KOMMENTARE: Rio ist vergessen
■ Auf dem G-7-Gipfel in München werden Ökologie und Schuldenkrise ausgeblendet
Umweltschutz ist kein Thema, schließlich gab es Rio. Auf ihrem Münchner Gipfel werden sich die Regierungschefs der sieben reichsten Industriestaaten heute dem wirklichen Problem der Weltwirtschaft zuwenden: der schlappen Konjunktur in ihren jeweiligen Heimatländern. Sie werden bis Mittwoch verabreden, daß jeder bei sich zu Hause möglichst schnell für ein nachhaltiges Wachstum sorgen möge. Noch 1989, beim Gipfel in Paris, war Umwelt ein Thema, sogar für die G-7: Die Wirtschaft boomte, also blieb Zeit für Diskussionen über die Kehrseiten eben dieses exzessiven Wachstums. Sogar Helmut Kohl glaubte, sich als Retter des brasilianischen Regenwaldes Gipfel-Lorbeeren verdienen zu können.
Übriggeblieben ist drei Jahre später eine neue Floskel fürs Gipfellatein: die „Nachhaltigkeit“ des Wachstums. Das klingt deshalb so gut, weil „sustainable development“ ein zentraler Begriff des Clubs of Rome gewesen ist. 1972 jedoch, in ihrem Report über das Ende des Wachstums, hatten die Autoren jenes qualitative Wachstum gerade der Kurzfristigkeit wirtschaftlichen Handelns entgegengesetzt. Das „schnelle nachhaltige Wachstum“, für das sich die Regierungschefs im Vorfeld des Münchner Gipfels ausgesprochen haben, wäre nach der ursprünglichen Definition die Quadratur des Kreises. Denn die Instrumente, mit denen schnelles Wachstum erreicht werden kann, stehen der Nachhaltigkeit entgegen.
Wer der Industrie kurzfristig Wachstum ermöglichen will, muß gegen Umweltgesetze sein, weil Auflagen zunächst einmal Geld kosten, also den Gewinn schmälern. Mittel- bis langfristig kann sich aber genau diese Investition rechnen, weil sie technische Innovation erzwingt. Als Nebeneffekt führen strenge Umweltauflagen zu moderneren Produkten und verbessern so die Wettbewerbsfähigkeit.
Solange aber die heimische Konjunktur lahmt, blenden die G-7-Chefs die Weltwirtschaft getrost aus. Das Schuldenproblem ist für ihre Länder keines mehr, auch wenn der UNO-Generalsekretär zum Auftakt des Gipfel-Rummels fast schon verzweifelt versucht, es wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Die ausstehenden Schulden sind in den Bilanzen abgeschrieben; sie bedrohen das Währungssystem nicht mehr. Deshalb haben sie als Thema Konjunkturflaute. Genauso, wie das Klima nach dem Rio-Gipfel. Als einzige Umweltbedrohung nimmt die G-7 derzeit die Atomkraftwerke GUSlands wahr. Die Reparaturaufträge für die Schrottreaktoren eignen sich praktischerweise als Wachstumsmotor für die deutsche und französische Atomindustrie — weshalb die weiter entfernten Japaner und US-Amerikaner kein Interesse an einer finanziellen Beteiligung daran zeigen. Donata Riedel
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