: Gesund geblieben
■ Ex-Wiper Greg Sage spielt im Loft
Das Altern ist ein Problem für alle Menschen, um so mehr für Musiker. Die wenigsten schaffen es in Würde, die meisten verkommen zu einer Karikatur ihrer selbst.
Daß gerade Greg Sage, der frühere Kopf der Wipers, mit dem Alter fertig werden würde, war wirklich nicht zu erwarten. Früher einmal war er eine einsame, wütende Axt in der Wüste, die auf alles einschlug, was sich im Sand regte. Ein Monolith im amerikanischen Underground, durch nichts und niemanden zu erschüttern. Ein zutiefst ernsthafter Mensch, einer, der nicht mit sich reden ließ, der wußte, was er Scheiße findet, und deswegen wütend wurde. Damals hießen Songs Return of the Rat oder Potential Suicide.
Daß Menschen, die nicht alle beinander haben, durchaus in der Lage sind, große Musik zu machen, hat nicht nur Daniel Johnston bewiesen. Wer eine Wipers-Platte auflegte oder ein Konzert besuchte, wunderte sich erst einmal, wie eintönig und monoton alles klingt, so scheinbar ohne Struktur, konturlos und schwammig. Doch nach wenigen Minuten tauchte man ein in diesen Brei, wurde hypnotisiert und sank in einen ewigkreisenden Strudel. Und das hatte nichts mit Drogen zu tun.
Die schnellen, harten Wutsachen entwickelten genau dieselbe Wirkung wie der zäh dahinfließende Punkrock der mittleren und späten Wipers. Die Wipers hatten nie ein Umfeld, keine Bands mit ähnlicher Geisteshaltung, keine Fans im klassischen Sinne, sondern nur verrückte Anhänger, die sie kultisch verehrten, weil Greg Sage einer der Menschen ist, die ihr Innerstes nach außen kehren. Die Sorte, die mit den Jahren nicht fülliger wird, sondern immer hagerer und dünner, immer bleicher und erschreckender — wegen zu vieler durchwachter Nächte, zu vielen Mahlzeiten, die überm Grübeln vergessen wurden. Damals gingen Sage die Haare büschelweise aus, seine Kopftücher waren Pflicht und Legende. Als sich die Wipers vor einigen Jahren aufgelöst hatten, kam Sage solo auf Tour, und nichts war besser geworden. Danach war jahrelang nichts mehr zu hören, und niemanden hätte es gewundert, wäre sein Ableben vermeldet worden.
1991 schließlich erschien Sacrifice (For Love), und schon der Titel markiert programmatisch eine Umkehr. Liebe war nun wirklich das unbedeutendste Thema der Wipers, und wenn, war sie unglücklich, sicherlich nichts für ein Opfer. »It's a funny thing loving life« ist eine Zeile von der neuen Platte. Greg Sage war zurück und gesund und gar wundersam geheilt von seiner Wut.
Sacrifice ist schon fast ein Singer/ Songwriter-Album, mit wunderschönen, traurigen Balladen, die trotzdem die hypnotische Wirkung der Wipers haben. Sein Gitarrenspiel rotiert noch genauso manisch, auch wenn es zurückgenommen ist, sein Gesang ist immer noch so schmerzhaft, wenn auch wesentlich sanfter. Es geht viel um Liebe und die Unmöglichkeit, sie doch möglich werden zu lassen. Oder um einfache, hoffnungsvolle Aussagen: »This planet earth / On which we stand / Of all one people / Of all one land.« Das ist der gesamte Text des Songs. Sage machte noch nie zu viele Worte.
Live verlaufen die Dinge naturgemäß immer etwas heftiger, und nicht zu wenige werden sich freuen, daß Steve Plouf, der original Wipers- Trommler, am Schlagzeug sitzen wird. Thomas Winkler
Heute um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
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