Das Vierte Gebot

■ Filmreihe zur Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« im Martin-Gropius-Bau

Von 15. Januar bis 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von jeweils Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr jüdische Filme aus Polen, der UdSSR, den USA, Österreich, Israel und anderen Ländern. Ab 1. Februar werden die Filme im Arsenal wiederholt.

Der erste Film der Woche, Lothar Mendes' Jew Süss (Großbritannien 1934) lebt in einer Art negativer Symbiose mit seinem nationalsozialistischen Gegenstück Jud Süss von Veit Harlan (1940), der nach langwierigen Prozessen von den Alliierten in die Giftschränke der Filmarchive verbannt wurde. Der eine ist ohne den anderen nicht mehr zu denken. Beide Filme erzählen die Geschichte des Josef Süß Oppenheimer, der im frühen 18. Jahrhundert Finanzberater am Hof des Landesfürsten Karl Alexander wurde. Für die amourösen und martialischen Eskapaden seines Landesvaters streckte Oppenheimer eigene Ersparnisse und den Bauern abgepreßte Steuergelder vor, bis das Staatssäckel schließlich leer war — wofür die Landstände unter Beifall des Mobs den Juden hingen, nicht seinen volkstümelnden Auftraggeber. [Der war zu dem Zeitpunkt schon tot! d. säzzer] Die Geschichte gehört in den deutschen Mythenkanon neben den Wallenstein und den Doktor Faustus; in den 200 Jahren, die zwischen Oppenheimers Hinrichtung und der Verfilmung liegen, entstand ein ganzes Arsenal von Gravuren, erschröcklichen Schilderungen, Dissertationen, Märchen und Romanen aus dem Stoff.

Harlan beruft sich auf Wilhelm Hauffs Version, Mendes auf den Roman von Lion Feuchtwanger. Dabei gleich die negative Symbiose der Filme in frappierender Weise der zwischen den beiden Hauptfiguren. Die Dekadenz des Fürsten (von beiden Filmen puristisch verdammt) ist an den Ehrgeiz und den Assimilationswunsch des »Hofjuden« gebunden und umgekehrt (»My fate is tied to yours, and yours to mine«, murmelt Oppenheimer düster). Während aber bei Mendes der Assimilationswunsch des Oppenheimer aus dem Wunsch des Aufgeklärten entspringt, sein Volk aus dem Getto zu befreien und ihm den Weg in die Stadt zu öffnen, wird er bei Harlan zum Kennzeichen einer charakterlosen, raffgierigen Rasse (»wie die Heuschrecken sind die Juden über unser Land hergefallen«). Ist bei Mendes das jüdische Heim mit Büchern, Kerzen und Gemälden ein großbürgerliches Interieur, wird es bei Harlan zur Lasterhöhle mit kabbalistischem Budenzauber und unheimlichen Ritualen. Mendes verfällt Feuchtwangers klischeehaftem Orientalismus und macht Oppenheimers Tochter Naomi zu einer keuschen Salome und seinen Mentor zum fernöstlichen Weisen, während bei Harlan alle Frauen, besonders aber die jüdischen, sexuell lasziv und charakterschwach sind. Als seien sie parallel entstanden, ist der wohlmeindende Film eines Exilanten so zum philosemitischen Spiegelbild eines faschistischen Hetzwerks geworden. In beiden Fällen erscheint jedoch die Verbindung von Verschwendungssucht, Promiskuität und weiblicher Verführbarkeit als das eigentlich brennende Thema.

Donnerstag, Freitag und Samstag abend folgen Klassiker des jüdischen Films von G. Edgar Ulmer, einem aus Wien in die USA emigrierten Regisseurs, der als Mitarbeiter von Max Reinhardt und F.W. Murnau mit allen Wassern des expressionistischen Spektakels gewaschen war und der von einem Teil der französischen Nouvelle Vague als Pate reklamiert wird. An den drei Filmen läßt sich eine interessante Entwicklung ablesen, in deren Brennpunkt der Konflikt zwischen aufgeklärter Moderne und religiöser Tradition steht. Die unglickliche Kale (Die unglückliche Braut, USA 1932) ist das nachträglich vertonte Drama einer jungen New Yorker Getto-Rose, die gegen den Widerstand ihres Vaters die Heirat mit einem gebildeten Habenichts der mit einem ungehobelten Fathead vom Riverside Drive (im Film »Allrightnik-Row« genannt) vorzieht. Filmisch inszeniert wird dieser Konflikt durch Szenenwechsel zwischen der Freiheit im Central Park (wunderschöne Außenaufnahmen des alten New York) und der Enge der Mietskaserne, in der man nur durch einen schmalen Luftschacht vom Nachbarn getrennt ist. Im Gegensatz zu einer früheren Fassung mit Happy-End besteht Ulmer auf der Einhaltung des 4. Gebots: Du sollst deine Eltern ehren... In Fischke der Krumer (USA 1939) ist das schtedtl eine düstere, gespenstische, höhelnartige Welt der Intrigen, des Aberglaubens und der lauernden Katastrophen, aus der sich Fischke der Krüppel und Gitl die Blinde nur knapp in die hinter dem Hügel aufgehende lichte Moderne retten können. Deformiert ist auch der schöne Maurice Schwartz in Amerikaner Schadchen (Amerikanischer Heiratsvermittler, USA 1940): Obwohl er in Seidenpyjamas und Sektorgien lebt, ist er, wie seine Mutter wohl sieht, kein real mentsh, sondern ein unglücklicher luftmentsh. Deshalb wird er zum modernen Heiratsvermittler, der mit Hilfe der Psychologie statt der göttlichen Vorbestimmung alle Singles aus seiner Mischpoche zueinander führt. Die Eleganz des Films sollte nicht über seine Subtilität im Umgang mit dem Problem dieser Generation hinwegtäuschen, die sich gegen antisemitische Stereotypen aus Nazi-Deutschland wehren und gleichzeitig von der Tradition emanzipieren will. Für die Momente, in denen er seiner heimlichen Liebsten schweren Herzens einen Dummkopf vermittelt, halte man ein Taschentuch bereit. Miriam Niroumand