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Obszöne Flammenschrift

■ Marlene McCartys Schriftbilder in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst

My clit is well hung« — die schiere Unmöglichkeit, diesen Satz zu übersetzen, steht für eine ganze Reihe von Hindernissen Marlene McCartys Schrift-Bild- Objekte zu begreifen. Annähernd gleichbedeutend wäre der Satz, »Mein Kitzler steht wie 'ne Eins«. Weiterhin ist jedoch zu berücksichtigen, daß es sich bei dem Satz zugleich um ein von Marlene McCarty entworfenes und von ihr selbst auf eine Leinwand aufgebügeltes Schriftbild handelt. Der Sinn der Aussage erschließt sich nur, wenn das »Ich« des Satzes auf die hausfraulich sich betätigende Produzentin bezogen werden kann.

Nicht mitübersetzt ist obendrein der Hintergrund feministischer Kunst, über deren Präsenz in der US- amerikanischen Kunstszene Bescheid zu wissen ebenso Voraussetzung ist, wie die genauere Kenntnis um die repressive Sozial- und Kulturpolitik seit der Reagan-Ära und die künstlerischen Reaktionen, die diese Politik provozierte. Wer nachvollziehen kann, auf welches Werk welchen bekannten amerikanischen Künstlers des 20. Jahrhunderts in dem einen oder anderen Objekt Marlene McCartys gerade Bezug genommen wird, fühlt sich vielleicht wie der Gewinner in einem Fernsehquiz. Nicht verstanden ist immer noch, welche Rezeptionsgeschichte des gemeinten Werks damit abgerufen ist.

Die Bemühungen des Realismus- Studios des Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst um die Präsentation der Arbeiten Marlene McCartys sind redlich. Die Ausstellung steht nicht vereinzelt da. Dieses Jahr waren bereits Arbeiten von Ida Applebroog und Barbara Kruger zu sehen. Vergleichspunkte ergeben sich auch mit der Ausstellung Schwarze Kunst. Außerdem gibt es ein sehr informatives und gut zu lesendes Katalogheftchen. Und die Titelschildchen sparen nicht mit Erklärungen.

Dennoch ist der ikonoklastische Rundumschlag Marlene McCartys, der die Flammenschrift der Biker- Ästhetik ebenso trifft wie Barnett Newmans Zip-Painting, nicht leicht nachvollziehbar. Nur bei großer Unbefangenheit — bezeichnender Weise vor allem Kinder — gelingt es, sich auf das Angebot der Ausstellung einzulassen. Der Versuch, ein Spielzimmer — mit obszönen Sprachspielen und Erotika-Toys — ein- beziehungsweise anzurichten, ist gefährdet durch die notwendigerweise allzu ausführlichen Spielregeln, die die fremde Sprache und Kultur, high & low, vermitteln müssen. Der mit einer Zahnarztpraxis vergleichbare Reiz der Räume der NGBK tut das übrige. Die Hindernisse der Vermittlung lassen die Arbeiten Marlene McCartys zugleich banal, aber auch »zu schwierig« erscheinen.

Wem jedoch der unbestimmte Eindruck einer Demontage des Kunstausstellungsraumes nicht entgeht, hat schon viel erfaßt — gefaßt: Zum Beispiel ein Zündholzheftchen aus dem magischen Ring der »Feuerstelle« nach Richard Long/Josef Beuys. Obendrein kann sie oder er damit ein handschriftliches Original der Künstlerin und eine Geschichte mit nach Hause nehmen. Die New Yorker Firma, die solche Zündholzheftchen produziert, findet nichts dabei, Nackte mit großen Brüsten in allzu bunten Farben abzubilden, weigerte sich jedoch, den Satz: »I got a clit so big I need no dick« abzudrucken.

Etwa zweitausendmal hat Marlene McCarty die Worte »clit« und »dick« ergänzt — solang der Vorrat reicht, ist am Gegenstand zu studieren, wie sich die der Schrift zugetraute Macht zu derjenigen der Bilder verhält, für die jene Pinups die einzigen Beispiele in dieser Ausstellung sind. Ulman-M. Hakert

Marlene McCarty: Mund Verkehr: In die Hose gegangen. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Tempelhofer Ufer 22, Montag bis Freitag 10-17, Samstag/Sonntag 12-18 Uhr. Katalog 7 Mark. Bis zum 12. Juli.

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