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Die Geschichte von der „richtigen“ Bremer Eiswette

■ Wenn Großvater nach dem Schlittschuhfahren auf der zugefrorenen Weser vom Weserkraftwerk und dem Jahr 1992 erzählt...

Quidquid agis,

prudenter agas,

et respice finem.

„Großvater, erzähl' uns was von ganz früher!“

Wie gut er das konnte! Immer bei besonders gemütlichen Gelegenheiten baten ihn die Kinder mit diesen Worten um eine Geschichte. Heute war er mit ihnen bei bitter kaltem Wetter hinausgegangen an die Weser, zum Schlittschuhfahren. Nachdem sie sich richtig gut ausgetobt hatten, waren sie schließlich im Café oben über dem Weserkraftwerk angekommen, und nun saßen sie bei Saft und Butterkuchen und schauten hinaus auf das weite Eis der Weser und die verschneiten Wiesen.

„Ja, was wollt Ihr denn hören? Wie ich damals den Schnee geschmolzen habe? Also, es ist ja bald ein Jahrhundert her, es war im Winter des Jahres 1947. Ihr wißt ja, damals war der ‘Zweite Weltkrieg' gerade zu Ende gegangen. Überall in Deutschland ging es den Menschen nicht gut. Es gab nichts zu essen, und auch Heizmaterial war rar. Zu der Zeit wurden die Wohnungen noch jede für sich mit Kesseln geheizt, in denen Kohle verbrannt wurde. Das war auch bei uns zu Hause in Heidelberg nicht anders. Aber diese Nazis hatten in dem Krieg ungeheuer viel Kohle für ihr Militär verbraucht. Darum hatten sie damals ein richtiges 'Energiesparprogramm' begonnen, wie wir es ähnlich erst viel später wieder, Ende des Jahrhunderts, bekommen haben. Da schaute von jeder Plakatsäule ein finsterer schwarzer Mann herab, mit einer Maske wie ein Einbrecher, und einem dicken Sack auf dem Rücken. Das war der 'Kohlenklau', vor dem da gewarnt wurde --- drunter stand dann jede Woche ein anderer Spruch, zum Beispiel: 'Vorsicht vor dem Kohlenklau! Fenster zu, wenn geheizt ist!'. Hätte eigentlich eine ganz gute Kampagne sein können, dieser Kohlenklau; aber den Nazis ging es nur um ihren Krieg.

hier der Kopf

Cornelius C. Noack, Physiker

Kohle gab's dann 1947 überhaupt nicht mehr. Wenn man heizen wollte, mußte man in den Wald gehen und sehen, daß man ein bißchen Holz zusammenklaubte oder vom Förster geschenkt bekam. Und bitter kalt war es in diesem Winter! Der Neckar war damals so dick zugefroren, daß man richtig mit schweren Pferdewagen 'rüberfahren konnte. Aber als dann der Frühling kam, als es wieder warm wurde und die Schneeschmelze begann, wurde es noch viel schlimmer! Denn das plötzliche Tauwetter hat all den Schnee in

In einem Ritual ohne realistischen Bezug zu der salzhaltigen Weser, die nie zugefroren ist, treffen sich jedes Jahr Anfang Januar die Herren der Eiswette. Wie es gekommen ist, daß die Weser ihr Salz verlor und dann wirklich wieder zufrieren konnte, berichtet der rote Großvater - im Rückblick aus dem Jahr zweitausend und soundsoviel... Erinnerungs-Foto von damals, 1993: Jörg Oberheide

den Bergen so schnell schmelzen lassen, daß es zum schlimmsten Hochwasser des Jahrhunderts kam. Die ganze Altstadt stand unter Wasser, und viele Menschen wurden obdachlos. Und die dicken Eisschollen auf dem Neckar -- über einen halben Meter dick, ich habe es selbst gesehen! -- trieben so heftig den Fluß hinunter, daß sie schließlich die große Holz-Behelfsbrücke über den Fluß mitgerissen haben --- die Steinbrücken, auch die berühmte ‘Alte Brücke' hatten Hitlers Truppen 1945 ja alle gesprengt. Und da war die ganze Stadt auf einmal wieder in zwei Teile zerrissen. Das war vielleicht eine Katastrophe!

Ich war damals ja noch ein Junge, etwa so alt wie Du, Kaspar. Mich hat das alles sehr beeindruckt. Und im Winter drauf passierte dann das, was ich Euch erzählen will:

Es hatte wieder heftig geschneit. Da mußte natürlich der Gehweg vor dem Haus freigeschaufelt werden, und das sollte ich machen. Als ich einen großen Schneehaufen nach dem andern aufgetürmt hatte, kam ich ins Grübeln: wenn im Frühjahr wieder das Tauwetter kommt, dann schmilzt dieser viele Schnee im ganzen Land wieder in wenigen Tagen, und dann gibt es wieder ein großes Hochwasser! Wenn man nur irgendwie dafür sorgen konnte, daß sich das ein bißchen verteilt, daß ein Teil des Schnees schon jetzt im Winter schmilzt, dann ist es im Frühjahr nicht mehr ganz so viel ... Gedacht, getan. 'Global denken, lokal handeln', der Spruch kam erst eine ganze Generation später auf; aber das war es eigentlich, was ich mir damals so zurechtlegte: wenn jeder ein bißchen mithilft ... einer muß schließlich den Anfang machen, oder nicht? Kurz und gut: ich ging in die Waschküche, nahm unser wertvolles Brennholz und machte ein Feuer unter dem Waschkessel.

hier das foto

Ach so, Ihr wißt vielleicht gar nicht, was Ihr Euch unter einem Waschkessel vorstellen sollt. Das war so was wie eine ganz primitive Waschmaschine; natürlich keine Ultraschallmaschine wie heute. Man mußte nämlich die Wäsche in Wasser heiß machen, richtig kochen mußte man sie, damit sie sauber wurde. Und Seife kam dazu, und dann rührte man das Ganze mit einem riesengroßen Holzlöffel durch. Kein Mensch dachte darüber nach, wie man damit das Wasser verschmutzte. Dann mußte natürlich die Seifenbrühe noch x-mal rausgespült werden, eine riesige Wasserverschwendung war das. Später gab es ja dann ‘moderne' Waschmaschinen, die kennt Ihr vielleicht noch, eine stand ja lange noch bei uns auf dem Hof rum. Die waren aber eigentlich nicht besser, im Gegenteil: die wurden sogar mit Strom geheizt! Damals war es auch noch gar nicht strafbar, elektrischen Strom zu 'verheizen' --- stellt Euch das mal vor!

Also so ein Waschkessel damals, der sah einfach aus wie ein riesiger Topf, unter dem man in einer Art Kessel ein Feuer machen konnte, zum Heizen. Und so einen hatten wir auch in meinem Elternhaus. Und in dem hab' ich dann eben das Feuer gemacht, und dann hab' ich den ganzen Schnee in Eimern ins Haus getragen und in den Waschkessel getan, zum Schmelzen. Eine Schufterei war das! Aber Spaß hat es natürlich gemacht, und gut hab' ich mich gefühlt, weil ich doch glaubte, 'rausgefunden zu haben, wie man dieses Hochwasserunglück verhüten kann. Daß das aus mindestens fünf Gründen Blödsinn war, hab' ich damals natürlich nicht gewußt.

Aber das Gelächter meiner älteren Geschwister hättet Ihr hören sollen, und natürlich das Geschimpfe meiner Eltern, wegen dem kostbaren Brennholz!

Euren Eltern hab' ich ja auch

immer 'was von ganz früher' erzählen müssen, als sie noch Kinder waren. Aber diese Geschichte hat ihnen immer nur halb eingeleuchtet. Und wißt Ihr auch, warum? Die konnten sich einfach nicht vorstellen, was das bedeutet, wenn ein Fluß zugefroren war. Die Weser tat es nämlich nie! Tatsächlich ist sie hier in Bremen nach diesem besonders harten Winter von 1947, von dem ich Euch erzählt habe, nie mehr zugefroren, bis zum Jahr 2003 nicht. Könnt Ihr Euch das vorstellen, die Weser über fünfzig Jahre lang nicht zugefroren?

Damals, im vorigen Jahrhundert, schien das die Bremer wenig zu kümmern. Sie hatten ohnehin nicht viel im Sinn mit ihrem Fluß, dem sie doch die Gründung der Stadt verdankten. Er wurde eigentlich nur als unpraktisches Verkehrshindernis angesehen, und so wurde er begradigt, angestaut, ausgebaggert, umgeleitet, an den Ufern einbetoniert und so recht nach Herzenslust mißhandelt, wie man es gerade für zweckdienlich hielt. Auf der Teerhofinsel, da wo heute der große Badestrand ist, da hatten sie alles mit Häusern vollgebaut. An Fischen oder Baden aber dachte damals ja sowieso niemand - dafür war der Fluß viel zu schmutzig geworden, weil jeder seinen Dreck hineinkippte, wie es ihm gerade paßte.

Ein Jahrhundert früher, da war das alles noch ganz anders gewesen. Da waren die Bremer noch auf die Weser angewiesen, daß kümmerten sie sich um ihren Fluß, von dem sie ja lebten, die Fischer, aber vor allem auch die Kaufleute. Und wenn die Weser zufror und die Schiffahrt eingestellt werden mußte, dann war das für die ganze Stadt eine aufregende Sache.

Und so war ja auch die weltberühmte Bremer 'Eiswette' entstanden. Aber als dann später die Weser einfach nicht mehr zufrieren wollte, wie, meint ihr, konnte

man da noch eine Eiswette veranstalten? Wer hatte denn wohl Lust, auf ‘sie steiht' zu wetten und mit Sicherheit zu verlieren? Wißt Ihr, was sie da gemacht haben? Es gab eine neue Regel: ‘die Roten' mußten immer auf ‘sie steiht' wetten, ‘die Blauen' auf ‘sie geiht'. Aber damit es nicht so ungerecht war, wurde zwischen den beiden Parteien der Kaufleute ausgelost, wer ‘die Roten' zu sein hatten.

'So ein Blödsinn', werdet Ihr sagen, 'das ist ja gar keine richtige Wette mehr!' Und das war es auch nicht. Die Eiswette war zu einem Gesellschaftsereignis ohne jeden Sinn verkommen. Damals gab es auch den 'Bremer Eiswettpreis' noch nicht, der jetzt jedes Jahr am Dreikönigstag an die Bremerin verliehen wird, die im Jahr davor am meisten für die Weser als unsere städtische Lebensader getan hat. Den Preis gibt es erst seit 1995, als die Bremer Handelskammer auf diese schöne Idee kam, um der Eiswette wieder einen richtigen Sinn zu geben.

Was sagst Du, Kaspar? Du fragst, warum die Weser früher nie mehr zugefroren ist? Das werde ich Euch sagen. Dafür gab es mehrere Gründe, die alle damit zu tun hatten, daß man so viel an der Weser 'rumgefummelt hatte. Ich will Euch nur zwei davon nennen. Einmal war die Weser damals ganz salzig --- fast so salzig wie das Meerwasser! Und Salzwasser, das friert erst bei einer tieferen Temperatur als reines Wasser, daher friert ja auch das Meer nicht zu. Früher hat man -- stellt Euch das vor -- im Winter einfach Salz auf die Straßen gestreut, wenn es geschneit hatte, um den Schnee und das Eis zu schmelzen! Der, der sich das ausgedacht hatte, war sich sicher auch sehr schlau und nützlich vorgekommen. Er hatte wohl leider keine Geschwister, die ihn hätten auslachen können.

Das Salz in der Weser kam aber nicht etwa aus dem Meer, wie sollte es auch. Nein: Industriebetriebe, weseraufwärts östlich von Bremen, bei denen Salz als Abfallstoff entstand, haben es, wie all den andern Dreck auch, einfach in die Weser gekippt.

Es hatte aber auch sein Gutes, das Salz in der Weser. Ja, Ihr habt recht gehört, obwohl ich dabei ins Schmunzeln komme. Als wir nämlich 1991 das Weserkraftwerk bauen wollten -- das, auf dem wir hier sitzen --, da meinten die Stadtväter zunächst, daß Bremen das gar nicht bezahlen könnte, so teuer schien das zu sein. Aber die Firma, die es dann gebaut hat, hat es schließlich viel billiger gemacht, und warum wohl, meint Ihr? Sie hatte eine Technik entwickelt, wie man die Kraftwerksturbinen so baut, daß sie Meerwasser aushalten können, und wollte diese Technik in Gezeitenkraftwerken anwenden, die damals noch etwas ganz exotisches waren. Und da wollte die Firma allen, die sich damals für ein Gezeitenkraftwerk interessierten, vorführen können, da ihre Maschinen auch in Salzwasser nicht kaputtgehen, und dafür haben sie das Kraftwerk im salzigen Weserwasser gebrauchen können!

Zweitens war die Weser eben einfach zu warm. Das lag weniger am Klima, wie Ihr vielleicht denkt. Es ist zwar wahr, daß am Anfang der neunziger Jahre die Menschen begannen, sich große Sorgen zu machen, daß es auf der Erde immer wärmer werden könnte, wegen der Spurengase, die damals einfach so in die Atmosphäre gepustet wurden. Und das wird Euch und Euren Kindern ja leider noch lange zu schaffen machen. Aber die Weser ist damals nicht wegen des Klimas viel zu warm geworden, sondern weil man ihr Wasser als Kühlwasser mißbraucht hat! Wer immer irgend etwas kühlen wollte, hat dazu einfach das Weserwasser benutzt. Selbst die Stadtwerke haben damals die Abwärme ihrer Kraftwerke einfach in die Weser geleitet.

Ich weiß noch genau, welchen Sturm der Entrüstung es damals gab (es muß so um 1992 gewesen sein), als zum ersten Mal der Umweltsenator Bremens für diese Nutzung des Weserwassers wenigstens eine Abgabe erheben wollte - an Verbieten war noch nicht zu denken. Erst hieß es, das würde die Industrie aus Bremen vertreiben. Aber dann haben doch schließlich alle begriffen, welchen Gewinn für Bremen eine sanierte Weser darstellen konnte. In der Mitte der neunziger Jahre wurde dann das erste 'Bremer Weserprogramm' aufgestellt und die Weser wieder gesund gemacht.

Und so kam es, daß im Jahre 2003, zum ersten Mal seit 46 Jahren, die Weser wieder zugefroren ist und die 'Roten' wieder eine richtige Eiswette gewinnen konnten.

Kommt, laßt uns gehen. Wir haben noch einen weiten Weg ....

Cornelius C. Noack

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