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ABM-Kahlschlag: Keiner hat den Überblick

■ Projekte-Sterben geht weiter / SPD-Klausurtagung entscheidet über einzelne Rettungen / Diskussion im Curio-Haus

/ SPD-Klausurtagung entscheidet über einzelne Rettungen / Diskussion im Curio-Haus

„Das ist ein Notruf“, sagt Elsbeth Müller von Denk(t)räume e. V. Der Antrag für drei ABM-Stellen in 1993 wurde abgelehnt. Wenn es bis Jahresende keine Zusicherung für wenigstens zwei Stellen gibt, wird das einzige autonome Frauenbildungszentrum in Hamburg dichtmachen, statt wie geplant das 10jährige Bestehen zu feiern.

„Ab Mai '93 wird es uns nicht mehr geben“, vermutet auch Gertrud Wiedenmann von Waage e.V. in der Eimsbüttler Schoopstraße. Die Beratungsstelle für Eßsüchtige existiert seit zwei Jahren, ist die einzige Anlaufstelle dieser Art, in der Frauen auch ohne Krankenschein unbürokratische Hilfe erfahren. Erst gestern hätten 30 Frauen angerufen. Der Laden brummt. Doch als die beiden Waage-Frauen einen Ansprechpartner suchten, um über die weitere Existenz zu verhandeln, wurden sie zwischen Gesundheitsbehörde und Drogenbeauftragten hin- und hergeschickt. Keiner fühlt sich zuständig.

„Aus“ ist es bereits für fünf der acht Mitarbeiter der Alkoholselbsthilfe e. V.. Der Verein betreut alkoholsüchtige Männer im Untersuchungsgefängnis und in der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand. Beide Selbsthilfegruppen mußten Ende Oktober geschlossen werden. ABM-Kahlschlag und seine Folgen. Aufgrund der Bonner Sparbeschlüsse wird Hamburg im Jahr '93 die Zahl der ABM-Stellen von 4500 auf 3000 abbauen, das ist seit einem Jahr bekannt. Doch einen Überblick, welche der 500 Projekte sterben oder bereits eingegangen sind, hat derzeit niemand. „Wir bekommen auch ständig nur Notrufe“, berichtet die GAL-Abgeordnete Anna Bruns. Der Senat verweigere aus Datenschutzgründen genauere Zahlen. Sie vermutet, daß man auf eine biologische Lösung setzt: „Alles schön langsam anlaufen lassen, damit möglichst viele von selbst aufgeben.“

Doch die Stunde der Wahrheit naht. Am kommenden Wochenende geht die SPD-Fraktion in Malente in Klausur. Schwerpunktthema: ABM. Rund sechs Millionen Mark sind noch zu verteilen, und 29 Anträge von Projekten, die feste Stellen haben wollen, liegen vor. Denk(t)räume hat noch Chancen, Waage e.V. wohl nicht. Es fehlen die Connections und die nötige Bekanntheit. Jeder Zeitungsartikel wird von anderen Projekten eifersüchtig beäugt.

Doch wer weiß, wenn die Sozialbehörde ihre Hausaufgaben macht — sie wurde von der Bürgerschaft beauftragt, einen Überblick über Auswirkungen der Kürzungen zu erstellen —, tauchen alle Projekte vielleicht rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen Mitte Dezember nochmal namentlich auf.

Die Zeit, in der sozialpolitische Projekte über den zweiten Arbeitsmarkt finanziert werden, scheint allerdings vorbei zu sein. Nach den neusten Kriterien des Arbeitsamts haben Akademiker kaum noch Chancen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich gewandelt. „Es ist heute ja nicht mal mehr möglich, Sozialarbeiter für die Betreuung von Asylbewerbern zu bekommen“, verteidigt SPD-Vize-Fraktionschef Jan Ehlers die neue Gewichtung. Der Ex-Sozialsenator hatte auf einer Podiumsdiskussion im März versprochen, Hamburg werde die 144 Millionen Mark Komplementärmittel für die gestrichenen ABM-Stellen im Haushalt belassen.

Um genau dieses Geld entzündet sich jetzt Streit. Nach einer Aufrechnung der AG Zündstoff spart der Senat hier 60 Millionen Mark ein, statt feste Stellen zu schaffen. Der Zusammenschluß der ABM- Projekte lädt nun für Montag um 16.30 Uhr zu einer Podiumsdiskussion ins Curio-Haus ein, wo unter anderen Anna Bruns, Jan Ehlers und Antje Blumenthal (CDU) über die Verteilung der knappen Mittel streiten werden. Kaija Kutter

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