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INTERVIEWRegierungswechsel „ohne Schmach“ in Japan

■ Takashi Inoguchi (48), Professor für Politologie an der Tokioter Todai-Universität, zum Bestechungsskandal

Tokio (taz) — Der 78jährige Shin Kanemaru, Vizepremier und Fraktionsvorsitzender der regierenden Liberaldemokraten Japans, hatte am vergangenen Donnerstag zugegeben, knapp sechs Millionen Mark von einem der drei größten Paketdienste des Landes entgegengenommen und an seine Partei weitergeleitet zu haben. Daraufhin trat er zurück.

taz: Der mächtigste Politiker Japans, Shin Kanemaru, hat seine Ämter aufgrund von Skandalverwicklungen niedergelegt. Findet nun in Japan ein Regierungswechsel statt?

Takashi Inoguchi: Grundsätzlich gesehen ja. Vizeparteichef Shin Kanemaru verfügte bislang über alle zum Regieren nötige Exekutivmacht.

Mehr als Premierminister Kiichi Miyazawa?

Ja, Miyazawa beschränkte seine Aufgaben auf die Entscheidungsverkündung.

Steht somit auch eine Regierungskrise bevor?

Wahrscheinlich nicht. Auch wenn er es nach außen hin nicht zeigt, dürfte Premierminister Miyazawa über den Rücktritt Kanemarus sehr glücklich sein. Denn Kanemarus Macht über Miyazawa ist nun beschnitten. Das Vakkuum aber, das Kanemaru zurückläßt, wird schnell gefüllt werden: vielleicht sogar durch den Premierminister selbst. Miyazawa könnte jetzt seiner Stimme in der Wirtschafts- und Außenpolitik Japans Gewicht verleihen. Miyazawa geht aus der Krise gestärkt hervor.

Dennoch gab es im Fall Kanemaru ein Novum: Hier gestand erstmals einer der höchsten Regierungsvertreter offen ein, illegale Spenden angenommen zu haben. Wird der aufgedeckte Skandal die Regierung weiter belasten?

Kanemaru handelte sehr klug, als er seinen Rücktritt bekanntgab, noch bevor ihn die Staatsanwaltschaft dazu gezwungen hatte. Da die Fakten nun auf dem Tisch liegen, wird auch die öffentliche Meinung weicher gestimmt. Zudem war der Zeitpunkt seines Rücktritts gut gewählt: nämlich nach den Oberhauswahlen im Juli. Die Staatsanwälte arbeiten bereits seit über einem Jahr an dem Fall. Wäre der Skandal vor den Wahlen geplatzt, sähe es für die Regierung jetzt schrecklich aus.

Neben Kanemaru sind in der gleichen Affäre auch Außenminister Watanabe und die drei ehemaligen Premierminister Nakasone, Takeshita und Uno belastet worden. Was passiert nun mit denen?

Die weniger prominenten Figuren wie Nakasone sind natürlich heilfroh. Denn Kanemaru hat sie gewissermaßen gerettet. Nach Kanemarus Geständnis werden Justiz und Öffentlichkeit von einer harten Strafe des Hauptsünders absehen. So aber geraten auch die kleineren Sünder aus der Schußlinie.

Läge nicht das Gegenteil näher? Nachdem sich der Verdacht gegen Kanemaru in vollem Umfang bestätigt hat, klingen auch die Beschuldigungen gegen Nakasone und andere glaubwürdiger.

Sie haben recht. Aber das ist wie eine leichte Brise, die kommt und alle reinwäscht.

Warum fand der Rücktritt Kanemarus ausgerechnet einen Tag vor Verkündung des neuen Konjunkturprogramms statt, das als größtes wirtschaftliches Rettungspaket der japanischen Geschichte gilt?

Das zeigte noch einmal, wie nützlich Kanemaru gewesen ist. Er allein hatte die Macht, ein solches Paket zu schnüren. Darüber hinaus sind die schwierigsten Aufgaben der Regierung bereits erfüllt: Kanemaru setzte im Parlament das neue japanische Blauhelmgesetz durch, und er brachte den bevorstehenden China- Besuch von Kaiser Akihito zustande. Kanemaru kann also sehr stolz auf das bisher Geleistete sein. Aus Sicht der Politiker fällt auf ihn keinerlei Schmach.

Besteht dann die Möglichkeit, daß Kanemaru hinter den Kulissen seine Machtposition bewahrt?

Seine Macht wird nicht dramatisch, aber doch langsam und stetig schwinden. In seiner eigenen Fraktion warten die jüngeren Leute verzweifelt auf ihre Chance. Es wäre selbstmörderisch, würden die Älteren ihre Ämter nicht aufgeben.

Kommt also der Generationswechsel, den Kanemaru der Nation immer versprochen hat?

Vorerst werden Kanemarus Zeitgenossen wie Premierminister Miyazawa und Außenminister Watanabe die Regierungsgeschäfte leiten. Doch die Partei der Liberaldemokraten wird schon heute von Vierzig- und Fünfzigjährigen wie Ichiro Ozawa und Koichi Kato geführt. Kanemarus Bild vom Generationswechsel liegt also nicht mehr fern. Interview: Georg Blume

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