KOMMENTAR: Handeln als Sinngebung
■ Bei CDU und SPD wird Regieren zum Politik-Ersatz
In der politischen Mitte wird es eng. SPD und CDU besetzen zunehmend in sich gleichender Form dieselben politischen Felder. Beim CDU-Landesparteitag siegte nochmals eine Nicht- Linie, die die Rettung in der normativen Kraft exekutiven Handelns sucht. Die Regierungsbeteiligung, von Eberhard Diepgen euphemistisch als Regierungsführerschaft der CDU tituliert, ist der einzige Anker, an dem sich zur Zeit die Perspektive der CDU aufhängt. Und dieser Anker trägt den Namen Eberhard. Von daher war der Versuch, Diepgens Position innerparteilich ins Wanken zu bringen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Diepgen verkörpert den sicheren Instinkt der Macht, der das Lebenselixier der CDU ist. Was sich an Opposition gegen ihn zu Wort meldete, kann unter dem Stichwort »Dampfablassen« abgehakt werden. Sofern sie Programmatisches von sich gab, war es rechtspopulistisch und bezeichnenderweise von jenen getragen, die seligen Westberliner Zeiten nachtrauern.
Die Neigung, Regierungshandeln zum Programmersatz zu machen, teilt die CDU zur Zeit mit der SPD. Auch Ditmar Staffelt will, wie Diepgen, die Geschicke seiner Partei an die Arbeit der Großen Koalition koppeln. Beide Politiker können sich darin der Unterstützung ihrer jeweiligen Ostberliner Klientel gewiß sein, die in ihrer Regierungsgläubigkeit und Ideologiefeindlichkeit längst den Stand der fünfziger Jahre Westdeutschlands erreicht hat. Auch Staffelt sieht sich einer innerparteilichen Opposition gegenüber, die traditionell westliche Orientierungen verkörpert. Das macht ihre Schwäche aus. Die beiden Parteien befinden sich in einer Situation, in der die Regierungskoalition zum einzigen Gegenstand ihrer Politik, in Anbetracht der mangelhaften Ergebnisse muß man schon sagen, zu ihrem Politik-Ersatz wird. Die Auseinandersetzung mit Organisationsstrukturen, auch in dieser Hinsicht sind sich SPD und CDU zur Zeit ähnlich, muß notwendigerweise den Charakter eines Zeitvertreibs haben, solange bei beiden ungeklärt ist, welche Entscheidungen über neugewonnene Strukturen transportiert werden sollen. Die Große Koalition erweist sich gegenüber An- und Zugriffen stabiler, als mancher bei ihrer Bildung dachte, der Mehltau, von dem Harry Ristock seinerzeit sprach, wuchert üppiger, als mancher damals befürchtete. Dieter Rulff
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