■ ARTUR, BERLINOID: Der Markt lehrt dich's, nicht der Tempel
Artur trifft sie alle, alle wieder, sagt er, auf den Flohmärkten. Die Spieler, Gaukler, Charaktermasken, Clowns, Betrüger und die Scharlatane, glücklose Würdenträger. Einer, wohl hoher Beamter in irgendeiner Behörde, kam mal mit einem kleinen zerknitterten Mann, den er als seinen frührentnerden Schwager aus der ehemaligen DDR präsentierte. Der schob ein Fahrrad und machte sich dabei etwas ungelenk aus. Fünfzig Mark wollte denn sein westbeamteter Schwager dafür haben, es sei ja für'n guten Zweck, nicht wahr.
Welchen Zweck er denn meinte, das blieb freilich verborgen, aber eines ist sicher: Die bigotte Masche ist auf dem Trödelmarkt ein rotes Tuch. Und so kamen einige Händler denn auch hinter ihren Ständen hervor und gingen langsam auf den Mann mit dem Rade zu, der längst kapiert hatte, daß das freie Leben wohl doch voller Hindernisse steckt.
Einer zischte den Westschwager an: »Herr Direktor! Auf diesem Flohmarkt hier herrschen andere Gesetze, ganz andere Gesetze. Umsonst stehen wir hier ja nicht, versteh'n Se?« Und dann drückte er dem Zerknitterten einen Hundertmarkschein in die Hand, legte ihm den Arm um die Schulter und grummelte: »Laß dich bloß nicht veralbern, Mann!« und übernahm das Fahrrad, gute stabile Ausführung, komplett, original DDR-Rad, fünfziger Jahre.
Artur hörte, ein Kunde, später am Tage, sei von einer Probefahrt nicht mehr zurückgekommen. Früher oder später hat Trödel eben immer Konjunktur. Auch jenen honorigen Professor gibt es, dessen Frau sich mit allerlei Krimskrams mal auf den Markt gestellt hatte, spaßeshalber und nicht ohne gewisse Hemmungen. Zum Fünfuhrtee zurück im Haus im Grünen, erkannte der Mann seine grundgute Gattin fast nicht wieder. Ihre Augen strahlten, sie war quicklebendig und erzählte die drolligsten Szenen. Auf der Stelle verliebte sich der Professor neu, und seit dieser Zeit sieht Artur sie häufig beide hinter einem Flohmarktstand.
Zuerst hatte der Professor zu erklären versucht, die Gefahr, zu praxisfern für seine Studenten zu werden, ängstige ihn schon manchmal, doch dieser Flohmarkt biete ja da insofern, ja, und so weiter und so weiter.
Eines Tages begrüßten sich die beiden, und der Mann sagte: »Das ist ja mit dem Flohmarkt hier fast wie mit einer Sucht, nicht wahr, nachgerade berauschend, hoho, wenn man das ein-, zweimal gemacht hat, dann kommt man kaum wieder von 'runter!« und er hatte hinzugefügt: »Ach ja, übrigens, wir machen wieder ein Buch! Interessant! ‘Adolenszenzkrise und Suchtgefährdung bei mutterlos aufgewachsenen Linkshändern‚«.
»Schön!«, hatte Artur aus reinem Herzen gelächelt und sich gedacht: ‘Wer sucht, der findet‚, leise: »Ich finde, Leute, die nicht suchtgefährdet sind, eher schwierig«, angemerkt und sich wieder seinen Obliegenheiten zugewandt. Clemens Walter
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