: Alltäglicher Rassismus in Berlin
Mit Ausländern verheiratete deutsche Frauen berichten über Diskriminierungen; Beschimpfungen sind an der Tagesordnung ■ Von Plutonia Plarre
Berlin. Alltäglicher Rassimus in Berlin. Am vergangenen Dienstag mittag wurde der 36jährige Iraner O. auf dem U-Bahnhof Hermannplatz von einem stark tätowierten, etwa 30jährigen Deutschen zusammengeschlagen. Mehrere Menschen standen drumherum, aber keiner griff ein. Der Iraner hatte den Zorn des Deutschen, der sich in die U-Bahn drängeln wollte, auf sich gezogen, weil er zu ihm gesagt hatte: »Erst die Leute aussteigen lassen.« Zwei Polizeibeamte nahmen die Strafanzeige des Iraners am Tatort entgegen. »Sie haben meinem Mann nicht im mindesten das Gefühl gegeben, daß sie ihn verstanden haben«, empört sich die deutsche Ehefrau des Iraners, Monika O., die die taz informierte. Nicht einmal ein Stück Papier fürs Krankenhaus hätten die Beamten ihrem verletzten Mann mitgegeben. Das einzige, was ihr Gatte von den Polizisten zu hören bekommen habe: »Es wird noch schlimmer hier, fahren sie lieber nach Hause.«
Die 34jährige Umschülerin Monika O. ist seit fünf Jahren mit dem Iraner verheiratet und hat mit ihm ein zwei- und ein vierjähriges Kind. Zusammen mit ihren Freundinnen Claudia H. und Martina K.*, die ebenfalls mit Ausländern verheiratet sind, berichtet sie, wie es ist, in Berlin eine binationale Ehe zu führen. Die drei Familien wohnen in Neukölln und Kreuzberg. »‘Negerhure‚ und ‘Drecksweib‚ sind fast noch harmlose Schimpfworte, die wir auf der Straße oder in der U-Bahn im Beisein unserer Männer zu hören bekommen«, erzählt die 36jährige Studentin Martina K., die mit einem Ägypter verheiratet ist. »Ob sie sich keinen anständigen Mann suchen können?« werden die drei Frauen häufig gefragt. »Und ob es uns ein Deutscher nicht so gut besorgt.« Sie selbst versuchten, die Beschimpfungen zu ignorieren, aber wenn es die Kinder treffe, werde es richtig hart. »Meiner 15jährigen Tochter und meinem 13jährigem Sohn wird ganz oft ‘Bastard‚ hinterhergeschrien«, erzählt die mit einem Ghanesen verheiratete 38jährige Studentin Claudia H. »Als die Kinder klein waren, haben sie das noch nicht bewußt erlebt, aber jetzt wissen sie überhaupt nicht mehr, wo sie hingehören, dabei fühlen sie sich als Deutsche.« Martina K. hat deshalb die Entscheidung getroffen, von ihrem Mann kein Kind zu bekommen, weil sie diesem ein Leben im Widerspruch nicht zumuten will. »Auch ich selbst hätte nicht die Kraft, das durchzustehen«, sagt sie ehrlich.
Den alltäglichen Rassismus bekommen die drei Familien nicht erst seit der Maueröffnung, Hoyerswerda und Rostock zu spüren. Im Gegensatz zu früher sei die Hemmschwelle der Leute aber in den letzten drei Jahren drastisch gesunken. »Früher brauchten sie noch Alkohol, um uns zu beschimpfen. Jetzt geht es auch ohne. Die Politiker machen ihnen offensichtlich Mut«, sagt Monika O. Die »schlimmsten Sprüche lassen die bieder aussehenden Leute los.« Aber auch viele Linke seien nicht besser, weiß Martina K. Sie werde von ihren KommilitonInnen nicht mehr eingeladen, seit sie mit einem »Neger« zusammen ist.
Nach Ost-Berlin trauen sich die drei, wenn sie mit ihren Männern und Kindern unterwegs sind, inzwischen kaum noch. »Der Bezirk Mitte ist das Weiteste.« Aber auch in West-Berlin würden sie in steter Regelmäßigkeit beschimpft. Am schlimmsten sei es in Neukölln. Martina K. erzählt, daß sie sich in der U-Bahn, zum Beispiel in Richtung Zehlendorf, ganz bewußt nicht mehr neben ihren Mann setze, weil beide die schamlose Angafferei der Leute nicht mehr ertragen könnten. »Mein Selbstbewußtsein ist mittlerweile ziemlich angeknackst«, gibt sie zu. Allen drei Frauen gemein ist, daß sie mittlerweile fast nur noch Bekannte haben, die mit Ausländern verheiratet sind. »Das ergibt sich einfach aus der Notwendigkeit, zusammenzuhalten und sich gemeinsam den Rücken zu stärken.«
»Ich bin stolz auf meinen Mann und meine Kinder«, sagt Claudia H., mit dem Hinweis, sie hätte es inzwischen gelernt zu kämpfen. Trotzdem steht für sie und Monika O. fest, daß sie so bald wie möglich aus Berlin weg nach Schweden, England oder Holland wollen. Sie wisse genau, was ihr hier fehle, sagt Claudia H.: »In London habe ich einmal ganz allein als Weiße nur mit Schwarzen zusammengelebt. Die haben mich richtig warm aufgenommen.«
*Namen von der Redaktion geändert
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