: Der Haus-Neger der Wissenschaftsfabrik
■ Der Computerfachmann Joseph Weizenbaum singt das Loblied der Langsamkeit
Er ist der Mensch an der Schnittstelle zwischen Informatik und Philosophie. Er haßt die Etiketten, die man den Leuten umhängt, um sie einzuordnen. Wenn er für sich selbst eines wählen muß, dann ist es das eines zurückgezogenen Computer-Wissenschaftlers. Die taz traf Weizenbaum bei einem Bremen-Besuch in der letzten Woche.
Joseph Weizenbaum, der große alte Mann der kritischen Computerwissenschaft, wandelte sich während des Vietnam-Krieges am Massachusettes Institute of Technology (MIT), der Ideen- Schmiede des Pentagon, zum Saulus zum Paulus. Bis dato hatte der Informatiker mit Begeisterung Computer gebaut und Programme geschrieben. Dann begann er, über seine Arbeit und ihre Verwertung nachzudenken. „Ich dachte an die deutschen Wissenschaftler, und wie sie sich während des Dritten Reichs verhalten haben. Wernher von Braun ist da ein Musterbeispiel: Er machte seine Arbeit und alles andere, sagte er, machen die Politiker.“ Fortan war es dem Computerwissenschaftler nicht mehr egal, was die Politiker, was die Gesellschaft, was „wir“ mit seiner Arbeit machen. Und weil jeder Fortschritt in den Computerwissenschaften „sofort vom Militär aufgegriffen wird“, wollte Joseph Weizenbaum an diesen Fortschritten nicht länger beteiligt sein.
Pentagon-Dissident
Er wurde zum Dissidenten im MIT — und weiß, daß er heute das Feigenblatt der Wissenschafts-Fabrik ist. Als „Haus- Neger“ durfte er seinen Schreibtisch dort bis heute als emerierter Professor behalten. Und Beispiel geben, dafür, „daß die Leute in der westlichen Welt viel mehr Freiheit haben, als sie nutzen. Sie haben Angst, Dinge auszusprechen. Was fürchten sie? Daß einer deswegen entlassen wird, passiert doch in der Tat sehr selten.“
Weizenbaum hat seine Freiheit genutzt, hat ausgesprochen und ist geblieben. Vielleicht, sagt er, wäre es schöner, an einer liberalen, schöngeistigen Uni zu sein, „wo die Studenten Rilke und Goethe lesen. Aber die Leute im MIT brauchen solche Gespräche mehr als die schönen Rilke-Spezialisten.“
Jetzt ist die Philosophie das Programm, an dem Weizenbaum schreibt. „Sie können mit einer Pistole natürlich auch einen Nagel in die Wand schlagen und ein schönes Bild aufhängen. — Sehen Sie, jetzt lachen Sie, denn eigentlich ist eine Pistole eine Drohung.“ Und umgekehrt wäre es lächerlich, keine Schuhe mehr zu tragen, bloß weil Soldaten auch Schuhe tragen.
Was haben sie gebracht, die neuen Technologien der Kommunikation? Wir leben im „global village“, sagt Joseph Weizenbaum, auf deutsch: Die Welt ist ein Dorf geworden, und es wird behauptet, die Menschen seien einander näher gekommen. In ein paar Stunden ist er von Amerika nach Europa geflogen, „aber früher ist man nach so einer Reise mindestens vier Wochen in Europa geblieben. Jetzt tauche ich für ein paar Minuten irgendwo auf, dann bin ich wieder weg.“ Es ist doch soviel einfacher, mit jemandem zu telefonieren, als einen langen Brief zu schreiben. Wir kommunizieren ständig, aber „wir sprechen sehr selten miteinander. Der Mensch wird zu einem Zweckinstrument“ für berufliche Besprechungen.
Soviel ist erfunden worden, um Zeit zu sparen: Die Waschmaschine, die Spülmaschine, das Auto „aber wir haben keine Zeit! Es geht alles immer schneller und trotzdem ist die Eile immer größer. Das ist tragisch!“
Was bringt das „global village“? Unmengen von Datenfluten, die wir zu verarbeiten haben. „Alles Quatsch!“ Auf der Strecke bleiben Nachdenklichkeit und der Mut, auszubrechen. „Wir sind sehr systemkonform. Es fällt uns gar nicht ein, auszubrechen, alternativ zu sein. Nicht einmal in der alternativen Szene. Man soll seine Suppe nicht schlürfen und keine radikalen Phantasien ausleben. Wir verbieten uns selbst zu träumen.“ Diemut Roether
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