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Nummer 9 lebt

■ ED 9: Der letzte und größte Dampfeimerkettenbagger der Küstengegend kehrt wieder: als Liebesobjekt der Kulturwissenschaft

„ED 9“ — ein Kürzel, das die Augen einiger weniger Kenner strahlen läßt. Zärtlich erzählen sie von ihrem „Monster“, dem „letzten Dinosaurier“, schwärmen von der Hafen-Silhouette, die durch „ED 9“ bestimmt wird, von dem schweren Schanzkleid, den gewaltigen Eimern und — hier wird der härteste Mann weich — von den zahlreichen Dampfmaschinen, Dampfpumpen und Dampfwinden an Bord: „ED 9“ hieß der letzte große Dampfeimerkettenbagger der deutschen Küste.

Hieß. Vor einem Jahr wurde das „Arbeiterdenkmal“ (ein Werftfotograf), das „Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung“ (ein Museums-Gutachter) verschrottet. Selbst der Verschrotter fand: „Ein Verbrechen.“ Einer, der sich seinerzeit für den Erhalt des Baggers massiv eingesetzt hatte, ist Christoph Wagener. Seine Art von Trauerarbeit ist beispielhaft: Er schreibt an der Bremer Uni eine Magisterarbeit mit dem Thema „Kulturgeschichtliche Entwicklung der Naßbaggerei unter besonderer Berücksichtigung der dampfgetriebenen Eimerkettenbaggerei im 19.Jahrhundert.“

Es ist das wunderbare Fach „Kulturwissenschaften“, das es erlaubt, solch privaten Obsessionen vergnügt nachzugehen und dabei Wissenschaftler zu sein.

Vor einem Jahr verschrottet: ED 9. Der Kulturwissenschaftler Christoph Wagener (kleines Foto unten) sammelt jetzt, was noch zu kriegen istFoto: Archiv

Christoph Wagener ist offensichtlich genetisch belastet: Schon der Urgroßvater baute für die Meyer-Werft in Papenburg, die heute gigantische Passagierschiffe herstellt, Maschinen- Gußformen. Heute sammelt sein Urenkel alle Informationen über die Naßbaggerei und versucht zu rekonstruieren, wie das Leben an

hierhin bitte das

Foto von dem

Baggerschiff

aufm Fluß

(und unterhalb das

kleine Foto

von dem Mann

mit Brille)

Bord aussah.

Die Naßbaggerei war die Voraussetzung für jede nennenswerte Flußschiffahrt. Häfen und Fahrrinnen mußten schon im Mittelalter mit „Handbaggern“ ausgeräumt werden. Später wurden die Bagger mit Treträdern oder Pferdekraft betrieben. 1742 baute man für die Weserbaggerei Baggerschiffe, die mit Windkraft angetrieben wurden: Eine eigene Windmühle lieferte die Energie — diese Technik war mangels Erfolg bald vergessen. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts entstanden in England die ersten Dampfbagger. Das Lebenswerk des Bremer Wasserbauingenieurs Ludwig Franzius — der Bremer Hafen und die „Unterweserkorrektion“ — kam mit Hilfe einer Dampfbaggerflotte zustande.

Der „ED 9“, 1926 in Stettin gebaut, baggerte bis 1985 die Fahr

rinne der Ems bis nach Borkum frei. Zunächst verfeuerte er Kohle; erst 1971 wurde auf Öl umgestellt. Mit 250 PS aus einer Dreifach-Expansions-Maschine (drei Zylinder, Kolben von 80 Zentimeter Durchmesser) holte er aus 14 Metern Tiefe in der Stunde 600 Kubikmeter Schlick und Sand, um sie auf Schuten (Schiffs-Plattformen ohne eigenen Antrieb) zu schütten. Dazwischen waren auch immer wieder archäologische Fundstücke. Und nach dem Krieg Bomben.

Die rasselnde, quietschende Eimerkette des 50 Meter langen und 9 Meter breiten Rost-Ungetüms, der Höllenlärm, wenn Wackersteine in die Schuten polterten, Nässe und Kälte und Dreck: Die Arbeit an Bord von „ED 9“ war alles andere als angenehm und hatte auch mit der christlichen Seefahrt wenig zu tun. Die Männer an Bord verstanden sich weniger als Seeleute denn als Malocher, besonders die „Winden-Leute“, die mit Dampfkraft den Bagger bewegten. Denn

aus eigener Kraft fahren konnte der „ED 9“ nicht: lediglich ein Hin- und Herpendeln von ca. 200 Metern war möglich, indem mit einem Schlepper Anker ausgebracht und über Winden wieder eingeholt wurden. Offiziell gab es denn auch keinen Kapitän an Bord; Chef war der „Geräteführer“, oft ein abgestiegener Kapitän a.D., der lediglich mal den Sextanten bedienen mußte: Exakt sollte die Fahrrinne schon sein.

Zur guten alten Kohlezeit waren 22 Mann an Bord, in der Regel 14 Tage hintereinander. Sie lebten gefährlich; Wagener hat die Unfall-Statistiken noch nich vorliegen, doch Kettenbrüche waren

1991 zerlegten Schneidbrenner den letzten Wassersaurier seiner Art. Selbst der Verschrotter sprach von einem „Verbrechen“

häufig, und ein „Eimer“ wog eine halbe Tonne. Manchmal ging auch die ganze Eimerkette dabei über Bord.

Der sauberste Platz an Bord war die Bank des Maschinisten unter Deck. Noch ein Hinweis auf den „Alltag“: dem Forscher Wagener liegt eine Proviantliste vor, auf der besonders die große Anzahl von Schnapskisten auffällt. Die ausgesprochen unromatische Realität an Bord des „ED 9“ erklärt vielleicht, warum sich kaum ein „Ehemaliger“ für den Naßbagger einsetzte, als es 1989 darum ging, ob er ein Dampfmaschinen-Museum werden sollte. Auch die Stadtväter von Papenburg empfanden den Rostkahn als Schandfleck und vor allem als manifeste Bedrohung des städtischen Etats: Von Umbaukosten über eine Million Mark wurde gemunkelt.

Ganze Gründerzeit-Siedlungen werden aufgemöbelt, Fabriken vorsichtig entkernt und neu genutzt, Manufakturen zerlegt und in Freiluftmuseen wiederaufgebaut. Der einzige bekannte Dampfeimerkettenbagger dieser Größe, dessen Geschichte eng mit der Kulturgeschichte des Küstenraums verbunden ist, wurde dagegen 1991 von Schneidbrennern zerlegt. Was bleibt, sind die Nekrologe der Kulturwissenschaftler. Christoph Wagener sucht zur Zeit nach den Bordbüchern des „ED 9“. Wg. Alltag. Burkhard Straßmann

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