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Platz auf der Erde

■ Herz Franks „Die Judengasse"

„Leute, laßt alles fallen, Leute, erinnert euch!“ Wie in Latvia aus Nachbarn Juden wurden, ghettoisierte Juden, vernichtete Juden, dem geht dieser Film nach. Der Gestus ist dabei nicht dokumentarisch, sondern religiös: Illustriert werden soll die Verbindung zwischen Erinnerung und Erlösung, die den Kern der jüdischen Religion bildet. Weil Historiographie und Glaubensbekenntnis in der hebräischen Bibel zusammenfallen (was die Christen Altes Testament nennen, ist ja nichts anderes als die Aufzeichnung der Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott), bewegt sich dieser Film in Zyklen, die wie ein Gottesdienst aufgebaut sind. Erzählungen, Erinnerungsfetzen und kontemplative Bilder sind mit Übertragungen von Gottesdiensten in Lettland und in Israel durchsetzt.

Lange Zeit war in Lettland – wie im gesamten sozialistischen Osten – von der Vernichtung der Juden kaum oder gar nicht die Rede. Frank hat Wochenschauaufnahmen von der Hinrichtung der vier obersten Nazis, die auf Lastwagen vor großer Volksmenge zu ihren Galgen gefahren werden, aufgetrieben. Nicht ein Hauch von Befriedigung ist Franks Montage anzumerken, nur der Schrecken darüber, daß bei solchen öffentlichen Anlässen das Wort „Jude“ gemieden und der Verlust nicht einmal erwähnt wird. Einzelne in der Menge, Frank erkennt sie, stehen wie abseits – Juden, die Eltern, Geschwister, Liebste verloren haben – und die frösteln unter der starren Amnesie um sie herum. Wie zum Trost schwenkt er dann nach Israel, ins Sonnenlicht, an die Klagemauer, wo uralte Männer mit langen Bärten stehen, die zwischen den Gebeten jiddisch reden. Jemand betet mit einem Gewehr über der Schulter. Nachts auf den Straßen von Tel Aviv, Kinder kreischen, ein Feuerwerk sprüht; „Juden haben jetzt einen Platz auf der Erde" ist Franks Kommentar.

Ganz ungebrochen hofft Frank, der „Ghettomentalität“, die aus den Zeitzeugen spricht – dem Kreisen des Denkens um das Unmittelbare, dem stolzlosen Überlebenskampf, der keine Vergangenheit und kein religiöses Studium mehr kennt – die Einbettung des Holocaust in die jüdische Geschichtsschreibung entgegenzusetzen. So fällt der Blick der Kamera bei den Schilderungen einer Frau, deren orthodoxem Vater von der SS der Bart ausgerissen wurde, auf eine Hiob-Skulptur. „Warum immer wieder wir?"

Indem er schließlich auch noch in die postsozialistische Gegenwart springt, verliert Franks Film an Kohärenz. Was will er zeigen? Jüdische Geschichte in Lettland? Formen des Erinnerns und Gedenkens? Den Ablauf der Naziherrschaft, die Ghettoisierung, die sozialistische Vergangenheitsbewältigung, die israelische Gegenwart? Nur wer sich auf den ritualistischen Charakter des Films einlassen kann, hat etwas von dieser „Stückwerk"-Struktur – etwas Neues lernt man durch „Die Judengasse“ nicht begreifen. Mariam Niroumand

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