzwischen so weit aufgelöst, daß sie sich weit näher am Free Jazz denn am klassischen Rock befinden. Auch der Gesang (pro Stück oft nur eine einzige sloganartige Zeile) wird nur mehr wie eine Phrase eines x-beliebigen Instruments eingesetzt. Um einzelne Melodie-Licks wird gnadenlos improvisiert: Ständige Breaks, Tempi- und Rhythmuswechsel, aber auch immer wiederkehrende Melodiethemen. Und das wesentlich brutaler und gleichzeitig filigraner als zum Beispiel Megadeth oder die 24-7-Spyz, die auf demselben Truppenübungsplatz zugange sind. Militant und radikal in Text und Form, sie soweit aufgelöst wird, daß die Anarchie nicht mehr weit ist. Hört die Kommandoebene der RAF Musik?

Am 25. 1. um 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte, und am 26. 1. als Vorgruppe im Loft

Die Inchtabokatables haben sich inzwischen Kultstatus in Berlin erspielt. Wenn das Wort nicht so inflationär gebraucht werden würde, könnte man sie durchaus als Innovativ bezeichnen, denn wer vor ihnen hat schon in solcher Härte Folkrock gespielt, wer hat jemals Geigen so benutzt? Kommt mir jetzt nicht mit den frühen Pogues, denn die haben damals Gänseblümchen gepflückt im Vergleich zu den Inchtabokatables. Hier stürzen Betonpfeiler auf die grüne Wiese. Absurderweise paßt das überaus gut zu den folkigen Strukturen der Songs, die nie verloren gehen, und den neben den Geigen alles beherrschenden Saufgesang. Die größte Ostberliner Hoffnung seit dem IX. Parteitag. Der Name ist übrigens nicht nur unaussprechbar, sondern soll auch was bedeuten.

Die eigentliche Hauptband wird es da schwer haben. Living In Texas haben das Zeug, das MTV-Format zu sprengen, aber irgendwas machen sie falsch. Und das schon seit 1983. Damals formierte sich die Band in London, und seitdem sind sie auf der Suche nach dem Hit und der richtigen Plattenfirma. Die Hits haben sie inzwischen reihenweise geschrieben, und jeder ihrer Songs könnte solche Scharlatane wie The Rembrandts einfach wegwischen, aber irgendwas machen sie halt falsch. Ich weiß auch nicht was. Definitiv die kommerziellste Gitarrenpop-Band, die seit fast zehn Jahren keinen Erfolg hat. Übrigens soll der leicht größenwahnsinnige Sänger nach jedem Gig, bei dem wieder nur eine Handvoll Leute Eintritt zahlten (also nicht zu selten), die Band bis zum nächsten Auftritt wutentbrannt auflösen. Aber das sind nur Gerüchte.

Am 25. 1. im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Tiergarten

Im Hardcore- und Metalbereich läßt sich in letzter Zeit verfolgen, daß die etablierten Helden den Einbruch in das MTV-Format und die Charts schaffen, ohne dabei ihre street credibility einzubüßen. Metallica, Nirvana oder die Red Hot Chili Peppers sind hierfür die augenfälligsten Beispiel. Bereits dort angelangt mit ihrer ersten Platte sind die Smashing Pumpkins aus Chicago. Die 70er schreien nach Erlösung und die Pumpkins geben sie ihnen. Bands wie Free oder die poporientierteren Led Zeppelin tauchen in den treibenden Riffs auf, und auch die Schmachtballade kommt wieder zu Ehren (siehe auch Metallica, Chili Peppers). Das wären also meine Assoziationen, aber die sollen relativiert werden durch die Tatsache, daß die Smashing Pumpkins die neueste Konsensband sind. Keine Stil, kein Musiker, keine andere Band mit der sie noch nicht verglichen worden sind und bisher noch keiner, der sie nicht gut gefunden hätte. Aber wie sie das machen? Ich weiß es nicht.

Am 26. 1. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Tiergarten

Irland ist ein Dorf. So verwundert es nicht, daß Christy Moore mit Shane McGowan von den Pogues Stücke schreibt und mit Sinead O'Connor zusammen auftritt. Moore repräsentiert die irische Folk-Tradition wie kein anderer Sänger der Jetztzeit und demonstriert, daß diese Tradition keine Angst vor anderen Einflüssen hat. Auf Platten experimentiert er mit afrikanischen Trommeln und Rhythmen. Auf der anderen Seite ist er ganz altmodisch und versteht seine Songs als Medium für unterdrückte Informationen. Neben der Postfunktion wird trotzdem auch die andere große irische Liebe, die zum Suff, bedient. Auf der Bühne wirkt Moore reduzierter als auf Platte. Nur mit Gitarre oder Trommel oder völlig ohne Begleitung singt er, erzählt seine Witze und Geschichten, und verwischt die Grenzen zwischen Musik, Lyrik, Kabarett und politischer Propaganda.

Am 28. 1. um 20 Uhr im Quartier, Potsdamer Straße 96, Tiergarten

Daß der allseits präsente, aber eigentlich hauptsächlich in rattenverseuchten Kellerlöchern beheimatete Speed-Metal es inzwischen in die Plüschsofaecken der Vorzimmer etwas größerer Plattenfirmen geschafft hat, zeigen Evil Dead und Lääz Rockit. Die beiden gehören zu einer Art High Society des Genres, und das bedeutet vor allem, daß sie besser gewaschen sind. Gleiches gilt für die Musik, die mit einer technisch zu guten Produktion einiges von ihrem morbiden Reiz verliert und dann hauptsächlich ihre akademische Seite entlarvt. Hier wird ein Stil langsam ausgetrocknet und kommerzialisiert. Business as usual.

Am 28. 1. um 21 Uhr in Huxley's Neue Welt, Hasenheide, Ecke Wismannstraße, Kreuzberg

Das muß eigentlich nicht erwähnt werden. Man kann sich ungefähr vorstellen, welcher Sorte Zahnärzte vor Rührung der Bohrer aus der Hand fällt, wenn der Name Marley erklingt. Bevor die allerdings ihre Patienten im Stich lassen, soll hier eine Warnung ergehen. Ziggy Marley hat nicht mehr viel mit dem Reggae seines dahingerafften Vaters zu tun. Einzig seine Stimme weckt Erinnerungen, ansonsten integriert Ziggy eine ungeahnte Stilvielfalt in den trägen Off-Beat. Von den modernen Errungenschaften des Dub-Reggae über Rap und die sloganartigen Einwürfe von Public Enemy bis zu den technischen Spielereien des Dancefloor. Marley bleibt aber trotz seiner radikalen Abwendung vom klassischen Reggae immer gut verdaulich und repräsentiert die verkäufliche Seite des Genres im Gegensatz zum langsam dümpelnden Dub.

Am 30. 1. um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz, Tiergarten to