■ AUS POLNISCHER SICHT: Mit Magda Goebbels in der »Roten Harfe«
Wir sitzen mit Leszek Szaruga, einem polnischen Poeten und Helmuth Frauendorfer, einem deutschen Poeten aus Siebenbürgen, in der »Roten Harfe« und lesen von Szaruga nachgedichtete Poeme Frauendorfers und W.S. Snodgrass'. Der Zyklus »Magda Goebbels« des Pulitzerpreisautors W.S. Snodgrass, als eine Art Tagebuch der letzten Tage konstruiert, erzählt vom Kindermord, vom Führerbunker und der Liebe Magdas zum »Chef«. Eines der Gedichte, als Solitaire-Passiance verkleidet, ist eine Dialog der Goebbels mit einem imaginären — zu diesem Zeitpunkt schon toten — Kind. Formal perfekte Poesie wird von Szaruga aus dem Englischen ins Polnische übertragen — den Entfremdungseffekt, sicherlich groß genug in Amerika, erzielt Szarugas polnische Version in vielfach stärkerem Maße. Vom 19.April bis 1.Mai 1945 dauert diese poetische Reise in das Extreme, in die Tiefe der deutschen Seele: der auf ihre Brust vom Führer persönlich angebrachte Orden wird für Magda zum endgültigen Beweis seiner heimlichen Liebe zu ihr.
Sie sitzt mit uns in der »Roten Harfe«: dank der Kunst von Snodgrass und Szaruga meinen wir ihre Motive zu rekonstruieren, wie auch die Tatsache uns bewußt zu machen, daß Magda eine stellvertretende Rolle für die kranke deutsche Psyche übernimmt. In der Zeit, als Kindermord und Führerbunkerfanatismus in Deutschland wieder auf der Tagesordnung stehen, wollen wir von dieser à rebours tragischen Gestalt einer Antigone des Bösen erfahren, was es bedeutet, unschuldige Kinder zu hassen, zu töten, zu vernichten. Magda von Snodgrass und Szaruga ist jedoch die falsche Adressatin für die von uns gestellten Fragen. Ihre Motive, wenn auch so schrecklich, unterscheiden sich sowohl von denjenigen ihres damaligen Umfeldes, wie auch von denen des Mobs. Der Mob ist wahrscheinlich das einzige völlig unpoetische Phänomen des Universums. Piotr Olszowka
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