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Störflächen

■ Kurt Buchwalds Ausstellung »reductio ad absurdum« — Bilder und Blenden in der Galerie Weißer Elefant

Der Kunstarbeiter schaufelt sich von den Bildmassen frei. Kurt Buchwald überspringt erneut das Objektiv. Er hat um seinen eigenen Schatten herum Platz gemacht, Raum geschaffen, ihn gestaltet. Im besten Sinne des Wortes: die Seele befreit vom Ballast der eigenen Projektionen, den Ideenhäufungen, den schweren, steinigen Extremen des Lebens, die er schon spürt, wo andere noch die entfernte Betrachtung des Gegenstandes vorziehen. Das handelte dem Fotographen eine Beliebtheit ein, der so umstritten ist, als ginge es um die Anschauung der Welt, um die Spiegelung ihrer selbst.

Kurt Buchwalds Spuren zu folgen wird inzwischen immer schwieriger. Ob in Amerika, zwischen New York, im Rücken der Freiheitsstatue, und Ohio, an den Niagara Falls, am Polarkreis, in Rom oder London, in Paris und Warschau plant, entwirft und führt er seine Fotoattacken unbeirrt fort. Er markiert fotospezifische Territorien bis zur Maßgabe seiner selbst. Er setzt Zeichen, gleich den Graffitis der Sprayer, die in einer reglementierten Umwelt ihr soziales Territorium kennzeichnen. Er verdeckt, entdeckt, enttarnt die Oberfläche der Dinge, die Macht der Architektur und des Moments der scheinbaren Wirklichkeit mit seinen von Blenden verstellten Bildprojekten. Die mit dem Apparat verbundene Metapher des Bilderschießens — samt Mündungsfeuer des Blitzlichtes — wird zur Entlarvung einer Waffe.

Im Stören reagiert Buchwald auf die verfeinerten Methoden von Gewaltanwendung durch die Medien wie auf die unmittelbaren, alltäglichen Bilder der Gewalt. Die italienischen Carabinieri im Ausschnitt einer seiner Tableaus, die Videokamera der Touristin, die einer geschulterten Panzerfaust ähnelt, wie die unterschwellige Militanz der Mafia in seiner römischen Serie zeigen jene Aggression in den medialen Strukturen von TV und Video, wo es von der jugoslawischen Adria-Idylle zum zerbombtem Ossijek nur eine Filmsekunde entfernt ist. Als trügen Buchwalds Bilder diese Ahnung in sich: für nichts gibt es eine Ewigkeit, eine Endgültigkeit. Das unsichtbare Verfallsdatum scheint wie ein erschreckender Moment der Zukunft impliziert. Das Foto, nicht die Zeit des Ereignisses verlängert sich um einen Aspekt der Vergangenheit. Alles scheint in Abbildbarkeit gebannt, daß der Moment der Phantasie den letzten Winkel einer Wirklichkeit ausleuchtet. Der Schnittmusterbogen, die Landkarte, die Zeichen der Gegenwart zeigen sich nicht mehr identisch mit dem Bild, das wir uns von vermeintlicher Realität gemacht haben, entsprechen immer weniger.

William Burroughs »grauer Fotograf« verweist auf die Manipulation unserer Sinne. Durch die Manipulation des Bildes wird die Autorität der Situation ausgelöscht, seine einmalige und konkrete Erscheinung, um die es gerade Buchwald zu gehen scheint. Störflächen ganz anderer Art, die Buchwald zu einem großformatigen Tableau zusammengestellt hat, sind seine farbigen durch eine rote Blende verdeckten Mittelmeerlandschaften. Sie geben das mediterrane Klima einer Umgebung wieder, die von Farben und Strukturen bestimmt sind, wo das Betrachten eher eine Sehnsucht und Lust an den Farben und Formen hervorruft, als an den Widerspruch einer Bildstörung zu glauben. Und das ist beabsichtigt.

Dem entgegen stellen sich die klein gehaltenen farbigen Bilder New Yorker Straßenschluchten der Fifth Avenue, mit den gigantomanen Wolkenkratzern, die den Macht- und Männlichkeitswahn nur mühsam hinter ihren Stahlbetonkonstruktionen verbergen, denen Buchwald als ironisches Pendant einen Phallus zwischenklemmt: Wer hat, der hat, der zeigt, was er hat. Diese Widersprüchlichkeit seiner amerikanischen Erfahrungen und Welten dokumentiert ein anderes Objekt, ein nachempfundener Stromstuhl, der in Amerika zum Bild der Gegenwart gehört, dem Richten über Leben und Tod. Als diese obszöne Verbindung aus sexueller Prüderie und Todesstrafe. Daneben bilden die Rauminstallationen, die seinen Fotoblenden nachempfunden sind und aus Stahltafeln und -scheiben bestehen, einen sichtbaren Gegensatz und dokumentieren die Materialität seiner Arbeit, lassen sie erfahrbar werden.

Aus seiner Serie Die Galeristen, in der Buchwald eine stark verkürzte Zeichensprache benutzte, den jeweilig Portraitierten die Formen der Blenden verinnerlichen läßt, ist jegliche eitle Selbstdarstellung auf den Moment der Ahnung reduziert, des Zeichens, der kindlichen Lust am Geheimnis. Darum benutzt der Fotograf Masken, um dem einzelnen seine individuelle Würde wiederzugeben, den Rest eines unaussprechlichen Moments offenzuhalten.

Kurt Buchwald hat in einer wunderbaren Fleißarbeit einen Katalog, einen Buchwald-Report über Monate hinweg zusammengetragen, erstellt, um jedes Bild, jeden Aspekt darin gekämpft, daß er sich eine Last von der Seele geräumt hat, die ihn um so mehr befreit hat von der fast nicht mehr greifbaren Fülle seiner Aktionen, Ideen, Projekte, Themen, Vorstellungen, Angriffsflächen und -punkte, um eine Bilanz zu fixieren. Aber zur Ruhe gekommen ist er nicht. Alles beschreibt nur einen Durchgang, einen Übergang, einen möglichen Aspekt, eine Ahnung, eine Weiterführung in sich tragend. Und doch hat er in der Ausstellung in der Galerie Weißer Elefant eine Energiebündelung seiner Arbeit erreicht, wo die wichtigsten Aspekte aus den letzten ein, zwei Jahren zusammengeführt wurden. Die Raumsituation mit den Metallscheiben, den Ausschnitten seiner fotografischen Blenden, zu großformatigen Installationen arrangiert, wirken sie wie eine Aufforderung an den Betrachter: »Ich bin's, der schreit, niemand anders!« Jörg Waehner

Bis 27. Juni, Galerie Weißer Elefant. Am 26. Juni, ab 19.30 Uhr: Performance Der Apparat schießt ein Loch in den Kopf , anschließend Jenseits der Staatskultur , Traditionen autonomer Kunst in der DDR. Gabriele Muschter und Rüdiger Thomas stellen ihr neues Buch vor.

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