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INTERVIEW„Optimismus des Willens“

■ Interview mit dem Physiker und Zukunftsforscher Fritjof Capra

taz: Daß wir uns in einer Krise befinden, diese Feststellung gehört ja schon fast zum guten Ton. Wo aber ist die Wendezeit, von der Sie immer wieder reden?

Fritjof Capra: Da kann man gutes und schlechtes drüber sagen. Zuerst muß man sagen, daß sich die Krise sehr verstärkt hat, was vorherzusehen war. Wenn es zu einer radikalen Wende kommt, sind am Anfang dieser Wende die Effekte des alten Denkens und Handelns besonders aktiv. Erinnern Sie sich, wie das beim Waldsterben war. Das wurde uns in seinem großen Ausmaß erst bewußt, als Auspuffgase und Emissionen schon zurückgingen. So ist es auch im großen Rahmen. Auf der Hoffnungsseite muß man sagen, daß es in den letzten Jahren einiges gab, was Menschen mobilisierte, und auch in der Industrie greift das ökologische Denken um sich.

Einer dieser Industriellen, der Schweizer Schmidheiny, meinte vor kurzem, die Menschheit lerne nur durch Katastrophen.

Das glaube ich auch. Ob es zu spät ist oder nicht, kann man noch nicht sagen. Die Prognose des „World Watch Institutes“ besagt, daß wir bis zum Jahre 2030 eine ökologisch tragfähige Gesellschaft haben müssen, sonst werden wir es nicht schaffen. Um das „Zu spät“ mache ich mir keine Sorgen, denn die würden so lähmen, daß man nicht weitermachen kann. Das will ich aber.

Auch wenn der klassische Fortschrittsbegriff ebenso wie der traditionelle Entwicklungsbegriff am Ende sind, was ist der modische Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ heute mehr als Floskel? Ein Wort, das erfunden wurde, bevor man es füllte?

Mir gefällt das Wort „nachhaltig“ für sustainability auch nicht. Ich sage lieber „ökologisch tragfähig“, „Beständigkeit“. Das ist wirklich ein Begriff, den man klar fassen kann: Eine Gesellschaft, die ihre Lebensgrundlagen nicht zerstört, die die Chancen der künftigen Generation nicht vermindert. Jetzt wird dies aber gekoppelt mit dem alten Entwicklungsbegriff. Diese beiden Entwicklungsbegriffe sind jedoch nicht kompatibel. Der „andere“ Entwicklungsbegriff ist ökologisch tragfähig, ist partizipativ und selbstgestaltend. Ich wollte, wir hätten zwei Begriffe für diese Art von Entwicklungen.

Gibt es nicht auch beim Ökologiebegriff zwei Konnotationen? Die Politik meint doch oft nur Ressourcenverwaltung.

Der norwegische Philosoph Arne Ness postulierte Anfang der 70er die Begriffe der „tiefen“ und „seichten“ Ökologie. Ness sagt, seichte Ökologie stelle den Menschen außerhalb oder über der Natur und erkennt ihr nur Nutzwert zu, also Management der Umwelt.

Ist die Politik denn zu einem erweiterten Ökologiebegriff überhaupt in der Lage?

Das kommt auf die Länder an. In den USA ist es besonders schlimm, dort ist das politische System vor dem Zusammenbruch. Der Erfolg Ross Perots ist auch eine Krise der Demokratie. Die Wirtschaft beherrscht vollkommen das Bild, Politiker werden von ihr bezahlt, ja wenden sich quasi nur pro forma an die Wähler. Den Umschwung in den USA sehe ich eher durch die Wirtschaft gegeben, daher bemühen wir uns in unserem Institut um Dialoge mit Managern.

Sehen Sie denn irgendein Land, wo die Kommunikation zwischen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Früchte getragen hat?

Sicherlich hier in der BRD in den 80ern. Wie es jetzt ist, weiß ich nicht so genau. Aber die grüne Bewegung hat schon eine historische Rolle am Ende des Jahrhunderts eingenommen und war weltweite Inspiration.

In Deutschland selbst scheint derzeit die ökologische Frage zugunsten der sozialen nach unten gedrückt zu werden.

Dieser scheinbare Gegensatz ist ein sehr wichtiger und schwerwiegender. Ich sage zu Managern: heute ist die soziale Dimension des Managements schon längst akzeptiert, jetzt geht es um die ökologische Ausweitung. Diese Parallele zwischen sozialer und ökologischer Ausweitung des Management-Begriffs ist eine sehr fündige. Das sollte man auf politischem Gebiet auch anwenden.

Zwar gab es in den letzten Jahren einen sehr starken Schub zur Internationalisierung, gleichzeitig jedoch auch eine Tendenz zum Kleinen, zur Separation. Wie geht das zusammen?

Das ist eine sehr unglückliche Entwicklung, die aber eine Lösung hat. Die mittlere Ebene des Nationalstaates ist doch überholt, er ist weder in der Lage, für seine Bürger zu sorgen, noch, die globalen ökologischen Fragen zu lösen. Es bedarf also einer Dezentralisierung der politischen Macht auf dem Staatsgebiet, und zugleich einer globalen und internationalen Zusammenarbeit. Hätte es das von den Grünen propagierte Europa der Regionen gegeben, es wäre nicht zum Jugoslawien- Krieg gekommen.

Alle reden von Rio, warum also nicht auch wir beide. Wenn wir die beiden dortigen Gipfel als Metapher für die Nicht-Kommunikation zwischen Nord und Süd nehmen, wie kann sie durchbrochen werden?

Das wichtigste für uns im Norden ist, daß wir den Südländern zuhören, Das wird hoffentlich auf dem Alternativgipfel geschehen, der andere verweigerte das Gespräch. In den nächsten Monaten wird man sehr viel darüber publizieren. Wir sollten dann unsere Organisationen umstellen, Greenpeace etwa muß südliche Strukturen aufnehmen. Das ist der einzige Weg.

80 Prozent der deutschen Bevölkerung behaupten, sehr sensibel zu sein, was Umweltfragen angeht. Das ist für mich wie der grüne Punkt auf Lebensmitteln, ein Bekenntnis ohne Folgen, ein Bewußtsein ohne Handeln.

Mein Weg ist, Gemeinschaft zu schaffen. Wenn man der angehört, zeichnet man sich dadurch aus, daß man sich entsprechend verhält. Dann kann man auch die gängigen Statussymbole verändern, und etwa das Fahrrad zu einem neuen machen. Wir müssen aber auch sehen, daß wir uns zugleich nicht isolieren und immer nur mit Sandalen und Müsli daherkommen, sonst werden wir marginalisiert. Da einen Zwischenweg zu finden, sich nicht vom Mainstream zu isolieren, ist schwer, aber eminent wichtig.

Die ökologische Krise gipfelt in einer Zeit des Endes der Systemkonfrontation.

Ich würde das nicht so formulieren. Die Achse verschiebt sich von Ost-West nach Nord-Süd, die Systemkonfrontation ist ebenso vorhanden, ja noch viel gnadenloser. Das hat man noch nicht richtig erfaßt.

Aber ist es nicht doch zu simplifizierend, ständig vom Süden als dem reinen Opfer zu sprechen? Dort wimmelt es doch von Tätern der übelsten Sorte.

Wir müssen, wie überall, zwischen den Institutionen und den Menschen unterscheiden. Die Grunddynamik des gewalttätigen Entwicklungsbegriffs ist die, den Menschen Ressourcen zu entziehen, sie zu enteignen. Das macht ihr eigener Staat. Das schafft zumindest den Eliten einen uns vergleichbaren Lebensstil, den sie nicht aufgeben wollen.

Nochmal: Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Ich lehne es ab, mich durch Pessimismus lähmen zu lassen. Es gibt ein sehr schönes Wort von Gramsci: „Wir brauchen Pessimismus der Vernunft und Optimismus des Willens.“ Interview: Andrea Seibel

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