■ Wir lassen lesen: Toni, du Skiflug-Gott
Es waren diese etwas faden Tage kurz nach Neujahr – damals, in der kabellosen Zeit. In der Mittagszeit vor die Wahl gestellt, mir mit den Tölzer Sängerknaben, einem Vespergottesdienst oder der Vierschanzentournee die Zeit zu vertreiben, entschied ich mich dann doch für letzteres. Skispringen als televisionärer Pausenfüller. Beim nun ersten verkabelten Jahreswechsel geriet mir die Vierschanzentournee zwischen „Glücksrad“, „California Clan“ und „Wenn es Nacht wird in Paris“ etwas aus dem Blickfeld. Doch am ersten Mittwoch des neuen Jahres war die Reue groß, und ich zappte verzweifelt durchs Programm. Da war es plötzlich, im ZDF, das letzte Springen in Bischofshofen: Und was für eine Besetzung: „Guru“ Toni Innauer – mein Held privatsenderfreier Jugendjahre – als Co-Kommentator von Rüdiger Luding. Kompetent, intelligent und witzig. Mediale Haltungsnote: 20,0. Wie damals bei der Skiflug-WM 1976 in Oberstorf, als Innauer für einen 168-m-Flug als Erster und bisher Einziger fünfmal die Traumnote 20 bekam. Nach dem mächtigen Satz eines Schweden höre ich Toni Innauer sagen: „Kein Wunder, die haben sich gestern noch schnell mein Buch ausgeliehen.“ Nun, was den Schweden recht ist, ist mir billig. Toni Innauer: „Der kritische Punkt. Mein Weg zum Erfolg.“ Wie immer, wenn ich Bücher bekannter Sportler aufschlage, habe ich ein wenig Bammel. Hoffentlich lese ich jetzt keine Anekdotensammlung mit verklärtem Rückblick à la „Schön war die Zeit“. Aber don't panic – Innauer ist tatsächlich kein eindimensionaler Sportler. Natürlich läßt er (vom Ghostwriter Christian Seiler) „seine“ Geschichte erzählen. Doch die ist spannend und facettenreich. Selbst in Zeiten zunehmender Wunderkinder ist es schließlich nicht alltäglich, wenn aus einem juvenilen Almöhi der wohl genialste Skispringer der Neuzeit wird. Das sieht er ohne falsche Bescheidenheit übrigens genauso. „Als ich mir den Flug [den Weltrekord mit 176 Metern – d.A.] auf Video anschaute, sah ich deutlich: Da war etwas Geniales im Spiel.“ Doch das meint er mehr metaphysisch. Was auf den ersten Blick arrogant scheinen mag, ist nur die eine, selbstbewußte Seite von Toni Innauer. Die andere ist seine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstkritik, was bedeutet, überkommene Ansichten auch mal über Bord zu werfen. Über die Jahre 1975 und 1976, als er von Null auf Hundert an die Weltspitze beschleunigte und als 16/17jähriger Teenager schon ein Star war, sagt er: „Ich hatte keine Zeit, aus meinen Siegen zu lernen, wie man mit Niederlagen umgeht. Meine Persönlichkeit blieb hinter meiner sportlichen Entwicklung zurück.“
Damals empfand er den Gewinn der Silbermedaille 1976 in Innsbruck hinter seinem Teamkollegen Karl Schnabl als größte sportliche Schmach.
Trotz dieser vermeintlichen Niederlage hat Innauer in seiner nur fünfjährigen Karriere alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt – am Ende auch die Goldmedaille 1980 in Lake Placid. Danach waren seine Knöchel nicht mehr reparabel. Was macht ein Sportinvalide und Volksheld mit 21? Er studiert Philosophie, Psychologie und Sport. Nicht schlecht für einen Hinterwäldler von der Alm, der erst mit der Seilbahn zum nächsten Feldweg fahren mußte, um dann in die Schule zu marschieren. Wenn Innauer erzählt, wie er als Trainer die neue Generation der österreichischen „Adler“ auf Albertville 1992 vorbereitet hat, dann möchte man auch als überzeugter Flachlandtiroler sich in die Spur gleiten lassen und über den Bakken gehen. Als König der Skispringer waren für Innauer auch gekrönte Häupter keine Konkurrenz. Als er 1975 am Holmenkollen gewann und ein älterer Herr bei der Siegerehrung an seinem Pokal herumnestelte, fragte ein Reporter: „Wer will denn da dem Innauer den Pokal klauen?“ Es war der norwegische König. Matthias Kittmann
Toni Innauer: „Der kritische Punkt – Mein Weg zum Erfolg“. Edition Tau, Bad Sauerbrunn 1992, 215 Seiten, 42DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen