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In jedem Rassismus steckt ein Comic strip

Der zweite Band von Art Spiegelmans „Maus“-Comic  ■ Von Claus Christian Malzahn

Der erste Band von Art Spiegelmans Comic-Erzählung „Maus — die Geschichte eines Überlebenden“ wurde von der internationalen Presse über alle Maßen gelobt. „Ein großes Epos in kleinen Bildern“, hieß es in der New York Times, „ein eindringlicher Bilderroman“, befand die Süddeutsche Zeitung, „ein Jahrhundertwerk“, lobte die taz, „expressionistischer Bilderstrip“, formulierte der Spiegel, und der italienische Schriftsteller Umberto Eco erklärte: „,Maus‘ ist ein Buch, das man nicht weglegen kann. Wenn diese Mäuse über die Liebe sprechen, ist man gerührt, wenn sie leiden, muß man weinen.“

Alles richtig. Alles falsch. Die meisten Rezensionen des im Jahre 1989 erschienenen ersten Bands gerieten zu Besprechungen im esoterischen Wortsinn. Jede zweite Kritik begann mit der rhetorischen Frage: „Ein Comic über Auschwitz — darf man das?“ Die Feuilletonisten verteidigten Spiegelmans Bildergeschichte nicht weil, sondern obwohl sie ein Comic war. Auch der Rowohlt-Verlag traute seinem Zeichner wohl nicht ganz, als er im Klappentext des ersten Bandes verlautbarte: „Nicht Verniedlichung oder Verharmlosung ist die Absicht der gewählten Form, sondern Konzentration auf das Wesentliche, Verallgemeinerung und Erzielung einer um so größeren Schockwirkung durch die Verwendung des populären Mediums.“

Das ist dummes Zeug. Art Spiegelman arbeitet seit Jahrzehnten als Zeichner, gibt seit Anfang der Achtziger das hochkarätige Comic-Magazin Raw in New York heraus. Er hat keine Form gewählt, er hat sie einfach. Hätte Art Spiegelman die Geschichte seines Vaters nicht in schwarzweißen Bildern, sondern in geschliffenen Formulierungen erzählt, wäre vermutlich ein interessanter Roman, aber kein Geniestreich dabei herausgekommen. „In jedem Rassismus mit seiner krassen Entgegensetzung von Gut und Böse steckt ein Comic strip.“ Sagt Spiegelman.

Diese einleuchtende Interpretation muß in einem Land, in dem sich erst heute eine interessante einheimische Comic-Szene herausbilden kann, weil die Nazis die begabtesten Zeichner und Karikaturisten umgebracht oder in den Tod getrieben haben, für Erstaunen sorgen. Bis in die achtziger Jahre hinein konnte das deutsche Bildungsbürgertum, konnten die Linken und die Intellektuellen mit Comics nicht viel anfangen: Die Bildergeschichten waren ihnen suspekt, galten als minderwertig, unseriös, volksverblödend, kulturlos, amerikanisch. Als Spiegelmans „Maus“ in Deutschland erschien, reagierten viele entsetzt. Daran, daß nach Auschwitz wieder Gedichte geschrieben worden sind, hatte man sich gewöhnt. Aber ein Comic über Auschwitz? Das grenzte an Blasphemie.

Während der erste Band von „Maus“ die Geschichte des polnischen Juden Vladek Spiegelman bis zu seiner Deportation nach Auschwitz erzählt, schildert der zweite das (Über-)Leben des Protagonisten im Konzentrationslager. Wie im ersten Band werden Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen, Polen als Schweine, Amerikaner als Hunde und Franzosen als Frösche dargestellt. Diese „Reduktion“ problematisiert der Autor im zweiten Band. Im ersten Kapitel schildert er ein Gespräch mit seiner französischen Freundin Fran¿oise, die — seinem konservativen Vater zuliebe — zum Judentum übergetreten ist. „Ich überlege, wie ich Dich zeichnen soll“, sagt Art zu Françoise. „Als Maus natürlich!“ antwortet sie empört. „Aber Du bist Französin!“ erwidert Art und erinnert an den Antisemitismus der Franzosen, an die Dreyfus-Affäre, die Nazi-Kollaborateure. Das im Comic strip wiedergegebene Gespräch verläuft ergebnislos. Art Spiegelman hat seine Lebensgefährtin trotzdem, natürlich (wie sonst?) vom ersten Bild an als Maus gezeichnet.

Wem es möglich ist, der sollte das Werk in der englischen Originalfassung lesen. Nicht etwa deshalb, weil die Übersetzung der Geschichte mißlungen wäre; Christine Brinck und Josef Joffe haben die Dialoge und Texte mit akribischer Genauigkeit ins Deutsche übertragen. Sie konnten trotz ihrer vorbildlichen Arbeit nicht verhindern, daß die in Deutschland verlegten Bände gegenüber den Originalwerken an Authentizität verloren haben. Ihr Dilemma schildern die Übersetzer in einer Vorbemerkung zum zweiten Band: Wladek verständigt sich in drei Sprachen, die verschiedenen Handlungs- und Zeitebenen zugeordnet sind. In Polen, während des Krieges und der Verfolgung, redet er, je nach Gesprächspartner, Jiddisch oder Polnisch — was der Autor als perfektes Englisch wiedergibt. Deshalb wird es in korrektes Deutsch übersetzt. Als Überlebender in Amerika spricht Wladek gebrochenes Englisch, dessen jiddische Ursprünge die meisten amerikanischen Leser sofort erkennen würden. Um dieses „Yinglish“ ins Deutsche zu transportieren, haben die Übersetzer einen analogen Sprachstil gewählt — das gebrochene Deutsch eines Menschen, dessen Muttersprache Jiddisch ist. Die „yinglische“ Fassung ist schon deshalb überzeugender, weil Wladek nach 1945 eben in Amerika und nicht in Deutschland weitergelebt hat.

Art Spiegelman, der nach dem Krieg in den USA zur Welt kam, erzählt nicht nur die Geschichte seines Vaters. Er erzählt auch nicht nur über die Verfolgung, über die Entmenschlichung von Opfern und Tätern; er erzählt vor allem seine eigene Geschichte, die mit der Vergangenheit seines Vaters untrennbar verknüpft ist. Der Comic „Maus“ schildert die Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn und ist gleichzeitig Produkt dieser Auseinandersetzung. Die widersprüchlichen Gefühle, die Art seinem Vater entgegenbringt, kommen dabei besonders gut zum Ausdruck: Wladek, der Überlebende von Auschwitz, ist geizig, rechthaberisch, rassistisch. Seine zweite Frau wird von ihm so lange getriezt, bis sie ihn verläßt.

Art Spiegelman verklärt das Leben seines Vaters nicht. Er schildert den Überlebenden genauso präzise wie den Verfolgten. Nicht nur deshalb ist der Vorwurf, „Maus“ würde die Geschichte der Judenverfolgung banalisieren und reduzieren, völlig haltlos. Genaugenommen ist „Maus“ gar kein Comic. Genaugenommen ist „Maus“ ein Tragic.

Art Spiegelman: „Maus — die Geschichte eines Überlebenden“, Band zwei: „Und hier begann mein Unglück“. Rowohlt Verlag 1992, 29,80 DM.

Die Originalausgabe ist bei Pantheon Books, New York, erschienen. Sie ist in Deutschland im Fachhandel erhältlich: „Maus — A Survivor's Tale, II“.

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