: Sind Steine faschistisch?
■ betr.: "SS-Kaserne: Abriß oder Baudenkmal", taz vom 21.2.92
betr.: „SS-Kaserne: Abriß oder Baudenkmal“ von Bernd Siegler, taz vom 21.2.92
Sind Steine faschistisch? Falls ja, sind deshalb alle amerikanischen Soldaten, die in den letzten fast 50 Jahren die ehemalige Nürnberger „SS“-Kaserne benutzten und darin wohnten, jetzt vom bösen Geist des „Dritten Reichs“ befallen und gehen als lauter kleine Hitlers nach Hause? Das ist ja ein „umwerfendes“ Geschichtsverständnis der Nürnberger Historikerin Sanden und der grünen Landtagsabgeordneten Rieger: Die baulichen Zeugnisse einer Epoche, eines Herrschaftssystems „aufarbeiten“ und sie dann schnellstens abreißen: Den Teufel mit der Planierraupe austreiben. Die Geschichte in die Bücher, die Häuser auf den Müll. [...] Wem außer ihrer eigenen Zunft wirft Sanden eigentlich vor, die Geschichte dieser Bauten seit Kriegsende „totgeschwiegen“ zu haben? Sie hätte sie ja herausfinden und veröffentlichen können.
Wenn wir solchen Abrißforderungen nach 45 so gründlich-deutsch nachgekommen wären (die meisten „Staatsbauten“ des „Dritten Reichs“ wurden ja tatsächlich gesprengt), dann könnten wir Nürnberg heute nicht auf der Autobahn erreichen (leider auch ganz schlimm faschistisch), würde eine unübersehbare Anzahl von Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Geschäfts- und Verwaltungshäusern, Brücken, Rathäusern und Sportstadien fehlen, auf dem Land wären Tausende von Bauernhöfen verschwunden, und in vielen Städten hätten ganze Wohnviertel beseitigt werden müssen, weil sie ebenfalls in jener unseligen Zeit gebaut worden sind und niemand heute sagen kann, wer die Benutzer waren, was sie dachten und taten.
Ob der Denkmalschutz ein geeignetes Mittel dafür ist, einer schwierigen Geschichte auf die Spur zu kommen und deren kritische Reflexion wachzuhalten, weiß ich nicht. Ihm aber zu unterstellen, er rehabilitiere mit seinem Verlangen alte Inhalte, ist absurd. Dann müßte er sich ebenso für die Wiedereinführung der Monarchie und der Inquisition einsetzen, weil auch Schlösser und Kirchen unter Schutz stehen. Ein wenig mehr Souveränität beim Umgang mit diesen Fragen würde uns gut zu Gesicht stehen und vielleicht sogar dabei, eine ähnliche, jetzt beginnende Diskussion über den baulichen Nachlaß der DDR etwas klüger führen zu können. Ulrich Höhns, Wenzendorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen