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Krieg hat ein weibliches Gesicht

„Sterben in Kroatien“ — Slavenka Drakulic über die andere Seite des Krieges  ■ Von Ulrike Helwerth

„Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“, heißt ein Buch von Swetlana Alexijewitsch über sowjetische Soldatinnen im Zweiten Weltkrieg. Aber wir wissen, daß es nicht stimmt. Es wird uns ja tagtäglich von den Medien vor Augen geführt: in Gestalt von Flüchtlingsfrauen, von verletzten, toten Frauen, von Frauen, die Verletzte versorgen und die Toten betrauern. Alles Opfer. Von dieser Seite des Krieges handelt „Sterben in Kroatien“ nicht. Slavenka Drakulic spielt sich nicht als Frontberichterstatterin auf — eine Rolle, so erzählte mir kürzlich eine Kollegin aus Zagreb, in der sich auch ein paar Reporterinnen im serbisch- kroatisch-bosnischen Krieg inzwischen einen Namen gemacht haben. Im Gegenteil, Slavenka Drakulic ist in diesem Sinne ganz und gar keine Heldin. Kaum wurden im September 1991 die ersten Angriffe auf Zagreb geflogen, packte sie ihre Koffer und floh zunächst nach Ljubljana; und ich hörte, daß nicht wenige es der renommierten und politisch profilierten Journalistin und Autorin übelnahmen, daß sie fernab in New York, London, Paris, ihre Stimme kritisch erhob über ein Drama, dem sie sich dank Privilegien entzogen hatte. Feigheit vor dem Feinde heißt das wohl in der Sprache des Krieges, oder Vaterlandsverräterin.

Das führt zu der Seite des Krieges, um die es Slavenka Drakulic in ihrer neuen Textsammlung geht: um die psychische Zerstörung des Individuums, die Zersetzung von Einsichten, Gefühlen, Lebensläufen, Beziehungen, die einhergeht mit der massenhaften Zerstörung von Leben. „Was ist Krieg?“ fragt sie und vergleicht ihn mit einer Krebszelle, die alle befällt und in ihnen wuchert. Diesen Krankheitsverlauf zeichnet sie in Geschichten über unterschiedliche Menschen nach: an der Tochter, die vor dem Krieg nach Wien floh, an der Schauspielerin, die auch zur „Vaterlandsverräterin“ wurde, weil sie während der kroatisch-serbischen Kämpfe in Belgrad auftrat, an einer Journalistin aus Sarajewo, die sich nach Zagreb rettete und dort als Flüchtling zum Menschen zweiter Klasse wurde, aber auch an einem 19jährigen Jungen aus Vukovar, der zum Mörder wurde, weil er zwischen Töten und Getötetwerden keinen Ausweg sah.

Als Mutter reflektiert sie über jene Generation, die mit Levis- Jeans, Nike-Turnschuhen, Benetton-Pullover und Sony-Walkman groß wurde, mit Karriere und Geld im Kopf, „aber bitte keine Politik“, die Kriege nur aus dem Kino kannte — jetzt aber „Apocalypse Now“ selbst lebt. Sie fragt nach der Schuld ihrer eigenen Generation, die aufwuchs mit dem „großen Mythos des Kalten Krieges“ der in einem atomaren dritten Weltkrieg zu enden drohte. Eine Bedrohung, die gleichzeitig aber auch beschützte, denn ein solches Ausmaß an Selbstzerstörung hielt niemand wirklich für möglich. Noch undenkbarer schien ein lokaler Krieg mitten in Europa, mit Gewalttaten, die jenen des Zweiten Weltkrieges vergleichbar sind. Und doch habe sich dieser undenkbare Krieg eingeschlichen, zuerst in die Worte der Politiker, dann in die Medien und dann in den Alltag von Millionen. Die Gleichgültigkeit, mit der Europa, die Welt, auf diesen Massenmord reagiert, ruft ihr jenen polnischen Bauern ins Gedächtnis, der neben dem Stacheldraht des KZs Treblinka sein Feld bestellte, während Tausende von Juden in die Gaskammern getrieben wurden. Diese Dialogszene aus „Shoa“ von Claude Lanzmann hat Slavenka Drakulic ihrer Textsammlung sozusagen als Leitmotiv vorangestellt.

Der Krieg stellt eine simple aber fatale Frage: Auf welcher Seite stehst du? Und dieser Stellungnahme, legt Slavenka Drakulic in ihrem Buch nahe, kann sich keine durch Flucht entziehen. Mit der ihr eigenen bildhaften und zu großen Gefühlen neigenden Sprache schildert sie, wie sie, westlich orientierte Jugoslawin und Kosmopolitin, „mit dem Rücken an die Wand der Nationalfrage“ gedrängt wurde — und mit ihr Millionen anderer KroatInnen: „Eben das ist es, was der Krieg uns antut: Er reduziert uns auf eine einzige Dimension, die Nation.“ Dieser Fatalismus, oder besser diese Kapitulation einer internationalistisch denkenden Feministin vor einem kriegerischen Nationalismus bleibt letztlich unerklärt und erschreckt mich am meisten.

Der Krieg hat ein weibliches Gesicht, auch wenn er „im Grunde Männersache“ ist. Frauen töten zwar nicht, aber sie sind auch nicht nur Opfer. Sie leisten ihren Beitrag, indem sie unterstützen, Befehle ausführen. Aber sie können auch protestieren, boykottieren, ihre Unterstützung entziehen und gegen den Krieg arbeiten. „Da liegt“, das klingt wie Mahnung und Selbtbeschwörung zugleich, „unsere Verantwortung, aus der wir uns nicht herausstehlen können.“

Slavenka Drakulic: Sterben in Kroatien. Vom Krieg mitten in Europa. rororo aktuell, Hamburg 1992, 9,90 DM

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