: Fahrt durch feministische Gewässer
■ Anne Klein hielt einen Vortrag zum Thema »Rechtsextremismus und die Männerfrage« in der Begine
Mit dem Mauerfall ist Deutschland größer, wilder und vielleicht auch verachtenswerter geworden. Man könnte den Respekt verlieren vor dem »Volk«, das seinen Minderheiten die Existenzberechtigung per Gewaltanwendung absprechen will. In Berlin gibt es Frauen, die an solch einem »Volk« keinen Gefallen finden wollen und den unguten Auswüchsen der Deutschtümelei neue Ideen entgegensetzen. »Defizit oder Dominanz«, das war die Frage am bislang letzten Vortragsabend der Reihe »Wir sind kein Volk«. Als Rednerin ist Ex-Senatorin Anne Klein im Frauencafe und Kulturzentrum »Begine« erschienen, um zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus männlicher Jugendlicher zwei aktuelle Theorien darzustellen und zu beschreiben. Sie liefert zunächst einen feministisch- informativen Rundumschlag über die Situation der deutschen Frau kurz vor der Jahrtausendwende. Fazit: Trotz verfassungsrechtlich verankerter Gleichberechtigung, trotz Antidiskriminierungsgesetz und Frauenförderplänen allüberall wird den Frauen noch immer nicht gewährt, was ihnen gebührt. Auch das zentrale Anliegen der Frauenbewegung könne nicht realisiert werden, »weil in der männllich dominierten Gesellschaft noch immer Männer Frauen den Platz zuweisen«. Bedauerlicherweise sitzen die Platzanweiser der Dominanzkultur an den Schaltstellen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Frauenfrage, resümiert die Rednerin, sei im Grunde eine Männerfrage, aber warum sollten die Inhaber der Macht ihren Status in Frage stellen?
Wir nähern uns der eigentlichen Thematik. Warum erlebt der männliche Mann eine Renaissance überkommener Werte? »Ja wie«, fragt Frau Klein, »hält er diesen Druck, Ernährer und Beschützer sein zu müssen, überhaupt aus?« Die Gesellschaft kranke am Männlichkeitswahn, der sich per Rüstungswettlauf, Umweltzerstörung oder in der Ausübung exzessiver Gewalt jugendlicher Rechtsextremisten äußere. Rechte Jugendgruppen habe es schon zu Zeiten des rot-grünen Senats gegeben, damals seien die Youngsters allerdings bescheidener gewesen: ein paar Pöbeleien hier, ein bißchen Jackenklau da. Nichtsdestotrotz habe das Abgeordnetenhaus reagiert und als Gegenmaßnahme ein Streetworkerprogramm entworfen: 25 Sozialarbeiter auf 1,3 Millionen BerlinerInnen. Dieses Konzept wird heute von der Bundesregierung finanziell unterstützt. Mittlerweile sind 75 Streetworker im Einsatz, aber die Stadtbevölkerung hat sich bekanntlich auch fast verdoppelt. Anne Klein selbst verwirft diesen sozialpädagogischen Ansatz, weil er auf der Defizittheorie basiert.
Da haben wir es endlich, das Thema bzw. die eingangs gestellte Frage: Defizit oder Dominanz? Seit der Wiedervereinigung expandiert die Gewalt in der Stadt, die so gerne Deutschlands erste Metropole wäre und es hoffentlich nicht nur hinsichtlich ihrer Kriminalitätsrate ist. Die Reaktivierung tradierter Vorurteile gegen alles Fremde, so die Rednerin, gipfele in der Devise »Deutschland den Deutschen« und verhindere die Gleichheit aller Menschen durch Gewalt als Regulativ antihumanistischer Betätigung. Dominanz oder Defizit? Vor allem konservative Politiker führen die Gewalteskalation seitens rechtsradikaler Jugendlicher gerne auf die Defizithypothese zurück, die besagt, daß jede ökonomische Krise Nährboden für Gewalt gegen Minderheiten sei. Arbeitslosigkeit, Verarmung, drohende Obdachlosigkeit, die Angst, nicht ausreichend an der gesellschaftlichen Macht partizipieren zu können, werden kompensiert, indem man ein Ausländerwohnheim in Brand steckt. Die Senatorin a.D. kritisiert diese Theorie, nicht nur, weil sie sozial Schwache als alleinige Sündenböcke rassistischer Praktiken sieht, sondern auch, weil sie gleichzeitig die Täter durch Verständnis entlastet und zu Opfern der eigenen Situation macht: Gestrandete auf den Wogen des wilden Ozeans, der kapitalistische Gesellschaft heißt.
Die Defizittheorie führt direkt zur Dominanztheorie. Diese wurde von Frauen erdacht, die, schonungslos mit den Männern verfahrend, geltend machen, Rechtsextremismus sei die Folge struktureller Gewaltverhälnisse, z.B. zwischen Mann und Frau. Keine Gemeinschaft, das wissen wir spätestens seit Simone de Beauvoir, definiert sich als das Eine, ohne ein Anderes entgegenzusetzen. Diese Kategorie der Zweiheit war schon in den primitivsten Gesellschaften anzutreffen, warum sollte gerade die deutsche davon verschont bleiben? Rechtsextremistischen Jugendlichen, erläutert Anne Klein, sei das eigene Ich nichts wert, daher müßten sie sich mit den Machthabern des Obrig- keitsstaats verbünden. Überhaupt sei die Defizittheorie zu verwerfen, weil gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation die Frau zur Manövrierware auf dem Arbeitsmarkt changiere. Es gebe doch keine weiblichen Jugendlichen, die zündeln, schlägern, morden. Die Klientel rechtsextremer Gruppen wird unter Männern gefunden. Mädchen erscheinen, wenn überhaupt, als Anhängsel und tun sich allenfalls verbal, niemals aber durch Gewalt hervor.
Da wird an alten Werten festgehalten, die Frau, sie existiert nur in Abhängigkeit zum Mann, verharrt in Passivität, verordnet sich Verzicht und Unterwerfung, als fürchte sie die Fröste der eigenen Freiheit. Über Frau Kleins These, Mädchen seien nicht militant, läßt sich allerdings streiten. Doch die Theorien sind nun definiert, es ist klar, als Frau, als Feministin gar, müßte für die Dominanztheorie plädiert werden. Allein, es fehlt an Statistiken, Untersuchungen, die belegen, daß der Männlichkeitswahn und nicht soziale Probleme die Ursache für die katastrophalen Ausschreitungen sind und daß zu den bösen Buben auch die Söhnchen aus der Villengegend gehören, nicht nur die Sprößlinge aus Gropiusstadt und den Plattenbauten sozialistischer Wohnsilos. Da ist der Vortrag zu Ende, viele Fragen tun sich auf, Frau Klein kann keine Antworten geben, hatte wohl auch nie die Absicht, dies zu tun.
Eines wäre noch zu betonen: auch der deutschen Frau widerfährt an diesem Abend keine Schonung — ob in Dachau, Auschwitz, Hoyerswerda, immer war sie, wenn auch stumm und im verborgenen, dabei. Dann beginnt die Diskussion, eine Schiffahrt durch die Untiefen feministischer Gewässer. Ratlosigkeit, ein wenig Hilflosigkeit, Heterogenität der Meinung total. Alle Politiker seien weibliche Männer, behauptet eine Zuhörerin, und ab 40 wüchsen ihnen kleine Brüste. Ein Aha-Effekt: der Vortrag ist zwar vorüber, aber wir lernen immer noch dazu. Eine andere wirft ein, Frauen sollten sich wieder auf die Strategie der Verweigerung besinnen. Alles wird ein bißchen angerissen, nichts ausdiskutiert, irgendwann endet alles in Germurmel.
Wie sie nun mit ihren drei Brüdern verfahren soll?, fragt eine orientierungslose Schwester zuletzt. »Bitte keine Familienangelegenheiten«, erwidert die ehemalige Senatorin, »ich bin Familienanwältin«. Damit ist der Redeabend beendet. Alle verlassen das Etablissement, begeben sich hinaus auf die Potsdamer Straße, wo das Leben laut, schmutzig und ehrlich pulsiert. Es ist hilfreich, zu wissen, warum alles so ist, wie es ist. Ob sich jemals etwas ändern wird? Andrea Winter
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