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Japan zweifelt am Plutoniumplan

Internationale Proteste gegen die Seereise des Bombenstoffs haben Regierung in Verlegenheit gebracht/ 41 Küstenländer beunruhigt  ■ Aus Tokio Georg Blume

Unter dem Sonnenbanner Nippons segelt eine tödliche Fracht um die Welt. Doch seit der Atomtransporter „Akatsuki Maru“ am 7. November mit 1,5 Tonnen Plutonium an Bord vor der französischen Nordwestküste in See stach und Kurs auf Kap Hoorn nahm, ist man sich am Ziel der unheimlichen Reise, in Tokio, ihres Sinns und Zwecks nicht mehr sicher.

„Niemand unter den Beteiligten hat erwartet, daß dieses Unternehmen ein solches Maß an öffentlicher Beachtung finden würde“, meint Toichi Sakata, Leiter der Atomabteilung im Tokioter Technologieministerium, das die Plutoniumschiffahrt überwacht. Tatsächlich steht Japan nach der unschlüssigen und verspäteten Reaktion im Golfkrieg vor dem zweiten großen diplomatischen Debakel seit Ende des Kalten Krieges: Denn das für viele Bürger und Regierungen in aller Welt unverständliche Risiko eines Plutoniumtransports hat die internationale Aufmerksamkeit auf die Schwachstelle der japanischen Atompolitik gerichtet: Was nämlich soll mit all dem waffentauglichen Plutonium, das man von der Wiederaufarbeitung in Frankreich zurück nach Japan transportiert, geschehen?

Immer häufiger wird in diplomatischen Kreisen der Verdacht ausgesprochen, Nippon wolle sich auf Dauer das Grundmaterial für den Aufbau einer eigenen militärischen Atommacht beschaffen. So sehr derartige Pläne in Tokio mit Vehemenz zurückgewiesen werden: Gleichzeitig empfindet man es als Mißtrauensbeweis, wenn das Thema japanischer Atomwaffen heute in den asiatischen Hauptstädten und in Washington häufiger als je zuvor angesprochen wird. Das Außenministerium in Tokio war deshalb auch die erste Regierungsinstanz, die diese Woche die japanische Plutoniumpolitik in Frage stellte.

Seit Anfang der siebziger Jahre wird verbrauchtes Uran aus japanischen Atomkraftwerken im französichen La Hague und im englischen Sellafield wiederaufgearbeitet. Von Anfang an war dabei klar, daß die Rückstände der Wiederaufarbeitung, darunter das hochgiftige und waffentaugliche Plutonium, eines Tages nach Japan zurücktransportiert werden sollen. Davon befördert die Akatsuki Maru derzeit die erste Ladung. Bis zum Jahr 2000 sollen auf diese Art 30 Tonnen Plutonium nach Japan zurückkehren.

In Japan ist die Plutoniumschifferei Teil einer in den siebziger Jahren entwickelten Energiepolitik, die vorsieht, durch die Verbrennung von Plutonium in Schnellbrüterreaktoren die Abhängigkeit von Uran für herkömmliche Atomreaktoren zu verringern. Damals erhofften sich viele westliche Länder von dem endlos wiederverwertbaren Plutonium in Schnellbrütern eine größere energiepolitische Unabhängigkeit. Heute sind diese Träume aufgrund der Betriebsuntüchtigkeit der Schnellbrüter und den unerwartet großen Uranvorkommen überall zu den Akten gelegt worden – nur in Japan nicht. Verhaltene Kritik an dem milliardenschweren Plutoniumprogramm gab es hier bislang nur von den Elektrizitäts-Versorgungsunternehmen, die den teuren Plutoniumstrom mitfinanzieren.

„Wir haben unseren Plan und sehen keinen Grund, ihn zu ändern“, sagt Toichi Sakata über Japans Plutoniumprogramm. Doch sein Technologieministerium befindet sich heute erstmals im Kreuzfeuer der Kritik. Von 45 Ländern, deren Küsten die Akatsuki Maru auf ihrer langen Reise streifen kann, haben 23 dem Schiff eine Durchquerung ihrer Hoheitsgewässer untersagt. Weitere 18 Länder haben der japanischen Regierung ihre Bedenken mitgeteilt und bitten um weitere Informationen. Doch der Plutoniumtransport ist von Japan als Geheimfahrt geplant; nur das Greenpeace-Schiff, das die Reise verfolgt, gibt der Welt Auskunft über den Kurs der Akatsuki Maru.

Kurz nach Beginn der Reise war ein Greenpeace-Schiff mit der „Shikishima“, dem sondergefertigten Begleitschiff der japanischen Küstenwache, zusammengestoßen und hatte die japanischen Behörden in helle Aufregung versetzt. „Falls so etwas wieder passiert“, sagt ein japanischer Beamter, „werden wir Warnschüsse abgeben.“ Dagegen legte die holländische Botschaft in Tokio der Regierung eine offizielle Beschwerde vor, die gegen das Verhalten der Shikishima gegenüber dem unter holländischer Fahne segelnden Greenpeace-Boot protestierte.

Derweil konnte auch Washington dem Plutoniumabenteuer auf hoher See nicht länger tatenlos zusehen. Obwohl die Sicherheitsvorkehrungen für die Fahrt zwischen Japan und den USA ausdrücklich abgesprochen waren, verfolgt nun ein amerikanisches U-Boot den Plutoniumkonvoi – für Tokio, das offiziell alleine für die Sicherheit der Reise bürgt, eine Brüskierung.

Zweimal im Jahr soll der Plutoniumtransport fortan zwischen Europa und Japan fortan stattfinden. Doch nun streitet sich die Regierung über die Weisheit solcher Pläne: Die Transporte könnten Japans internationalem Prestige weiteren Schaden tun, warnt das Tokioter Außenministerium. „Es könnte immer noch einen Uranmangel geben“, rechtfertigt dagegen Staatsminister Koichi Kato die Vorhaben. „Wir müssen deshalb Plutonium nutzen, um die Auswahl der Energiequellen zu vergrößern.“ Bürgerproteste in Japan selbst gibt es nur vereinzelt. Die weiteren Reaktionen in Übersee werden deshalb über die Zukunft der japanischen Plutoniumwirtschaft entscheiden.

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