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Die Regierungsviertel vom Reißbrett

■ Zur Planungsgeschichte eines nie verwirklichten Regierungszentrums/ Der jetzt prämierte Entwurf ist bereits der vierte Anlauf, die Staatsspitze am Spreebogen unterzubringen

Wohl kaum eine andere Metropole hat ihr Regierungsviertel so oft geplant – und niemals realisiert – wie Berlin am Spreebogen. Denn bis auf das Reichstagsgebäude blieben alle großangelegten städtebaulichen Hauptstadtideen in diesem Jahrhundert dort, wo sie entstanden: auf dem Papier.

Die noble städtische Lage am Tiergarten, im Bogen der Spree vor den Toren des historischen Zentrums hatte bereits 1843 den königlichen Gartendirektor Peter Joseph Lenné gereizt, den seit 1798 existierenden Exercier-Platz in eine freiräumliche „Schmuckanlage“ umzuwandeln. 1871, im Siegestaumel der Reichseinigung, diskutierte der Reichstag den Bau eines neuen Regierungsgebäudes als Ort parlamentarischer Vertretung. Bauwerk und Bauplatz sollten außerhalb der feudalen Residenz liegen. Der zwischen 1884 und 1894 von Paul Wallot geplante Reichstag ist bis heute der einzige Regierungsbau im Spreebogen. Der monumentale Baukoloß repräsentierte trotz der ingenieurmäßigen Eisen-Glas-Kuppel niemals eine moderne Gesinnung. Die Atmosphäre glich einer „Versammlung von möblierten Herrn mit möglichst wenig Kommunikation“, wie der Politologe Hans von Beyme einmal sagte. Wallots Plenarsaal hatte eine Größe von 630 Quadratmeter für 400 Abgeordnete. Büros waren in dem mit Stilmaskeraden überladenen Haus Mangelware.

Die Geschichte ist bekannt: 1933 brannten große Partien des Reichstags aus. Die Eisen-Kuppel blieb als Skelett zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie abgetragen. Trotz der von Paul Baumgarten 1960 vorgenommenen „Entkernung“ des kriegszerstörten Reichstags, dem Abriß schwülstiger Dekors und Einbau großer transparenter Glaswände konnte das Gebäude bis dato den Ansprüchen eines „Arbeitsparlaments“ niemals genügen. Es blieb das unnütze „gerupfte Huhn“ (so Klaus Röhl, MdB) im Spreebogen – weitab von jedem Gebrauch.

Um den Reichstag in den Rahmen eines Stadtgefüges zu stellen, wurde bereits 1908 ein Wettbewerb ausgelobt, mit dem Ziel, ein „Staatsforum“ zu schaffen. Die durch den Ersten Weltkrieg unterbrochenen Überlegungen nahm 1917 Martin Mächler wieder auf, um entlang einer Nord-Süd-Achse von Moabit bis Tempelhof die Reichsministerien und andere Bauten aufzureihen. Mächlers Idee der Prachtstraße wurde 1937 und 1941 von Albert Speer wieder aufgenommen: Speer überhöhte sie zur „Großen Straße“ für megalomane Planungen mit ungeschlachten Hallen und riesigen Triumphbögen für das faschistische Deutschland.

Auch die 1920, 1927 und 1929 entworfenen Wettbewerbsplanungen für ein neues Parlamentsviertel konnten nicht umgesetzt werden. Die Ideen der avantgardistischen Architekten-Gruppe „Der Ring“ blieben 1927 ebenso Makulatur wie Hugo Härings 1929 entworfenes Hochhaus-Regierungsviertel. Häring staffelte zwischen Reichstag und Schloß Bellevue ganze Hochhausreihen hintereinander. Gegenüber dem Reichstag sollte eine Tribüne für ein „Republikanisches Forum“ entstehen. Ebenfalls 1929 entstanden die Entwürfe der Gebrüder Luckhardt, von Erich Mendelsohn und Hans Poelzig. Poelzigs wunderbarer Gebäude-Halbkreis, der die Figur des Spreebogens aufnimmt, bildet wohl bis heute das eindringlichste Zeichen für eine städtebauliche demokratische Gesinnung der Weimarer Zeit. Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus zerschlugen die Projekte.

Definitive Neuordnungen sollten auch nach dem Zweiten Weltkrieg den Spreebogen verwandeln. Hans Scharouns Kollektivplan von 1946 ließ vom historischen Areal am Reichstag praktisch nichts mehr übrig. Anstatt der vorhandenen Struktur lieferte ihm das Berliner Urstromtal die morphologische Orientierung. 1957 schließlich, als ideologisches Kontrastprogramm zum Aufbau der Stalinallee, markierte der Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“, an dem neben Hans Scharoun, Alison und Peter Smithson auch Le Corbusier, Egon Hartmann und Friedrich Spengelin teilnahmen, einen Schnittpunkt in der Planung eines Regierungsviertels. In Ostberlin wurde die Mitte zur sozialistischen Hauptstadt ausgebaut, das Areal am Spreebogen verkam zur flirrenden Naturszenerie mit dem dunklen Reichstag. Fingerübungen blieben: Die Konzepte für die räumliche Ordnung im „zentralen Bereich“ Anfang der achtziger Jahre wurden ebensowenig verfolgt wie die Ideenwettbewerbe für den Platz der Republik und den Ausbau des Spreebogens von 1985/86. 1988 brachte der Senat die Projekte endgültig auf Eis. Die 1991 gefällten Beschlüsse des Bundestages zur Nutzung des Reichstags und zum Bau eines neuen Regierungsviertels am Spreebogen werden in diesem Jahrhundert wohl die letzten Entscheidungen zu diesem Gelände sein. Rolf R. Lautenschläger

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