: Ein Jahrhundertprozeß gegen die KPdSU
Seit heute verhandelt das russische Verfassungsgericht über Jelzins Kommunistenverbot/ Trumpf der Verteidigung ist die über eine Millionen Dokumente umfassende „Spezialakte“ Lenins/ Die Zeugen: sämtliche ehemalige Größen der Partei ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Heute beginnt vor dem russischen Verfassungsgericht in Moskau ein Jahrhundertprozeß. Obwohl niemand verurteilt werden kann, vergleicht ihn die russische Presse mit den Nürnberger Prozessen. Es geht um eine Organisation, die manche von uns verehrt, manche von uns gehaßt haben — um die KPdSU, genauer gesagt um die Frage, ob deren Verbot durch Präsident Jelzin verfassungsgemäß war oder nicht. Doch unabhängig von ihrer Einstellung werden sich nach den vielen Wochen, die der Prozeß in Anspruch nehmen wird, Menschen in aller Welt ein besseres Bild von dieser Organisation machen können.
Wie kaum eine zweite „Massenpartei“ hat es die KPdSU immer wieder geschafft, Mythen über sich zu verbreiten und die Spuren ihrer Aktivitäten zu verwischen. Damit soll nun endlich Schluß sein. Die Akteure des Schauspiels: Als Kläger gegen Jelzin tritt eine Gruppe von Abgeordneten auf. Hauptverteidiger ist der noch junge Sergej Schachrai. Er hatte erst kürzlich seine Posten als Vizepremier und Staatsrat für Justizfragen wegen persönlicher Differenzen mit der Präsidentenmannschaft nacheinander aufgegeben. In seiner Hand und im Besitz des Gerichtes befindet sich ein Bündel von über einer Million bisher strikt geheimgehaltener Parteidokumente — die bereits von Lenin angelegte „Spezialakte“.
Alles, was im Laufe von 70 Jahren geheimgehalten wurde, soll nun ans Licht der Öffentlichkeit befördert werden. Kein Wunder, daß sich Beobachter aus aller Welt angesagt haben und die heißbegehrten Plätze im Plenarsaal knapp sind. Ein Teil der Hearings wird sich mit der Verschiebung von Milliarden Partei-Rubeln und Millionen Partei-Dollars ins Ausland beschäftigen. Ein anderer Komplex betrifft die weltweite Unterstützung „terroristischer“ Organisationen. Als Zeugen sollen sämtliche ehemaligen Größen der KPdSU gehört werden: von Hardliner Jegor Ligatschow, über den ehemaligen Innenminister Vadim Bakatin bis zum Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes Arkadi Volski. Ex-Generalsekretär Michail Gorbatschow ließ in der 'Komsomolskaja Pravda‘ schon am Wochenende verlauten, er denke nicht daran, vor diesem Forum aufzutreten. Die Frage ist, ob man ihn dazu zwingen kann.
Aussagen will dagegen Jelzins Ex-Pressesprecher Pavel Woschtschanov, der aus ähnlichen Gründen zurücktrat, wie Schachraj. Beide sind der Meinung, die gegenwärtige russische Regierung werde von Vertretern der alten Nomenklatura unterwandert und blockiert. Für sie ist der Gerichtssaal die letzte Arena, in der Demokraten für die Unumkehrbarkeit des Reformkurses kämpfen können. Der Prozeß könnte also sogar zu einer Umformierung von Jelzins Mannschaft führen. Heute arbeiten in ihr Spezialisten, die finanzielle Operationen der Partei ausführten, ja wahrscheinlich sogar an der Vorbereitung des August-Putsches beteiligt waren.
Bisher haben übrigens das zwölfköpfige Gericht und sein noch junger Vorsitzender Valeri Sorkin in einigen Urteilen durchaus Unabhängigkeit bewiesen. Nicht zuletzt, indem sie einstimmig einen Ukas Jelzins für verfassungswidrig erklärten, der die Vereinigung der Staatssicherheitsorgane mit der Miliz vorsah. Doch die Richter werden es schwer haben. Schon jetzt können sie sich vor telefonischen Drohungen, Erpressungsversuchen und Verleumdungskampagnen kaum retten.
Daß Jelzins Verbot dem Grundsatz der gesetzlichen Gleichbehandlung aller Parteien widerspräche, ist das Hauptargument der KPdSU-Anhänger. Schachrai stützt sich dagegen auf zwei Thesen: Die erste besagt, daß die KPdSU keine Partei, sondern eine staatliche Struktur war, die selbst keinerlei Gesetze anerkannte. In dem Maße, in dem 1990 und 1991 von den Bürgern russische Eigenstaatlichkeit durchgesetzt worden sei, habe sich die KPdSU als Konkurrenzstaat gebärdet. Eine Entwicklung, die logischerweise im August-Putsch gipfelte. In der 'Iswestija‘ führt das Verteidigerteam diesen Standpunkt aus: „Der Präsident war verpflichtet, diese parallele Staatsstruktur zu entfernen, um das grundlegende Konstitutionsprinzip durchzusetzen. Damit die einzige Quelle der staatlichen Macht jetzt das Volk darstellt, das die Angelegenheiten des Staates durch die von ihm gewählten Organe und Funktionsträger leitet.“
Das zweite Argument der Verteidigung: Die KPdSU hat gegen die in der alten UdSSR-Verfassung geltenden Kritierien für die Zulassung einer gesellschaftlichen Vereinigung verstoßen — wie unter anderem Freiwilligkeit der Mitgliedschaft, Verzicht auf Propaganda für Gewalt.
Auch für die Konservativen im Lande ist der Prozeß der Hauptkulminationspunkt einer bislang unterirdischen Polit-Schlacht. Nicht nur die nationalkommunistischen Demonstrationen vor dem Telezentrum Ostankino ließen darauf schließen. Oder das Häuflein von 90 unentwegten KPdSU-Hinterbänklern, die sich letzten Sonntag in der Moskauer Vorstadt Puschkino zu einem sogenannten 29. Parteitag versammelten, um zum x-ten Mal Gorbatschow aus ihren Reihen zu verbannen. Nein, es zeigt sich vor allem in der Propaganda der 'Sowjetskaja Rossija‘ und der 'Prawda‘, die übrigens von der Jelzin-Regierung finanziert werden.
Sowohl der Gerichtsvorsitzende Valeri Sorkin als auch Präsidenten- Advokat Sergej Schachrai haben letzte Woche vor einer den Prozeß begleitenden Gefahr gewarnt: Die Situation im Lande könnte durch Extremisten derart destabilisiert werden, daß die Regierung Jelzin zurücktreten müßte. So läge die Macht ausschließlich bei den lokalen Sowjets und Exekutivkomitees. Hier aber sitzen die Ex-KPdSU Bosse so fest, daß sie ihre Partei längst nicht mehr brauchen.
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