: Ich hasse die Hoffnung
■ Von heiligen Wörtern und der Kunst des Verschwindens / Mit Jochen Gerz vor seinen Bildern im Forum Langenstraße
Jochen Gerz vor einem seiner Bilder im Forum LangenstraßeFoto: Christoph Holzapfel
Fototafeln, an den Wänden verlegt wie Gehwegplatten, fügen sich zu seltsamen Großbildern: Gesichter, schwarzfahl wie Röntgenaufnahmen, scheinen durch nasses Laub, Schriftbänder laufen kreuz und quer; ineinanderbelichtet, geschnitten, montiert finden wir hier städtisches Treiben, glühende Augenhöhlen und flirrende Gräser: eine nur vorübergehend stillgestellte Welt. Alle übliche Turbulenz verharrt plötzlich vor uns in sonderbaren Standbildern. Metertief stürzende Reklameschriften dazwischen rufen zwielichtige Botschaften aus: RADICAL.UNTHINK. oder GOOD. TIMES. In einem Textblock versteckt entdeckt man den Satz: WORDS.MOVE.WITH.GRACE.IF.THEY.DO.NOT.CARRY.PROMISE. Wörter wandeln in Anmut, solange sie kein Versprechen schleppen.
Vielleicht ahnen Sie schon, daß man viel zu besprechen hat, wenn man mit Jochen Gerz vor seinen
hierhin bitte
das Foto
mit dem Mann
vor einem
Bild
Arbeiten flaniert, sofern sie schon hängen: Vom Freitag an werden sowohl im Forum Langenstraße als auch in der Weserburg unter dem Titel Life after Humanism wichtige Foto-Text- Collagen aus den letzten fünf Jahren zu sehen sein. Alles Werke, in denen die Egomanie der Kunst ihr stilles Ende gefunden hat: Der Künstler hält uns nur noch die Welt ein wenig an und entfernt sich sodann.
Der Gedanke, immer nur noch mehr zu produzieren, war mir ein Problem von Anfang an. Niemand bedachte noch vor zwanzig Jahren, daß wir damit ja auch etwas wegnehmen. Damals lachte man über meine Arbeiten mit Abdeckfarbe, diesem Rotbraun, übrigens auch hier die einzige Farbe, die ich verwende. Aber das schönste Bild verdeckt ja auch etwas; mindestens die Wand. Da kann man nicht immer nur mit dem großen Radiergummi gelaufen kommen und rufen: Da kommt jetzt meine
Kunst hin, das ist neu. Wir müssen ja mit unserer Vergangenheit leben können.
In Hamburg-Harburg hat Gerz 1986 zusammen mit seiner Frau Esther Shalev eine Säule mit den Namen von Opfern des Faschismus beschrieben. Seither versinkt planmäßig die Säule Stück für Stück im Erdboden; alle Namen, alle späteren Schmierereien verschwinden allmählich. Für Saarbrücken hat Gerz ein Denkmal gebaut, welches demnächst eröffnet wird: 2167 Pflastersteine, beschriftet mit den Namen von 2167 deutschen jüdischen Friedhöfen, mit den Inschriften nach unten zu einer kleinen Straße verlegt.
Manchmal kommen mir meine Bilder, wie sie da aus den Rahmen fallen, sich überlagern wie Palimpseste, wie geschichtete Vergangenheiten, manchmal kommen sie mir vor wie Nullnummern einer neuen Kunst: einer, die den Leuten Platz läßt, die vielleicht einmal freundlich ist und beiläufig und nicht immer gebläht von dieser elenden Sinnsuche. Aber verstehn Sie das bloß nicht als Utopie. Ich hasse die Hoffnung. Wir sollen solidarisch mit der Gegenwart sein.
Die Sprache, wie Gerz sie verwendet, ist eine von enormer Aufmerksamkeit geheiligte, eine asketische Sprache: Wortstücke, Satztrümmer läßt er ganz für sich vor uns erscheinen; und jetzt, in der kathedralischen Ruhe der Ausstellungshalle sehen sie außerordentlich anders aus: wie evakuiert aus dem endlosen Sprachschwall draußen.
Eine Arbeit von mir heißt: Die Heiligen Wörter. Darin werden sie beschrieben als diejenigen, die die Leiden der Brauchbarkeit nicht kennen; man darf sie nur verwenden, wenn man sie nicht benutzen will. Aber natürlich sind sie dazu da. Ich hab mich ja auch immer für die gemeinsamen Wurzeln von Bild und Wort interessiert: Man kann kein Bild sehen, ohne innerlich zu sprechen, und man kann kein Buch lesen, ohne daß Bilder entstehen.
1977 entwickelte er für die documenta 6 in Kassel sein Transsibirisches Projekt: eine Eisenbahnreise von Moskau nach Karovsk und zurück, hinter abgedecktem Fenster. In seinen neueren Arbeiten stoßen dagegen Bilder und Wörter auf gute Nachbarschaft an: Es ist aber, als würde man gleich wieder auseinandergehn.
Vielleicht wird es einmal eine Kunst geben, die man abrufen kann und gleich wieder los wird, wie Bilder auf dem Fernsehschirm. Dann hätte man wenigstens eine Chance, sie zu wollen. Zuhause zum Beispiel hab ich gar keine Bilder hängen. Das wär mir unerträglich: Kunst in dieser vulgären Präsenz.
Die Ausstellung ist vom kommenden Freitag an zu sehen bis zum 25. Oktober. Manfred Dworschak
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