: Tanz den Sozialismus
■ Billy Bragg kam, sah und agitierte in Huxley's Neuer Welt
Alle reden vom Wetter — er nicht. Billy Bragg trägt immer noch den Flanell der frühen Jahre. Die (zu) engen Jeans hat er sich nicht abgewöhnen können, und nach wie vor spielt er seine verkrachten kleinen Songs. Größer geworden ist bloß der Erfolg. Längst laufen seine Titel im Frühstücksradio, zwischen Kaffeewerbung, Ratespielen und neuesten Stasi-News. Fast unbemerkt hat sich der nette Billy von nebenan zum Star gemausert, und das Publikum im gutbesuchten Huxley's tritt sich erwartungsfroh auf die Füße.
Die Band, mit der der unscheinbare Mann die Bühne entert, scheint zu wissen, was sie dem Ruf ihres Zugpferds schuldig ist. Dezent hält sie sich im Hintergrund, bloß Baß, Gitarre, Schlagzeug und ein sparsames Piano, alles grundsolide, mannschaftsdienlich, solidarisch sozusagen. Der Jünger zur Rechten trägt potthäßliche Strumpfhosen, aber Schönheit oder gar Glamour ist eh das letzte, was von der Combo erwartet wird. Wenn die Dramaturgie es erfordert, überläßt sie die Szene sogar ganz dem Helden, der dann einsam und allein mit seiner Gitarre kämpft. Sieht nach Arbeit aus, was da geboten wird, nach ehrlichem Handwerk. Dafür gibt es aber auch von Anfang an keine Kluft zwischen Bühne und Publikum. Ihr da oben, wir da unten — ein Unding für ein Billy-Bragg-Konzert. Schon beim ersten Titel dürfen alle mitwippen: »You woke up my Neighbourhood...« Kennen wir, kennen wir. Alles schon mal erlebt, so oder zumindest so ähnlich.
Die Rolle des Volkstribunen liegt ihm sichtlich, dem ehemaligen Lackierer und Dekorateurslehrling aus dem Londonder Eastend. Nicht umsonst hat er Labour-Chef Neil Kinnock im letzten Wahlkampf unterstützt. In original mundgewachsenem Cockney-Englisch singt Bragg von später Einsicht und frühem Leid, von den Wunden, die das Leben so schlägt, und den kleinen Entschädigungen, die es bereithält. Alles Dinge, die einen Jungen aus der Working Class berühren, aber nicht wirklich erschüttern können. Pragmatische Probleme verlangen pragmatische Lösungen, selbst auf der Bühne. Wenn gerade keine Trompete zur Hand ist, pfeift Billy Bragg das Solo eben selbst, Virtuosität auf dem Instrument ist ihm ohnehin zuwider. Bloß manchmal wird selbst so einer weich. Dann singt er sehnsüchtig von Delphinen im tiefen blauen Meer und der Behaglichkeit eines geheizten Zimmers, wo in Gesellschaft freundlicher Menschen und berauschender Drogen gut sein ist. Kleine Fluchten: »Oops, there goes another year, oops, there goes another pint of beer.«
Kein Zweifel, so ist er, unser aller Alltag, handgestrickt, fremdbestimmt und pittoresk behaglich entfremdet, spitzweghaft gewissermaßen. Macht und Ohnmacht der Gefühle werden bei Bragg aufs eindringlichste beschworen. Und er singt nicht nur, er spricht auch. Immer länger werden die Ansagen zwischen den einzelnen Titeln, das halbe Hemd beginnt zu dozieren. Die Neunziger, verkündet er ein wenig ex cathedra, sind das Jahrzehnt des Kampfes, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit die Konfliktlinien, an denen sich eine neue soziale Bewegung herauskristallisieren wird. Noch ist die letzte Schlacht nicht geschlagen, und nicht erst die Enkel könnten's besser ausfechten. Wir alle sind gefragt. Jetzt ist Bragg ein verspäteter Folk-Brecht, der zur Klampfenbegleitung das Lob der Dialektik singt. Große Worte kommen ihm über die Lippen: Sieg, Sozialismus, internationale Solidarität. Billy, beinhart.
Trotzig wirkt das, aufrichtig bemüht und leider auch ein bißchen bieder. Braggs Politfolklore riecht zu gleichen Teilen nach Werner-Werten und Zentralkomitee, nach Lagerfeuer und evangelischem Kirchentag, nach ehrlichem Engagement und bloßer Kanzelpredigt, nach Marxismus und der Milch der frommen Denkungsart. Sie hat von der glorreichen 60er-Jahre-Aufmüpfigkeit ebensoviel wie von typischer DDR- Linientreue (nicht zufällig war der engagierte Songpoet ein gern gesehener Gast beim »Festival des politischen Lieds«) und flüchtet sich mal in eine gesellschaftliche Nische, mal in die weiten Arme der Weltrevolution.
So was kommt natürlich an, war noch nie so wertvoll wie heute, gerade weil für jeden etwas dabei ist. Sozialismus, predigt Billy, ist vor allem ein Ding zum Anfassen, ist drinnen und draußen, heiß und kalt, Spaß und Ernst, ist Arbeiterkampf, Kneipen-Soli und wenn man morgens nicht aufstehen muß; er ist Heldentum und Brötchenbacken, Fischer, Jäger, Dichter und nicht zuletzt eben auch Billy-Sein — ein Mensch, der mit seinen Liedern auch das kleine Gefühl adelt. Tanzbar ist er allemal, der Sozialismus. Braggs Zugabe, eine alte Nummer der Specials, gerät zum Volksfest im Huxley's. Alles schunkelt zu Ska-Rhythmen, auch ungelenke Bewegungen sind erlaubt.
Als schließlich die Schotten dichtgemacht werden in der Hasenheide, ist die Welt zwar immer noch nicht besser geworden, aber ein Gefühl geht um: Es gibt ihn doch, den Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Er trägt ein olles Flanellhemd, schwitzt heftig unter den Achseln, ist aber ansonsten kein schlechter Kerl. Ein wenig wie du und ich. Geht in Ordnung, sowieso, genau. Thomas Groß
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