: Weniger Sicherheit durch mehr Polizei?
■ Bremen: Frauen sind überdurchschnittlich oft Opfer von Körperveletzungen und Raubüberfällen
Ist Bremen Deutschlands gefährlichste Großstadt für Frauen? Der freundin-Bericht mit der gewalttätigen Statistik der Überfälle auf Frauen hat die Rechner im Bremer Polizeipräsidium aufgeschreckt. Für Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Körperverletzung, Raub, Handtaschenraub und sonstige Raubüberfälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen haben sie ihre Statistiken nach weiblichen und männlichen Opfern aufgeschlüsselt. Frauen würden in Bremen besonders häufig Opfer von Körperverletzungen, berichtete Polizeipräsident Rolf Lüken gestern vor der Presse: Während 1991 in Berlin nur 8,8 Prozent der Körperverletzten Frauen waren, waren es in Bremen 24,8 Prozent. Des Polizeipräsidenten Erklärung: „Körperverletzung findet häufig im familiären Bereich statt. Vielleicht sind die Bremerinnen in diesen Fällen eher bereit, sich zu offenbaren.“
Auch Opfer von Dieben werden Frauen in anderen Städten seltener als in Bremen. Wurden in Frankfurt nur 30 Prozent Anzeigen wegen Raub von Frauen erstattet, so waren es in Bremen 45 Prozent.
Eine traurige Spitzenreiterposition hält Bremen im Großstadtvergleich bei den Vergewaltigungen. 27,8 Vergewaltigungen je 100.000 EinwohnerInnen verzeichnet die Statistik für 1991. Erst weit dahinter folgt Hamburg mit 18,6 und Frankfurt mit 17,5. Ob das Anzeigeverhalten in Bremen nun höher ist als in anderen Städten, darüber kann der Polizeipräsident nur spekulieren. Immerhin gilt Bremen in Essen, der Stadt, die im kriminalstatistischen Vergleich am besten abgeschnitten hat, als vorbildlich, was den polizeilichen Umgang mit Vergewaltigungsopfern angeht, bestätigt auch die zuständige Kriminalkommissarin in Essen.
Steht womöglich die von Polizisten beklagte Unterbesetzung der bremischen Polizei in Zusammenhang mit der hohen Zahl der Gewalttaten? Die Gleichung mehr Beamte verhindern mehr Straftaten sei nicht so schlicht, widerspricht Rolf Lüken. Im Gegenteil: „Als das Präsidium eine Stelle für Jugendinspektion eingerichtet hat, hatten wir eine Zunahme der Jugendkriminaltiät um 86 Prozent zu verzeichnen.“ Im Kommissariat, das sich mit der Aufklärung von Vergewaltigungen befasse, seien immerhin 15 von 17 Stellen besetzt. Dennoch fände der Polizeipräsident 10 MitarbeiterInnen mehr im Kommissariat „auch nicht schlecht“. Doch „wenn ich verstärke, wird die Anzeigebereitschaft womöglich noch höher!“ Dabei ist Bremen wieder ganz anders als andere Städte: In Essen, wo die Statistik erstaunlicherweise nur 8,5 Vergewaltigungsopfer je 100.000 Einwohner aufweist, sind im zuständigen Kommissariat nur sieben Beamte mit der Aufklärung von Vergewaltigungen befaßt — die gleichzeitig auch für Entführungen und Vermißte zuständig sind.
Sigrid Jaschinski, Essener Frauenbeauftragte warnt vor vorschnellen Schlüssen aus der freundin-Statistik: „Wir haben hier in Essen nicht die Erfahrung, daß die Frauen sich sehr sicher fühlen.“ — Und wenn sie sich nicht mehr auf die Straße trauen, können sie auch nicht überfallen werden. dir
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