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INTERVIEWDer Mensch als »bio-psycho-soziale« Mogelpackung?

■ Dr. Hartmut Bosinski, Kinderarzt, Assistent im Institut für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik an der Humboldt-Uni, ist einer der heftigsten Kritiker der vorgelegten Konzeption des »Instituts für Geschlechter- und Sexualforschung«/ Er moniert eine »monokausale Herangehensweise«, die komplexe Phänomenen nicht begreife

Im letzten Teil unser Interviewserie zum geplanten »Institut für Geschlechter- und Sexualforschung« an der Humboldt-Universität äußert sich heute Hartmut Bosinski. Er wandte sich bereits im letzten Jahr heftig gegen die durch die »Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft« und andere bundesdeutsche SexologInnen vorgelegte Institutskonzeption in Form eines »Memorandums«.

taz: Sie wehren sich gegen die Gründung eines Instituts für Sexual- und Geschlechterforschung, das in die Gesellschaftswissenschaften eingebunden werden soll. Sie haben einen Brief an den damaligen Rektor Heinrich Fink unterstützt, in dem fünf Professoren der Humboldt-Universität im November 1991 diese Anbindung kritisierten, wie sie von der »Memorandums- Gruppe« vorgeschlagen wurde, also den Initiatoren und Initiatorinnen von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Tina Thürmer-Rohr, Volkmar Sigusch, Günther Grau und anderen. Warum?

Hartmut Bosinski: Zunächst einmal bin ich, wie viele ander auch, seit langem dafür, sexualwissenschaftliche Forschung akademisch zu institutionalisieren, und als Mitarbeiter der Humboldt-Unversität, wo es eine Reihe von Vorarbeiten auf diesem Gebiet gibt, hielte ich es für zeitgemäß, wenn dies an unserer Alma mater geschähe. Wir sind in dieser Richtung auch schon aktiv geworden. Wogegen ich mich wende, ist, daß eine Forschungseinrichtung, die ausschließlich dem sozialwissenschaftlich- soziologischen Ansatz verpflichtet ist, dieses wichtige Thema für sich okkupiert. Ich finde es befremdlich, wenn im Memorandum festgestellt wird: »Bestimmend für die Arbeit des Instituts ist die Erkenntnis, daß die Geschlechterverhältnisse gesellschaftlich konstruiert und durch soziale, ökonomische, individuelle und andere Bedingungen patriarchal und hierarchisch strukturiert sind.« Schon das Wort »Erkenntnis« legt nahe, die Autoren und Autorinnen wüßten bereits alles. Wo, bitte schön, ist in dieser »Erkenntnis« das konkrete Individuum geblieben? Weiter stört mich, und andere, auch internationale Kollegen ebenso, daß für diesen monokausalen Ansatz der Begriff »interdisziplinär« verwendet wird. Das ist schlicht Etikettenschwindel: Das ganze Memorandum blendet verhaltensbiologische, biomedzinische, endokrinologische, ethnologische und andere Befunde und Daten zu den Geschlechterverhältnissen aus, ja, geriert sich direkt anti-biologisch. Das ist zum einen meilenweit vorbei am gegenwärtigen internationalen Forschungsstand. Und zum anderen ist dies die Fortschreibung der alten Natur- Kultur-Dichotomie, der Neuaufguß des alten Leib-Seele-Dualismus. Das ist für mich kein wirklich neuer Ansatz. Wir müssen komplexe Phänomene wie die Geschlechterverhältnisse auch komplex angehen.

Komplexe Herangehensweise — das würde auch die andere »Fraktion« unterschreiben, die mehrfach erklärt hat, daß sie Biologen und Mediziner in den wissenschaftlichen Dialog miteinbeziehen will.

Dafür finde ich im Memorandum nicht den geringsten Hinweis.

Die Mitglieder der »Memorandumsgruppe« haben das aber immer wieder betont. Die Frage ist, ob man hauptsächlich die Prägung durch die Gesellschaft oder irgendwelche im Blut wabernden Gene zur Erklärung beispielweise der Gewalt gegen Frauen heranzieht.

Das ist eine Frage, die in der Wissenschaft vom Menschen heiß diskutiert wird: Gibt es ein Primat gesellschaftlich-kultureller oder aber biologisch-evolutionärer Bedingungen? Ich halte die Frage nach primär und sekundär für falsch gestellt. Sie verkennt, daß es verschiedene Betrachtungsebenen mit je verschiedenen Maßverhältnissen gibt: Gesellschaftliche Bedingungen als Suprastrukturen bestimmen natürlich menschliches Verhalten mit. Ebenso aber auch Gruppenstrukturen und nicht zuletzt Individualstrukturen.

Das kann man im gesellschaftlichen Ansatz doch gar nicht trennen.

Doch, man muß das zunächst in einem ersten, analytischen Schritt trennen. Diese Analyse muß zunächst einmal einzelwissenschaftlich und intradisziplinär reduktionistisch sein — sonst beforschen alle alles und keiner sieht etwas. Der nächste Schritt ist dann die interdiziplinäre Synthese der einzelwissenschaftlich erhobenen Befunde. Diese Synthese wird eben nicht zutage fördern, soundsoviel Prozent menschlichen Verhaltens seien biologisch bedingt, soundsoviel kulturell. Sondern es wird sich eine zeitlich sich entwickelnde Komplexität von Interdependenzen biotischer, psychischer und soziokultureller Einflüsse und Faktoren menschlichen Verhaltens herausstellen. Hier wäre dann ein interdisziplinärer Reduktionismus überaus störend, etwa derart, daß eine Disziplin sich anheischig macht, alles nur durch ihre Daten und Methoden erklären zu wollen. Um es konkret zu machen: Natürlich haben Gewaltverhältnisse in den jeweiligen Produktions- und Machtverhältnissen ihre wichtige Wurzel. Das sagt aber noch nichts über die einzelnen, konkreten Frauen und Männer aus. Wir müssen also auch fragen, was von seiten des Individuums und auch der jeweiligen Gruppe in diesen Interaktionsprozeß eingeht. Der Mensch ist doch nicht eine Tabula rasa, auf die nur die Gesellschaft ihre Texte schreibt. Und ebensowenig ist er einzig Opfer seiner »Biologie als Schicksal«.

Das hört sich zwar nicht schlecht an. Aber der schwammige Begriff »Komplexität« läßt als Erklärung menschlichen Verhaltens auch 60 Prozent angeblich naturgegebenen Verhaltens zu. Und ich habe keine Lust, mich als Schimpansenweibchen betrachten zu lassen, so wie es in dem von Ihnen mitherausgegebenen Band »Interdisziplinäre Aspekte der Geschlechterverhältnisse in einer sich wandelnden Zeit« der Göttinger Verhaltensbiologe Christian Vogel oder sein Kollege Günter Tembrock von der Humboldt-Universität tut.

Dann haben Sie es nicht richtig gelesen.

Auch eine Frau kann lesen. Da ist zum Beispiel die Rede von der »Tendenz zur Submission« des weiblichen Geschlechtes, da wird evolutionsbiologisch hergeleitet, warum Männer oder Männchen — bezeichnenderweise wird der Trennungsstrich zwischen Affen und Menschen nirgendwo genau gezogen — ihre Frauen »möglichst sorgfältig zu überwachen« und sie »gegenüber anderen Männchen zu monopolisieren« haben.

Über die Einzelbeiträge sollten Sie wohl besser mit den Autoren und Autorinnen diskutieren. Ich denke, wir haben die Pflicht, genau zu untersuchen, was wir aus unserer evolutionären Vorgeschichte mitbringen, womit also »zu rechnen ist«. Ebenso müssen wir aber auch gesellschaftliche Macht- und Bewertungsmuster in Rechnung stellen. Weder Sozialwissenschaften noch Biowissenschaften oder Psychologie sind allein in der Lage, so komplexe Phänomene wie menschliches Verhalten ausreichend zu erklären. Was wir brauchen, ist interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Humanwissenschaften, nicht den alleinigen Wahrheitsanspruch einzelner Diszipliinen. Das braucht auch den Mut, sich zwischen die »Fronten« des Streites zu begeben, sich zwischen die Stühle der Disziplinen zu setzen.

Das, was die zitierten Verhaltensbiologen in Ihrem Buch auftischen — es gibt auch andere, viel interessantere und differenziertere Aufsätze, das sei der Gerechtigkeit halber vermerkt —, das wandelt sich unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen ganz schnell um zur Legitimierung der ekelhaftesten Formen von Patriarchat.

Politik, gleich welcher Couleur, hat die fatale Tendenz, sich immer diejenigen Forschungsergebnisse auszusuchen, die ihr angetan erscheint, jeweilige Machtinteressen zu legitimieren und zu bedienen. Das gilt zweifelsohne für den Mißbrauch der Biologie, in der extremsten Form im deutschen Faschismus mit seinem pseudowissenschaftlich legitimierten Rassenwahn, seinem Mythos von Blut und Boden, der tatsächlich ja auch sehr geschickt wirtschaftliche Interessen auszunutzen verstand. Das gilt aber eben auch für den Mißbrauch von Sozialwissenschaften, für ein eindimensionales Verständnis des Menschen als »Produkt seiner Verhältnisse«, was sich zum Beispiel im stalinistischen Bildungssystem manifestierte, oder, blutiger noch, im Gulag oder unter Pol Pot: Die Gesellschaft wird »konstruiert«, und der oder die einzelne, die sich nicht darein finden wollen, werden eben »umerzogen« — entweder sie passen sich an, oder sie werden erschlagen. Diese generelle Instrumentalisierbarkeit jeglicher Forschung kann doch aber nicht dazu führen, daß ich die eine Forschung als »gut«, die andere als »böse« darstelle.

Es geht doch nicht um Vogel-Strauß-Politik, sondern um Reflexion. Auch um die ideologiekritische Reflexion solcher angeblichen Naturbefunde, wie es auch die Memorandum-Gruppe fordert. Wo bleibt denn die Ideologiekritik, wenn diese Verhaltensbiologen Vielweiberei als quasinatürlich männliche Vermehrungsstrategie hinstellen? Und dabei auch noch heillose Widersprüche in Kauf nehmen, denn wenn die »männliche« und die »weibliche« Strategie so einfach in den Genen läge, daß der Mann seinen Überfluß an Samen verstreut und die Frau nur auserwählte »Supermännchen« an ihre wenigen Eier läßt, dann frage ich mich, warum Männer es sich leisten können, so häßlich zu sein. Gibt es denn keine politischen Schranken für Sie?

Zur Politik sagte ich ja schon etwas. Aber es ist ein Fehler, anzunehmen, daß wir zum Beispiel ohne die Befunde der Primatenforschung auskommen: Immerhin sind wir als Menschen auch Teil der biologischen Evolution. Wir können doch nicht annehmen, daß wir uns aus unserem evolutionären Erbe »herausschneiden« können. Diese Annahme ist geradezu gefährlich, der ökologische Zustand der Welt ist auch das Ergebnis eines solchen Denkens! Und im übrigen bedeutet die Feststellung, daß etwas biologisch fundiert ist, doch nicht, daß es sich hierbei um Niederes, »Auszuschließendes« handelt. Ich denke beispielsweise, daß es ein evolutionär überkommenes »weibliches« und »männliches« Prinzip gibt, das kulturell ausgeformt uns gegenübertritt, nicht unbedingt gebunden an biologische Männer und Frauen.

Damit sind wir längst im Bereich der gesellschaftlichen Bedingtheit oder auch der kulturellen Freiheit von Geschlechterrollen angelangt.

Nein, wir sind beim Menschen als einer »bio-psycho- sozialen Einheit« angelangt. Das Gespräch führte Ute Scheub

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