: „...kommt kein einziger zurück“
■ Im Krankenhausmuseum: Ausstellung zur Ermordung psychisch Kranker
Von 127 Personen, die von Ellen hier angekommen sind, liegen bloß 82 auf dem Anstaltsfriedhof. Da kannst Du Dir einen Begriff machen, also noch 45 bis jetzt. Wenn das so weiter geht, kommt kein einziger mehr zurück. Es sterben hier bald mehr als Soldaten im Felde. Von den 82 waren viele als Kuhlengräber und Leichenträger hier beschäftigt.“
Als Theophil H. diesen Brief an einen Freund in Bremen schrieb, lebte er seit knapp vier Monaten in der Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn. Am 13. und 14. August 1942 war ein Transport von insgesamt 126 männlichen Patienten der Bremer Nervenklinik in die Tötungsanstalt verlegt worden. Nur zehn von ihnen überlebten, das Schicksal der restlichen zwölf konnte bisher nicht geklärt werden. Aus Anlaß des 50. Jahrestages dieser Deportation zeigt das „Krankenhausmuseum“ im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost vom 30. Juli bis zum 28. August die Ausstellung „'Euthanasie' in Hadamar“. Zu sehen sind darin auch die Briefe, die Theophil H. Nach Bremen schrieb. Sie sind damals nie abgeschickt worden, sondern wurden noch in der Anstalt abgefangen.
Bereits bis zum Ende der ersten, „offiziellen“, Phase des „Euthanasie“ genannten staatlich organisierten Massenmordes an psychisch Kranken hatte Hadamar als Tötungsanstalt fungiert. Feierlich war im August 1941 die Verbrennung der 10.000sten, mit Blumen und Hakenkreuzfähnchen geschmückten, Leiche „gefeiert“ worden. Kurz darauf wurde auf höchste Anweisung aus Berlin der Betrieb der anstaltseigenen Gaskammer eingestellt. Doch schon ab August 1942 ging Hadamar wieder in Betrieb. Ohne direkten Befehl von oben, wurde die Tötung der Patienten jetzt von der Anstaltsleitung eigenmächtig mit Medikamenten fortgesetzt. Von den 4.817 bis zum März 1945 aufgenommenen Menschen starben 4.422 — die meisten von ihnen keines natürlichen Todes.
Trotz der scheinbaren Genauigkeit dieser Angaben, ist es nicht einfach, die Geschichte der Tötungsanstalt Hadamar zu rekonstruieren. Ein ausgeklügeltes System von Verlegungen kreuz und quer durch die verschiedenen Anstalten und Vernichtungslager erschwert noch heute das Nachvollziehen einzelner Schicksale. Und als Todesursache wurde vom Chefarzt in Hadamar, Dr. Adolf Wahlmann, regelmäßig „Lungenentzündung“ oder „Darmgrippe“ angegeben. Auch die Suche nach den wenigen Überlebenden des Tötungslagers verlief bisher im Sand.
Trotzdem dokumentiert die Ausstellung ein umfassendes Bild der „Euthanasie“ an psychisch Kranken, Nichtseßhaften, Zwangsarbeitern und Bombenopfern, nennt Hintergründe und Akteure und gibt Auskunft über die Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der deutschen Psychiatrie. Im Begleitprogramm geht es auch um die in den letzten Jahren neu entfachte Euthanasiediskussion.
Am 26. Mai 1943, gut neun Monate nach seiner Deportation, schrieb Theophil H. In einem weiteren Brief vom Alltag in Hadamar: „Mit dem Essen ist es hier auch man mau. Kartoffel mit Schale und lange durch den Wolf gedreht oder in kleine Stücke geschnitten. 3-4 Mal die Woche höchstens ein paar Bandnudeln dazwischen. Faule Kartoffeln und Gemüse ist nichts Neues hier mehr. Man sieht, es geht bergab statt bergauf.“ Einen Tag später heißt es über Theophil H. In der Krankenakte: „...war in der Schlosserei beschäftigt. Mußte zurückgenommen werden, da er unverantwortliche Schwätzereien über die Anstalt verbreitet hat. Kommt zu Bett. Apoplexie. Erholt sich nicht mehr, exitus.“
Der verantwortliche Chefarzt Adolf Wahlmann hatte bereits einige Wochen zuvor notiert: „Ich kann es aber mit meiner nationalsozialistischen Einstellung nicht vereinbaren, irgendwelche medizinischen Maßnahmen anzuwenden, seien sie medikamentöser oder sonstiger Art, damit das Leben dieser für die menschliche Gesellschaft vollkommen ausfallenden Individuen verlängert wird, ganz besonders in der jetzigen Zeit unseres Existenzkampfes, bei dem jedes Bett für die Wertvollsten unseres Volkes benötigt wird.“ 1947 wurde der 71jährige Wahlmann zu lebenslänglicher Haft verurteilt, 1953 begnadigt.
Dirk Asendorpf
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