: Ein schwul-lesbischer Feiertag?
■ Der Christopher-Street-Day ist in der Bremer Homosexuellen-Szene umstritten
Für Thomas hatte der Tag vor zwei Jahren noch große Bedeutung. „Es war das erste Mal, daß ich mit Fummel auf die Straße gegangen bin.“ Damals war er 21 Jahre alt, Berlin hatte zur zentralen Veranstaltung des Christopher-Street-Day eingeladen, und tausende Schwule und Lesben waren zum großen Umzug gekommen.
Die Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1969 ist in der Geschichte der Schwulen- und Lesbenbewegung ein historisches Datum, „die Geburtsstunde der modernen Szene“ (Thomas) schlechthin. Damals demonstrierten mehrere Hundert Homosexuelle nach einer Polizeirazzia im „Stonewall“ in der New Yorker Christopher-Street. Heftige Auseinandersetzungen gab es zwischen Demonstranten und Polizei, Verletzte auf beiden Seiten, und seitdem wird der Tag danach, der 29. Juni, als Chrostopher- Street-Day und Tag der Befreiung vom alltäglichen Versteckspiel Homosexueller in der Gesellschaft gefeiert.
Oder eben auch nicht. „Vor Jahren haben wir mal etwas organisiert, aber da kamen nur 30 Leute“, erinnert sich ein schwuler Bremer. „Ich wüßte auch nicht, ob ich das bringen würde, hier, wo ich lebe, und wo mich die Arbeitskollegen sehen würden.“ Atmosphärisch sei das schon toll, tausende Schwule, Lesben, Tunten und Tanten, „und Haschkekse für'n Fünfer.“
Für Olaf hat der Tag schon etwas Historisches, aber ist bei weitem kein Grund zum Feiern. „Beeindruckt hat mich die Militanz, mit der die Leute damals auf die Polizei reagiert haben.“ Der Christopher-Street-Day sei aber heute mehr eine „Karnevalsveranstaltung für Lesben und Schwule“, die viel mit Kommerz, aber wenig mit schwulem Selbstbewußtsein zu tun hat. „Als anständiger Linker Schwuler geht man da nicht mehr hin.“
Als ständige homosexuelle Riesenfete wurde in Bremen vor einigen Jahren die „Pink Party“ eingeführt, jeweils ein paar Wochen vor dem Christopher-Street- Day. „Damit die Leute auf die zentralen Veranstaltungen fahren können“, sagt Walter Klicker vom Rat&Tat-Zentrum. Berlin, Hamburg und Köln sind die deutschen Veranstaltungsorte.
„Wir laufen in die Gefahr, zwei Klassen von Homosexuellen zu bilden“, sagt Martin. Die „guten Schwulen“, die einmal im Jahr „die Sau rauslassen“ und sich für den Rest des Jahres anpassen, und die anderen, auf die „man mit dem Finger zeigt, weil sie immer anders sind, als die Gesellschaft sie haben will.“
Zwar sei, räumt Martin ein, der Paragraph 175 gelockert worden, doch der Kriminalisierung folge jetzt eine „Welle der Diskriminierung“. „Unsere Gesellschaft ist so liberal, daß man auch einmal im Jahr schwul sein kann. Schwul zu leben, ist aber immer noch ein Verbrechen, da ändert auch ein Gedenktag nichts dran.“ mad
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