: David, wie kommen die Haare unter die Mütze?
■ Ein Labyrinth einzelner Himmel — Fotografien zu Andrej Worons Teatr Kreatur von David Baltzer in der Kaschemme des Theaters am Ufer
Eigentlich — also eigentlich müßte man die für die Hängung der Fotografien Verantwortlichen streng, hart aber gerecht bestrafen: das kann man doch nicht machen!
Da begibt sich unser aller Freund und Bekannter David Baltzer mit seinem Fotoapparat (Marke: bescheiden, aber gut) hinter, auf, unter und wer weiß wohin zwischen die Kulissen und fotografiert die aufregendsten Sachen einfach so vor sich hin. Man muß sich streng zusammennehmen und konzentrieren, um hier, in der Kaffee- und Schnapsbude im dritten Stock des Theaters am Ufer, in diesem pechschwarz gepinselten und vielleicht 16 Quadratmeter großen Raum, — um hier die wunderbaren Fotos betrachten zu können. Zwei Reihen von 8 bzw. 10 Bildern, ohne Rahmung und Extrabelichtung auf die Wand genagelt, geheftet.
Bei zwei Aufführungen war Baltzer zugegen. Was er da alles zu sehen bekam und vor allem wie — das wünschte man sich das ein oder andere Mal selbst auf diese Art zu erblicken: die Ausschnitte könnte Brassai nicht besser gewählt haben, die Stilleben (z.B. das mit der Puppe — grandioso!) könnten von Man Ray stammen, und die Licht- und anderen Kompositionselemente sind eingesetzt wie bei einem Filmregisseur.
Nein, ich übertreibe an dieser Stelle nicht: das ist ganz hohe Fotokunst, die an keiner Stelle vorlaut, aufdringlich oder gequält wirkt. Man kann in den Motiven versinken, wird nachdenklich, melancholisch. Man freut sich an ihnen — und dann denkt man: ach, wär ich doch beim Theater — wo es so zugeht, da müssen gute Menschen beisammensein. Baltzer fotografiert diese Menschen oder die sie umgebenden Gegenstände. Haben sich diese Gegenstände selbst so ins rechte Licht gerückt, an diese Stelle des Parketts? Mitnichten. Um solche hinreißenden Bildausschnitte auf Celluloid bannen zu können, um so zu »schaffen« — dazu gehört Talent und Arbeit. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
Aber lieber David — also: da ist dieses ganz schöne Bild mit den zwei Chaplin-Melonen und daneben diese Franz Biberkopf-Schiebermütze. Ich schaue diese ausgewogene Komposition an, frage nach den Hut- und Mützenträgern, denke: danach, ach!, nie wieder, vorbei... und dann das: Da entdecke ich doch unter der Schiebermütze dieses Haarbüschel, und sofort kommt mir irgendein Kommissar in den Sinn, der dieses Büschel als eindeutiges Indiz Deiner großartigen Fotokunst gegen Dich verwenden wird. Es könnten nämlich Zeiten kommen, in denen so fantasievolle Menschen — wegen dieser ihrer Fantasie — verhaftet werden. Bekenne also: woher kommen die Haare. Martin Kieren
Ein Labyrinth einzelner Himmel , Fotos von David Baltzer, bis 31.5. ab 18Uhr im Theater am Ufer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen