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Wo die Koka blüht

Die Politik der Drogen-Substitution in den Andenländern steht vor dem Scheitern  ■ VON KAI AMBOS

Ende Februar fand im US- Bundesstaat Texas das Nachfolgetreffen des „Kokaingipfels“ von Cartagena (Kolumbien) im Jahre 1990 statt. In der am 27.Februar von den Präsidenten der USA, Kolumbiens, Perus, Boliviens und diesmal zusätzlich Ecuadors, Mexikos und dem Außenminister Venezuelas verabschiedeten, 16seitigen „Erklärung von San Antonio“ wird insbesondere die Wichtigkeit und „Effizienz“ der in der Andenregion propagierten Strategie „alternativer Entwicklung“ betont — also Substitution der Koka durch alternative landwirtschaftliche Produkte und Produktionsformen. Peru und Bolivien nehmen sogar gesondert zu ihren „Erfolgen“ in der Koka-Substitution Stellung. Wie in Peru (taz vom 8.Januar 1992) gibt jedoch auch die Realität in Bolivien wie auch in Kolumbien kaum zu dem von der Erklärung verbreiteten Optimismus Anlaß.

Bolivien: Substitution ja, Entwicklung nein

Die Region Chapare in Bolivien ist nach dem peruanischen Huallaga- Tal das zweitgrößte Koka-Anbaugebiet der Welt, mit rund 50.000 Hektar Anbaufläche. Dementsprechend aktiv sind auch hier die staatlichen Versuche, den Anbau zu reduzieren. In Villa Tunari, der größten Stadt Chapares, eröffneten 1989 das UNO-Drogenkontrollprogramm (UNDCP) und das bolivianische „Programm alternativer Entwicklung“ (PDAR) ihre Büros, finanziert von der US-amerikanischen staatlichen Organisation US-AID.

Die vom „Staatssekretariat für Alternative Entwicklung“ präsentierten Statistiken sind auf den ersten Blick beeindruckend. Zwischen 1987 und Ende 1991 wurden demnach im Chapare mehr als 16.000 Hektar Anbaufläche zerstört, also fast 30Prozent. Offizielle Stellen gehen davon aus, daß kein wesentlicher Neuanbau stattgefunden habe, es sich also um eine Nettoreduktion handele. Die wahre Aussagekraft dieser Zahlen ist jedoch zweifelhaft. Im unzugänglicheren Norden der Region, mehr als 100Kilometer von Villa Tunari entfernt in Richtung des Departments Beni, sollen nach Angaben von UNO-Mitarbeitern Tausende Hektar neu angebaut worden sein.

Von den insgesamt zwei Millionen Hektar des Chapare sind mindestens 1,5 Millionen „koka-tauglich“ — dem Neuanbau sind also keine Grenzen gesetzt, solange der Preis stimmt und den Bauern keine rentablen Alternativen geboten werden.

Der Kokapreis in Chapare ist größeren Schwankungen unterworfen als in den Anbaugebieten Perus und Kolumbiens — 1991 zwischen 12 und 81 US-Dollar pro 50Kilo — und konnte noch nicht entscheidend gedrückt werden. Im Gegenteil: Ende 1990 betrug er durchschnittlich 20Dollar, im Juni 1991 53 und im November 56Dollar. Dies ist einerseits auf die Verminderung des Angebots durch die Anbauflächenreduktion zurückzuführen, die somit kontraproduktiv wirkt. Ein anderer Faktor ist die verstärkte Nachfrage, die ihrerseits zu einer Zunahme des illegalen Drogenhandels in der Region führt.

Mit der verstärkten Repression in Kolumbien haben sich kolumbianische Handelsorganisationen in Bolivien etabliert. So wurden schon im Januar 1991 Mitglieder des kolumbianischen Cali-Kartells im bolivianischen Department Beni festgenommen. Die großen Kokapreis- Schwankungen im Chapare deuten außerdem auf eine erhebliche Mobilität und Flexibilität des Drogenhandels hin, die so der Interdiktion entgeht. Die Interdiktion selbst, ausgeführt von der durch die US-Drogenpolizei DEA ausgebildete und ausgerüstete Spezialtruppe für den ländlichen Bereich „UMOPAR“ — wegen ihrer gepunkteten Uniform „Leoparden“ genannt —, erscheint nicht besonders effizient. In Eteramazana etwa, einem Kokadorf 40Kilometer nördlich von Villa Tunari, kontrolliert seit über einem Jahr eine UMOPAR-Patrouille den Kokaverkauf. Die lokale Kokasammelstelle verkauft zwar nur gegen staatliche Genehmigung, um zu verhindern, daß die Koka zur Kokainweiterverarbeitung verwendet wird; eine solche Genehmigung erhält jedoch gegen entsprechende Bestechung jeder. UMOPAR kassiert außerdem für jeden Sack eine „Steuer“ von etwa 30Cents und läßt so die prall gefüllten Kokasäcke in der Regel ohne Inhaltskontrolle passieren, ohne deren weiteren Weg zu verfolgen, so daß eine Weiterverwertung zur Kokainherstellung nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Bauern sind von der Reduktion nicht begeistert

Hinzu kommt — wie von der „Menschenrechtsvereinigung Cochabamba“ ausführlich dokumentiert —, daß sich die Repression der UMOPAR allzuoft gegen die kleinen Kokabauern und Transporteure richtet. Exzesse, von Körperverletzungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen, sind keine Seltenheit. Angebotsminderung durch Kokareduktion und mangelnde Effizienz der Interdiktion halten sich die Waage und den Kokapreis hoch. Darunter leidet auch die Akzeptanz der Projekte alternativer Entwicklung, finanziert von UNDCP und US-AID.

Gerade fünf Prozent der Chapare- Bauern bauen kein Koka, sondern nur Alternativprodukte an; nach unabhängigen Informationen haben Alternativprojekte gerade ein Prozent der bäuerlichen Bevölkerung erreicht. Die Bauernorganisationen beklagen sich, daß „sich seit 1987 nichts verbessert“ habe. Ende 1991 kündigten Bauernvertreter sogar eine Suspendierung der Kokareduktion an, bis die Versprechen von alternativer Entwicklung wahr werden. Hinzu kommen sozio-politische Probleme. Keines der existierenden Projekte, so der Projektsoziologe Lizaraga, ist in Zusammenarbeit mit der Bauernschaft entwickelt worden; vielmehr sind sie Folge der von den USA betriebenen Politik der Kokareduktion. Seit August 1991 liegt ein von Bauernvertretern und unabhängigen Organisationen entworfener „kurzfristiger Aktionsplan“ zusammen mit Berichten sechs verschiedener Kommissionen vor — doch wird er von der Regierung nicht aufgegriffen.

Jegliche US-Hilfe ist an das Erreichen bestimmter Koka-Reduktionsziele gebunden, zuletzt — in der Neufassung des bilateralen Abkommens vom August 1991 — festgesetzt auf 7.000 Hektar für das Jahr 1991. Reduziert wurden schließlich nur 4.500 Hektar. Der Großteil der US-Entwicklungshilfe, kanalisiert durch US-AID, wird zudem nicht in die Kokazone Chapare investiert, sondern in die weiter südlich liegenden valles altos, wo überhaupt keine Koka angebaut wird. Während Chapare 1990 etwa 128.000 Dollar erhielt, bekamen die valles altos 1,2 Millionen; 1991 war das Verhältnis ausgeglichener, mit 3,2 gegenüber 3,6 Millionen Dollar. Ein vertrauliches US-AID-Dokument nennt als Begründung, daß die Bevölkerungen der valles altos potentielle Arbeitskräfte für die Kokainhändler des Chapare darstellen und deshalb ihre Migration verhindert werden müsse. Außerdem, so Robert Callahan von der US-Botschaft, habe man lange Zeit geglaubt, Entwicklung der Kokazonen sei dem Drogenhandel förderlich — so etwa die Nutzung von Projektstraßen für Drogenflüge (weshalb an den Straßenrändern jetzt sogenannte „Bushaltestellen“ aufgestellt werden, um das Landen von Drogenflugzeugen zu verhindern).

Bolivianische Experten und selbst der italienische UNDCP-Vertreter Giovanni Quaglia bezweifeln jedoch die Richtigkeit dieser Argumentation und halten das US-Interesse an alternativer Entwicklung für gering. Über die wahren US-Interessen darf spekuliert werden. Nach German Portada, einem Vertreter der Kokabauern, geht es den USA darum, „den Chapare zu entvölkern, um danach die Koka ungestört militärisch zu zerstören“. US-Vertreter Callahan weist solche Anschuldigungen zurück, gibt aber Fehler zu und spricht von einer „Änderung der Philosophie“: Es werde nun mehr in den Chapare investiert und Maßnahmen gegen die Kokabauern oder ihre Infrastruktur — etwa die Sprengung von Straßen — unterlassen. Statt dessen versuche man, die großen Organisationen aufzubrechen — durch Sammeln geheimdienstlicher Informationen. „Die unterste Ebene unserer Interdiktion“, so Callahan, „ist der Käufer der Kokapaste.“ Daß diese neue Politik sich nicht in offiziellen US-Dokumenten durchgesetzt hat, liegt ihm zufolge daran, daß „diese nicht so detailliert sind“. Dies sei dahingestellt. Tatsache ist, daß immer noch Übergriffe gegen die Chapare-Bauern stattfinden.

Im anderen Kokaanbaugebiet Boliviens, dem subtropischen Yungas im Department La Paz, gestaltet sich nicht nur die alternative Entwicklung, sondern auch die Kokareduktion schwierig. Die 9.000 Hektar Koka dieser Zone gelten größtenteils als traditionell — und damit legal — und werden von der staatlichen Kokadirektion DINACO legal vermarktet. Dabei kann man aber davon ausgehen, daß bis zu 70Prozent der Koka schon vorher illegal zur Kokapastenherstellung umgeleitet werden. Während des von 1985 bis Ende 1990 arbeitenden Mammutprojektes „Agroyungas“, mit einem Etat von 22 Millionen Dollar, wurde die Kokaanbaufläche nur um etwa 500 Hektar reduziert. Da der Preis der Yunas-Koka noch immer höher ist als der existierender legaler Pdodukte, verwundert es nicht, daß 1991 praktisch keine Koka reduziert wurde und viele Bauern erneut angebaut haben.

Kolumbien: Hoffnung fernab vom Staat

In der kolumbianischen Provinz Argelia, fernab von jeglicher Zivilisation in der Gebirgskette der westlichen Kordilleren gelegen, finanziert Deutschland ein Kokasubstitutionsprojekt des UNDCP (UNFDAC/ OSP Col/85/426) — bis 1994 mit 9,5 Millionen US-Dollar. Ein Großteil dieser Zone im Süden des Departments Cauca wird von der Guerilla kontrolliert. Es existiert zwar ein Polizeiposten, aber die dort stationierten Polizisten bevorzugen, ihn nicht zu verlassen, wenn die Guerilla im Dorf ist. „Die einzigen, die sich in dieser Zone bewegen, sind wir vom Projekt“, bemerkt UNO-Mitarbeiter Ruben sarkastisch.

Als die UNO 1985 ihr Projekt begann, sah sie sich einer bäuerlichen Bevölkerung gegenüber, deren einzige Erfahrung mit der staatlichen Autorität die brutalen Einsätze der Antidrogenpolizei war. „Wenn wir die Polizei hörten, ließen wir alles stehen und liegen und machten uns aus dem Staub“, erinnert sich Luis, einer der großen Kokabauern dieser Zeit. In Willküroperationen wurden nicht nur Kokafelder niedergebrannt — auch legales Eigentum der Bauern wurde geraubt und zerstört. Nach Abzug der Polizei kehrten die Bauern aus ihren Verstecken zurück und bauten wieder Koka an.

Wie auch offizielle Stellen bald erkannten, bauten die Bauern die Koka nicht aus kriminellen Gründen in organisierter Form für die Kartelle an, sondern gleichsam „instinktiv“ — als einziges Produkt, für das die „Senores aus Cali oder Medellin etwas bezahlt haben“. Die nackte Repression hat deswegen nicht nur den Koka-Anbau nicht reduziert, sondern auch ein tiefes Mißtrauen gegen jegliche staatliche Aktivität erzeugt. „Die Leute“, so Projektkoordinator Jesus Mendez, „verwechselten anfangs die UNO mit den USA und dachten, wir seien von der Polizei. Es bedurfte langer und vieler Versammlungen, um ihr Vertrauen zu gewinnen.“

Und vor allem bedurfte es der Entwicklung konkreter Überlebensalternativen. Das UNO-Projekt hat eine integrierte Entwicklung der Zone verfolgt: Zunächst wurde die legale Produktion von Kaffee, Kakao, Yuca, Bohnen und Mais durch technische Unterstützung um das vier- bis fünffache gesteigert.

Absatz und Vermarktung der Alternativproduktion — Crux jeder Substitution — wurde durch die Organisierung von Produktionskooperativen erleichtert: Jede Gemeinde bildete Kooperativen, welche die lokalen Produkte kaufen und landesweit vermarkten. Parallel dazu wurde die Infrastruktur verbessert, es wurden Sozialprogramme, insbesondere im Erziehungs- und Gesundheitsbereich, durchgeführt. Dank dieses integralen Ansatzes konnte das Projekt bis Dezember 1991 nicht nur auf eine Kokareduktion von 5.000 bis auf nur noch 2.000 Hektar verweisen, sondern auch auf die allgemeine Entwicklung einer vorher vernachlässigten Zone.

Die Guerilla und die Kokabauern

Auf dem gebirgigen Weg nach Argelia sind mit Hilfe des Projektes gebaute Steinhütten zu sehen: Schulgebäude, Kindergärten, Kleinfabriken zum An- und Verkauf der Alternativprodukte und „Kommunalläden“, in denen bestimmte Grundnahrungsmittel aus der nächsten Stadt gekauft und zum Selbstkostenpreis abgegeben werden.

Mit dem UNO-Projekt hat die Anbindung an die Zivilisation stattgefunden. Dörfer wie Puerto Rico und Sinai, tief im Gebirge und früher nur in tagelangen Fußmärschen erreichbar, haben heute einen täglichen Busdienst, und UNO-Fahrzeuge helfen beim Transport von Gütern und Personen. „Wir haben ziemlich viel erreicht“, so ein Bewohner Puerto Ricos, „und das gibt uns Hoffnung auf weitere Fortschritte.“ Doch fehlt es noch an vielem: Die Wasserversorgung funktioniert nur mangelhaft mit großen Tanks, Elektrizität gibt es nicht, Radio und TV können nicht empfangen werden. In der Stadt Argelia spendet ein Generator jetzt immerhin zwischen 18.30 und 21Uhr Strom.

In den abgelegenen Dörfern der Provinz Bolivar sieht es ähnlich aus. Die 63 Familien von Crucero Bello, wie Puerto Rico einst eine der Hochburgen des Koka-Anbaus und der Verarbeitung zu Koka-Paste, leben heute größtenteils von Kaffee. „Die vom Projekt“, so Luis, ein Vorreiter der Substitution, „haben uns beigebracht, wie wir andere Produkte besser anbauen und verkaufen können. Außerdem hat sich die schreckliche Gewalt verringert. Vor zwei Jahren haben sich die Bauern hier mit den Kokageldern Waffen gekauft und sich wegen jeder kleinen Streitigkeit umgebracht.“ Außerdem ist der Kokapreis erheblich gefallen: Heute bringt das Hauptsubstitutionsprodukt Kaffee etwa 13US-Dollar für 12Kilogramm, fast doppelt soviel wie Koka (sieben Dollar); selbst Kakao liegt mit acht Dollar höher.

Doch eine halbe Stunde Fußmarsch von Crucero Bello entfernt, tief im Urwald, stoßen wir auf ein Kokalabor. Hier wird unter Verwendung eines Gemisches aus Kalk, Benzin, Natriumkarbonat, Salzsäure und Wasser das Kokain-Alkaloid in mehreren Stufen aus den Koka-Blättern extrahiert und Kokapaste (basuco) mit einem Reinheitsgrad bis zu 50Prozent hergestellt. Die graue, lehmige Paste wird getrocknet und an die „Senores aus Cali“ zur Weiterverarbeitung verkauft, zum lächerlich niedrigen Preis von 90Pesos pro Gramm (etwa 40Pfennige) — einst betrug der Preis 600Pesos.

Wie selbstverständlich erklären uns die Bauern ihre Arbeit, erlauben uns Fotos, tauchen ihre Hände bedenkenlos in die giftige Chemiebrühe und schütten sie in einen Bach.

In El Mango, 40 Minuten von Argelia entfernt, „patrouilliert“, so Ruben, „regelmäßig die Guerilla“. Kaum hat er den Satz beendet, springen zwei gutbewaffnete Mitglieder der „Revolutionären Kommunisten“ (FARC) aus den Büschen und gebieten uns, anzuhalten. Hundert Meter weiter, im Zentrum von El Mango, sitzt der Kommandeur dieser Einheit: Für wen wir arbeiten, will er wissen, ob die Armee etwas damit zu tun hat, ob sie in der Nähe ist?

Die Position der Guerilla bezüglich der Koka ist ambivalent. Einerseits werden Anbau und Verarbeitung toleriert; der Konsum von basuco wird hingegen aufs schärfste bestraft, angeblich sogar bis zum Tode. Das strikte Regime der Guerilla, so Projektmitarbeiter, hat dem UNO- Projekt jedoch geholfen: Die Guerilla hat begriffen, daß das Projekt der Bevölkerung zugute kommt und verhält sich daher neutral. Auch ihr Verhältnis zur Bevölkerung ist eher distanziert. „Niemand ist gegen die Guerilla, aber auch niemand besonders dafür“, sagt ein Bewohner der Gegend.

Die Grenzen des UNO-Projektes liegen außerhalb seiner Kontrolle. Zwar glauben die Mitarbeiter, daß kein erfolgreich „gewandelter“, legaler Bauer freiwillig wieder Koka anbaut — doch wenn der Kaffeepreis fällt und der Kokapreis steigt, kann er dazu gezwungen werden.

Und schließlich beträgt der Anteil der durch das Projekt erreichten Kokareduktion an der Gesamtanbaufläche Kolumbiens, Perus und Boliviens (etwa 210.000 Hektar) gerade etwa ein Prozent — also nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

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