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Business As Usual

Ein „Brief an Rushdie“  ■ Von Johannes Mario Simmel

Sehr verehrter, lieber Mr. Salman Rushdie,

dieser Brief ist ein Versuch, Sie ein wenig zu trösten, indem ich Ihnen den wahren Grund für Ihre furchtbare Lage klarmache. Der wahre Grund lautet: Sie haben sich mit Ihrem Buch eingemischt in das Spiel der Urgewalten der Natur.

Das hat ein Freund, amerikanischer Wirtschaftsforscher, gesagt, mit dem ich mich vor ein paar Tagen unterhielt.

Sie, Mr. Rushdie, sagte mein amerikanischer Freund, sind ein großer Dichter, ein idealistischer Träumer, der noch in Begriffen wie Nationen, Staaten, Ideologien, Göttern, der Freiheit von Furcht und Not, der Freiheit der Rede und des Glaubens, der Demokratie, der Gerechtigkeit und der Menschenrechte denkt. Es gibt aber, Mr. Rushdie (sagte mein amerikanischer Freund), keine Nationen, Staaten und Ideologien mehr, es gibt keine Freiheit, keine Demokratie, keine Menschenrechte, es gibt keinen Osten, keinen Westen, keine Dritte Welt und keine Götter mehr.

Es gibt Höheres!

Nämlich nur noch ein einziges, riesiges, ungeheuer verflochtenes, sich gegenseitig beeinflussendes, multivariables und multinationales System von Konzernen wie IBM und ITT und Union Carbide und MBB und Thyssen und Exxon. Und dieses System unterliegt den unwandelbaren Gesetzen der Wirtschaft. Die Welt, lieber, sehr verehrter Mr. Rushdie, ist ein Kaufhaus, die Welt, sehr verehrter lieber Mr. Rushdie, ist ein Geschäft. Und Sie haben mit Ihrem Buch — für eine sehr kleine Weile natürlich nur — dieses Geschäft gestört.

Lassen Sie mich Ihnen das anhand des deutschen Geschäftszweiges, nicht des internationalen, erläutern, in Deutschland kenne ich mich besser aus.

Ihre Störung mußte schnellstens behoben werden, das ist klar. Bereits am 1.Juli des vergangenen Jahres meldete die Nachrichtenagentur 'afp‘ — ich erfinde nichts, ich zitiere ausnahmslos Fakten —, Bundesaußenminister Jürgen Möllemann weile zur Zeit in Teheran (woselbst Ayatollah Chomeini Sie mit dem Todesbann wegen Ihres Buches Satanische Verse belegt hatte ) zwecks Gesprächen über den Ausbau der deutsch- iranischen Wirtschaftsbeziehungen. Die Bundesrepublik, heißt es in der Meldung, ist der wichtigste Handelspartner des Iran, der wiederum der wichtigste deutsche Absatzmarkt im Nahen Osten ist. Herr Möllemann wurde von einer Gruppe deutscher Geschäftsleute und Industriellen begleitet, die fünfunddreißig deutsche Firmen vertraten. Ausfuhren in den Iran, so war aus diplomatischen Kreisen zu hören, konnten künftig in unbegrenzter Höhe durch Bonner Hermes-Bürgschaften gedeckt werden, die deutsche Regierung hatte die bisherige Höchstdeckungsgrenze von fünfhundert Millionen Dollar aufgehoben.

Die deutsche Regierung (im Verein mit vielen anderen Regierungen) tat wirklich alles, um Ihre Störung aus der Kaufhaus-Welt zu schaffen. Experten rechneten damit, daß das bilaterale Handelsvolumen von 4,6Milliarden Dollar im Jahre 1990 auf 6Milliarden Dollar im Jahr 1991 steigen würde.

Angesichts dieser beglückenden Erhöhung erhöhten die Nachfolger des Ayatollah Chomeini auch den Kopfpreis für Ihr Leben auf 4,5Millionen Dollar, und, ebenfalls im Juli 1991, da in Teheran die Verhandlungen des Herrn Möllemann einen derart erfolgreichen Abschluß fanden, wurde in Mailand der italienische Übersetzer Ihrer angeblich blasphemischen „Verse“ niedergestochen, und Ihr japanischer Übersetzer wurde in Tokio ermordet. Sie beginnen zu verstehen, Mr. Rushdie, daß die Welt ein Geschäft ist.

Und was für eines.

Schon im Februar 1991 (da lebten Sie bereits seit zwei Jahren, von der Polizei versteckt, im Untergrund) hatte Außenminister Genscher mit seinem iranischen Kollegen die Möglichkeiten eines Kulturaustausches erörtert, und sein Auswärtiges Amt hatte den Buchmessechef, Herrn Peter Weidhaas, brieflich darauf hingewiesen, daß der seit dem Mordbefehl gegen sie bestehende Boykott iranischer Verleger den aufblühenden Wirtschaftsbeziehungen nicht eben förderlich sei. In der Folge, lieber Mr. Rushdie, beschlossen Herr Weidhaas und die „Ausstellungs- und Messe-GmbH des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“, den Boykott aufzuheben und acht iranische Verlage zur Buchmesse 1991 einzuladen.

Und schon im April reiste eine Bonner Delegation mit Herrn Barthold C. Witte, dem Kulturchef im Auswärtigen Amt, nach Teheran. Auch Herr Weidhaas flog mit. Es wurde ein „Iranisches Kulturfestival“ in Düsseldorf vereinbart, das von der Stadt Düsseldorf, dem Teheraner Ministerium für Islamische Führung und — hier fehlt doch noch etwas! — und von der Thyssen Handelsmission — na also, da haben wir es ja schon! — veranstaltet wurde.

Das künstlerische Ereignis mit Darbietungen wie „Musik aus Täbris“ und „Klassik aus Teheran“ fand im September 1991 statt, die Buchmesse vom 9. bis 14.Oktober, also unmittelbar danach. Vor diesem zweiten künstlerischen Ereignis war Herr Peter Weidhaas arg von der Presse gebeutelt worden für seinen Entschluß, acht iranische Verlage einzuladen. ('Die Zeit‘: „Schande über eine Buchmesse, die den massiv von der Ermordung bedrohten Schriftsteller Rushdie auf diese Weise geradezu verrät.“ Die 'Faz‘: „Der Wortbruch der Messe muß den von westlicher Schwäche zutiefst überzeugten Fundamentalisten neuen Auftrieb verleihen.“ Die taz: „business as usual.“)

Herr Weidhaas indessen: „Wir sehen keine Möglichkeit, die Entscheidung zu revidieren... wir sind kein“ — kein Kaufhaus? Nicht doch! — „keine moralische Anstalt und keine Zensoren, sondern haben die Aufgabe, alle Länder der Welt auf diesem Buchmarkt zusammenzuführen.“

Herr Weidhaas, der den kleinen Hinweis des Auswärtigen Amtes so intensiv verinnerlicht hatte, sah dann doch noch eine Möglichkeit, zu revidieren — als nämlich große amerikanische und deutsche Verlage empört prtestierten und mit Fernbleiben drohten. Da lud Herr Weidhaas — laut 'ap‘-Vorrangmeldung vom 26.September, dem nämlichen September, da in Düsseldorf das „Iranische Kulturfestival“ zelebriert wurde — die acht iranischen Verlage, die er eingeladen hatte, wieder aus, um, wie es in einer Erklärung hieß, „die Arbeitsfähigkeit der Buchmesse91 sicherzustellen.“

Was lernen wir daraus wieder einmal, Mr. Rushdie?

Daraus lernen wir wieder einmal, daß es sich bei der Literatur und allen andern schönen Künsten nur um Feigenblätter handelt, hinter denen diese rauhe Welt ihre Geschäfte ein wenig verbergen kann.

Es wäre, lieber Mr. Rushdie, nur menschlich, wenn Sie, der jederzeit damit rechnen muß, ermordet zu werden, nun sagten, Feigenblatt oder verfolgter Autor, das sei Ihnen absolut gleichgültig, was man mit Ihnen getan hat und tut, ist ein Verbrechen, und jemand müßte endlich etwas so Entscheidendes gegen dieses Verbrechen tun, daß Sie nach all der Zeit im Untergrund endlich wieder in Frieden und Sicherheit leben können.

Wohl wahr, Mr. Rushdie. Indessen dürfen Sie wirklich nicht immer nur an sich denken. Sehen Sie: Im August 1991 — nur ein Beispiel — liehen deutsche Banken — bis zum letzten Pfennig abgesichert mit Bonner Hermes-Bürgschaften ('dpa‘- Meldung vom 13.August) — dem Iran eine halbe Milliarde D-Mark, mit welcher deutsche Lieferungen und Leistungen beim Wiederaufbau, der Modernisierung und Erweiterung von petrochemischen Projekten finanziert werden sollten. Was, lieber Mr. Rushdie, wenn der Iran die halbe Milliarde Ihretwegen nicht genommen hätte? Ach, und denken Sie erst an die so unerhört zahlreichen deutsch-iranischen Projekte im Rahmen des Teheraner Fünf-Jahres- Plans. Was liefern wir alles...

Natürlich haben wir unerhört strenge Exportbestimmungen — aber es verhält sich mit ihnen so wie mit der weißen Königin in Alice im Wunderland: Die schreit zunächst laut auf, und dann erst sticht sie sich. Zunächst liefern unsere heroischen Unternehmer Giftgas und Giftgasfabriken nach Libyen, in den Irak und an viele andere Interessenten, und dann erst droht Bonn mit noch strengeren Exportbestimmungen. Deutsche Firmen haben Tornado—Jagdbomber an Israels Nachbarn Jordanien geliefert, Atomanlagen oder die wichtigsten Teile davon in den Irak, nach Indien, Pakistan und so weiter, Grndelemente der „Scud“-Raketen gleichfalls in den Irak, vonwoaus sie sodann im Golfkrieg auf Israel abgefeuert wurden, und Waffen einfach überall hin, wo man Waffen verlangt, und man verlangt sie einfach überall.

Warum das alles, Mr. Rushdie, warum? Aus schnöder Gewinnsucht? Niemals! Das alles geschieht allein aus sozialen Gründen! Damit keine Arbeitsplätze verloren gehen! Lieber Mr. Rushdie, seien Sie des Mitgefühls aller Wirtschaftsführer im Westen versichert, aber bitte, bedenken Sie auch dies: Mit Ihnen ginge — schlimmstenfalls — Ihr Arbeitsplatz verloren. Wenn wir — und die Amerikaner und die Franzosen und so viele andere Ihretwegen mit dem Iran keine Geschäfte machen — wieviele Arbeitsplätze gingen dann verloren? Hunderttausende, Mr. Rushdie, viele Hunderttausende! Das sehen Sie doch ein, nicht wahr? Gemeinnutz geht vor Eigennutz, ein deutsches Sprichwort. Und also wäre der Kreis geschlossen.

Sie haben sich mit Ihrem Buch eingemischt in die Urgewalten der Natur, sagte mein amerikanischer Freund. Ein Buch über die Welt als Geschäft hätten Sie schreiben sollen! Nichts, überhaupt nichts wäre Ihnen geschehen! Sie sehen ja, die Herren verrichten Ihre Arbeit verantwortungsvoll, stolz, öffentlich und aufrechten Ganges. Dieses Buch, Mr. Rushdie, dieses Buch — und alles wäre gut gewesen.

Herzlichst,

Ihr Johannes Mario Simmel

P.S. Ich habe gerade gelesen, was ich schrieb, und mir ist ganz elend. Das stimmt ja nicht, was ich zuletzt behaupte! Ein Buch über die Welt als Kaufhaus hätte Ihnen doch sofort und von denselben Leuten den Vorwurf der politischen Blasphemie beschert, und das gleiche Schicksal wäre Ihnen beschieden gewesen. Verzeihen Sie, Mr. Rushdie, bitte, verzeihen Sie mir! Ich wollte Sie trösten. Jetzt sehe ich, wie ganz und gar falsch ich das angefangen habe. Weshalb nur? Ob es daran liegt, daß es keinen Trost gibt?

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