: 500 Jahre Kampf um Korsika
■ 1492 wurde der Grundstein für die korsische Stadt Ajaccio gelegt. Im Jubiläumsjahr erhofft man sich einen Aufschwung des Tourismus, der durch den schlechten Ruf bombenlegender militanter Autonomisten...
1492 wurde der Grundstein für die korsische Stadt Ajaccio gelegt. Im Jubiläumsjahr erhofft man sich einen Aufschwung des Tourismus, der durch den schlechten Ruf bombenlegender militanter Autonomisten beeinträchtigt wird. VON KARL W. BIEHUSEN
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in halbes Jahrtausend „danach“: Alle feiern oder schmähen Columbus. Am Rande feiern auch KorsInnen mit, denn das korsische Calvi ist eine der vielen Städte, die sich als Geburtsort des Seefahrers ausgeben. Einen triftigeren Grund zum Feiern haben jedoch die „Aiaccini“, die Bewohner der korsischen Hauptstadt: Ebenfalls vor 500 Jahren, am 30.April 1492, wurde der Grundstein für eine Festung auf dem Capo di Bollo und damit für die Stadt Ajaccio gelegt, die sich in seinem Schutz ausbreitete.
Mittlerweile ist die Festung zur vergleichsweise kleinen Zitadelle geschrumpft, die aber noch immer militärisch genutzt wird. Ihre Gründer kamen aus der Handelsmetropole Genua, die seit dem 13.Jahrhundert immer größere Teile Korsikas beherrschte.
Als Ajaccio gegründet wurde, waren die realen Machtverhältnisse in der ligurischen Stadt besonders deutlich geworden: Die genuesische „Bank vom hl. Georg“ durfte als Gläubiger der Republik die korsischen Pfründe nutzen. Ihrem Schutz sollte die neue Festung dienen.
Gefahren drohten der Stadt von zwei Seiten: Auf dem Mittelmeer kreuzten Piraten aus der Levante, deren Bezeichnung „Korsaren“ auf einen Bootstyp zurückgeführt wird; mit Korsika verband sie zwar oftmals ihre Herkunft, aber noch öfter war es das Zielgebiet von Überfällen.
Überfälle drohten aber auch aus den Bergen, die wie eine Mauer hinter der Stadt aufragen. Korsische Feudalherren bemühten sich, meist im Auftrag iberischer Könige, den Bankern ihre Beute abzujagen. So wurden zunächst — außer italienischen Kolonisten — in den Mauern der Festung nur als Genuafreunde ausgewiesene Korsen geduldet. Heute drängeln sich die Touristen in den engen Gassen dieser italienisch wirkenden Altstadt, auf der Suche nach Pizza und Polente und nach dem Geburtshaus von Napoleon I. (1769-1821).
Die Lage des „Maison Bonaparte“ in der Altstadt verweist auf die italienische Abstammung der Familie, die Kritiker des Kaisers selten zu erwähnen vergessen. „Echte“ Korsen durften sich erst seit dem 16.Jahrhundert vor den Toren der Stadt ansiedeln, im „Borgo“. Dort verläuft heute die Rue du Cardinal Fesch.
Sie ist, wie viele andere Straßen der Stadt, nach einem Mitglied des kaiserlichen Clans benannt, dessen wichtigste Vertreter (außer dem Chef selber) in der kaiserlichen Kapelle beigesetzt wurden. Im benachbarten Palais Fesch befindet sich ein sehenswertes Museum für vorwiegend italienische Renaissance- und Barockgemälde.
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apoleon I. ist als Werbeträger und als Denkmal in seiner Heimatstadt allgegenwärtig. Sein Geburtstag am 15.August dürfte in diesem Jubiläumsjahr noch üppiger als früher gefeiert werden. Bereits am 19. März wurde das Fest der Schutzheiligen der Stadt, „Notre- Dame de la Miséricorde“, ausgiebig begangen.
Für die Würdigung der Verdienste zweier Kaiser aus dem Hause Bonaparte (eigentlich Buonaparte) sorgen schon die Bonapartisten, eine politische Gruppe, die trotz ihrer streng zentralistischen Ansichten in Frankreich gar nichts und auf Korsika nur wenig zu sagen hat, aber traditionell im Rathaus Ajaccios regiert.
Längst ist die Schmach vergessen, die ihrem Ahnherren Bonaparte 1793 widerfuhr: Nationalisten jagten den gerade ins Lager der Franzosenfreunde gewechselten Jungoffizier ins Exil. Nur ein einziges Mal, im Jahre 1799, kam Napoleon auf der Rückreise vom mißglückten Ägypten- Feldzug zurück und besuchte bei dieser Gelegenheit sein Elternhaus.
Dennoch haben er und noch stärker der zweite Napoleon auf dem Kaiserthron für die Stadt einiges getan: Ajaccio hat seine großzügige Anlage und viele klassizistische Prachtbauten im 19. Jahrhundert erhalten.
In jenem Jahrhundert entdeckten englische Aristokraten den Reiz der Inselmetropole, ihren französischen Flair und ihr mediterranes Klima. Ließen sich doch in den milden Wintern Opernbesuche und ein origineller Karneval mit der prickelnden Nähe zu den Schauplätzen von Vendetten verbinden, die französische Novellisten gerade in den literarischen Salons des Kontinents bekannt gemacht hatten.
Mérimée, Maupassant und Stendhal haben die Banditen gefeiert. Flaubert hat sogar den Golf von Ajaccio gepriesen, „wo das Wasser so klar ist, daß man sehen kann, wie sich die Fische und Wasserpflanzen in den Wellen bewegen“. Badefreuden, wie sie Touristen heute am Rand des Golfes von Ajaccio genießen, suchten die Ausländer damals weniger als gepflegte Atmosphäre. Nur Balzac fand einige böse Worte über die „grönländische“ Provinzialität Ajaccios — nicht eine einzige Zeitung erschien in Korsika.
Am Cours Grandval, einem der Boulevards der Stadt, entstand in jenen Jahren die erste korsische Feriensiedlung. Eine gewisse Miss Campbell ließ hier sogar eine englische Landkirche bauen, um auch in der Fremde dem anglikanischen Gottesdienst beiwohnen zu können; in ihr lernen heute Korsen tanzen. Damals wohnten die Touristen in eher protzigen Villen und mondänen Hotels.
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ber dem ehemaligen Luxus-Hotel „Continental“ weht heute die korsische Flagge, ein Mohrenkopf auf weißem Grund: Hier tagt die „Assemblée Régionale“, das Parlament der Region Korsika. 13 der mehrheitlich konservativen und zentralistisch gesinnten 51 Abgeordneten sind dem keineswegs homogenen Lager der Autonomisten zuzurechnen. Mit diesem Begriff muß man freilich auf Korsika vorsichtig sein. Nicht nur weil sich auch „Grüne“ hinter die Leitfigur des korsisch-nationalistischen Lagers, Edmond Simeoni, geschart haben, dem wiederum eine radikale Gruppe mit vier Abgeordneten ihre Gefolgschaft verweigert. Parteien und politische Ziele sind den Korsen stets bedeutsamer erschienen als die Personen und Clans, die Politik machten.
Politik wurde und wird auf der Insel überdies nicht nur mit dem Stimmzettel betrieben. Ein Schloß zeugt von den Formen, die derartige Machtkämpfe annehmen können. Graf Pozzo di Burgo ließ es als guter französischer Royalist 1886 bis 1894 aus den Trümmern des Pariser Tuillerien-Palastes bauen, den Communarden 1871 zerstört hatten. So hielt er die Familientradition in Ehren, die ein Vorfahre als Gegner Napoleons begonnen hatte: Zuerst beteiligte er sich an der Vertreibung Bonapartes aus Korsika, später — im Solde des russischen Zaren — auch an seiner endgültigen Exilierung. Noch hundert Jahre später mag sich irgend jemand gekränkt gefühlt haben: 1979 brannte das Schloß aus. Seitdem krönt eine Ruine den Berg „Punte Pozzo di Borgo“, von wo man einen wunderschönen Blick über Ajaccio und den Golf hat. Von hier aus könnten verbitterte Korsen im Jahre 1492 Augenzeugen der Grundsteinlegung des Schlosses gewesen sein, von der ihre Nachfahren sich im Jubiläumsjahr einen Aufschwung des Tourismus erhoffen.
Den können die Korsen zumindest ökonomisch gut gebrauchen. Denn der Fremdenverkehr leidet unter dem schlechten Ruf, den militante Autonomisten der „nächsten der fernen Inseln“ zugefügt haben. Die Zeit scheint still zu stehen im Schatten der korsischen Berge: Banker und Bodenspekulanten sind die Gegner der politisch motivierten Bombenleger — wie schon vor 500 Jahren.
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