: Trutz Blanker Hans! Flutschutz, aber wie?
■ Die Sturmfluthöhen steigen bedrohlich. Doch über dringend notwendige Maßnahmen streiten die Experten udn bleiben in der Planung stecken
steigen bedrohlich. Doch über dringend notwendige Maßnahmen streiten die Experten und bleiben in der Planung stecken.
Nach der Sturmflut von 1962, bei der 315 Menschen starben und großer Sachschaden entstand, hat Hamburg seine Deiche auf eine Mindesthöhe von 7,20 Metern über Normalnull ausgebaut. Das war gerade fertiggestellt und reichte knapp, als 1976 die bisher höchste Sturmflut folgte, sie erreichte am Pegel St. Pauli einen Wasserstand von 6,45 Metern über Normalnull. Bei künftigen schweren Sturmfluten sind in Hamburg wegen der unzureichenden Höhe der Schutzbauwerke Überflutungen und Deichbrüche nicht auszuschließen. Das ergab 1986 die Risikoanalyse eines schweizerischen Ingenieurunternehmens. Danach könnte bei einer schweren Sturmflut ein Viertel des Hamburger Stadtgebietes, von 320000 Menschen bewohnt, mehr als zwei Meter hoch überflutet werden, materielle Verluste von rund 16 Milliarden Mark drohen. Die Nachbarländer sind gegen den „blanken Hans“ weitaus besser gewappnet. Die Schutzwälle Schleswig-Holsteins und Niedersachsens liegen acht Meter über Normalnull. Hamburg mit den tiefliegenden Stadtteilen Wilhelmsburg, Finkenwerder und den platten Vier- und Marschlanden ist schlechter geschützt als die Rinderweiden in der Wilstermarsch. Das hat einen einfachen Grund: Am Kaiser-Wilhelm-Koog nahe der Flußmündung ist es billiger, einen breiten Erdwall zu errichten, als in der Stadt aufwendige Stahl- und Betonsperren zu bauen.
Hamburgs Flutschutzanlagen — 100 Kilometer öffentliche Deiche und 120 Kilometer private Bauten im Hafen — sind bis zu einem Meter zu niedrig, verglichen mit den Bemessungswasserständen, die eine Länderarbeitsgruppe Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg 1986 ansetzte.
Eine große „Schiebetür“ gegen Sturmfluten?
Wie will nun Hamburg, wo sich bei Nordweststürmen das Wasser in der Elbe wie in einem Trichter sammelt, dem „blanken Hans“ trotzen? Der Senat setzte dafür nach der großen Flut 1976 eine „Unabhängige Kommission Sturmflut“ ein. Die schlug als Soforthilfe das sogenannte Übergangsprogramm zur Verbesserung des Küstenschutzes vor. Mit der Erhöhung der besonders gefährdeten Erddeiche wurde 1987 begonnen. Nach den Planungen der Baubehörde sollen bis 1996 etwa 60 Kilometer Deich auf rund acht Meter über Normalnull erhöht werden. Fertig sind bisher 20 Kilometer.
Die Kosten des Übergangsprogramms haben sich seither von veranschlagten 180 Millionen Mark auf 230 Millionen Mark erhöht. Nun soll es bis zum Jahr 2007 um weitere 17 Kilometer Deich und 73 Bauwerke wie Schleusen, Siele und Sperrtore — und um 932 Millionen Mark — erweitert werden. „Dafür müßten Hamburg erhebliche zusätzliche Bundesmittel zur Verfügung gestellt werden“, sagte die Baubehörde zur Finanzierung.
Damit nicht genug: Für den langfristigen Schutz Hamburgs vor der nächsten großen Flut reichen all diese Maßnahmen nicht aus. Die unabhängige Kommission Sturmfluten empfahl 1989 für das nächste Jahrtausend mehrere Lösungen, über die sich seitdem die Geister streiten. Einen einvernehmlichen Plan gibt bis heute nicht. Gigantische Sperrwerke in der Elbe oder im Hafen, weitere Deicherhöhungen oder Entlastungspolder, das bleibt weiterhin die Frage.
Ein Elbsperrwerk, das wie eine riesige Schiebetür die Elbe bei Sturmflut abriegelt — für ein solches Bauwerk gibt es bislang weltweit kein Vorbild. Von den sieben unterschiedlichen Sperrwerkmodellen, die die Kommission entwarf, seien aus Sicht der Baubehörde nur noch zwei im Rennen, so Hans-Jörg Otto, Abteilungsleiter für Küstenschutz. Über ein Flußtor vor Brokdorf sei man zur Zeit mit den Nachbarländern im Gespräch, es gebe aber noch kein Einvernehmen. Vorher seien noch einige Fragen zu klären, wie sich beispielsweise eine Unterelbe-Vertiefung oder Klimaveränderungen auf die Flut-Höhen auswirken. Von den vier Sperrwerksmodellen im Hamburger Hafen, die die Kommission vorschlug, halten laut Otto die Fachleute das Elbesperrwerk St. Pauli samt Köhlbrandsperrwerk für die einzig durchführbare Lösung. Vor Überflutung wären nach „Toresschluß“ dann zwar Hafenflächen und Stadtgebiete oberhalb der Sperrwerke geschützt, aber Blankenese nicht.
Aus dem Rennen ist ein Elbesperrwerk in Finkenwerder. „Eine 200 Meter lange Schiebetür nach Blankenese sei nicht machbar“, schätzt Otto. Eine solche Baustelle würde zudem im Mühlenberger Loch liegen, einem ökologisch bedeutsamen Flachwassergebiet.
Ein weiterer Vorschlag der Kommission ist die Erhöhung der bestehenden Hochwasserschutzanlagen. Das wäre vor allem für die City problematisch. „Die Stadt hinter einer hohen Mauer“ halten auch die Deichbauer der Baubehörde wegen erheblicher Beeinträchtigung des Stadtbildes nicht für vertretbar. Außerdem sei ein Ende absehbar, denn bei einem weiteren Anstieg der Wasserstände wären Deiche und Mauern schon allein aus Platzmangel nicht mehr anzupassen.
Bleiben noch die Entlastungspolder, große eingedeichte Flächen am Elbufer unterhalb von Hamburg, die im Notfall gezielt überflutet werden könnten, um die Spitze extremer Sturmfluten zu kappen. Berechnungen des Dänischen Hydraulischen Institutes zeigen, daß damit theoretisch für Hamburg eine Entlastung um bis zu 80 Zentimeter möglich wäre. Bislang wurde die Polderlösung weder technisch noch finanziell ausgelotet. „Hier besteht ein erheblicher Nachholbedarf gegenüber den Untersuchungen zum Bau von Sperrwerken“, monierte die Flut-Kommission. Dabei würden gerade Polder auf lange Sicht das Überflutungsrisiko in der gesamten Unterelbe reduzieren, wie die Kommission in ihrem Bericht schreibt. Ein Vorteil aus ökologischer Sicht: Bewegliche Sperrwerke würden einen natürlichen Tiden- Wechsel in den Nebengewässern wiederherstellen und dies wiederum die Qualität des Elbwassers erheblich verbessern.
Wettlauf gegen die Jahrtausendflut
Politisch aber ist die Polderlösung schwer durchsetzbar, denn Überflutungsgebiete sind nur am niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Elbufer möglich und können deshalb nur im Konsens mit den Nachbarländern gebaut werden. Der fehlt, denn dazu müßten in Kehdingen, Krautsand und der Haseldorfer Marsch landwirtschaftlich intensiv genutzte Gebiete aufgegeben werden. „Zur Zeit ist keine Bereitschaft der Nachbarn erkennbar, für Hamburg Entlastungspolder zu sein“, sagt Hans- Jörg Otto. Außerdem würden die Polder nicht ausreichen. „Denn sobald sie vollgelaufen sind, und es folgt die nächste Sturmflut, gibt es keine Entlastung mehr. Es dauert Tage, bis ein Polder leerläuft“.
Als letzte Alternative zu Sperrwerken und Poldern bliebe die Erhöhung der bestehenden Hochwasserschutzanlagen auf 8,5 Meter über Normalnull. Die würden zwar die ländlichen Wohngebiete vor der Flut schützen, der Schutz der City hingegen wäre problematisch. Die vorhandene Innenstadtmauer von der Überseebrücke bis zum Sperrwerk Billwerder Bucht sei wegen der unmittelbar angrenzenden Bebauung „nur mit großen Schwierigkeiten“ zu erhöhen, heißt es in einer Stellungnahme der Baubehörde. Deiche können zudem nicht beliebig in die Höhe gebaut werden. Schon aus Platzmangel wäre eine Anpassung an noch höhere Wasserstände ausgeschlossen.
Eine Lösung aber haben bisher weder die Baubehörde noch die unabhängige Flut-Kommission erwogen: die Deiche zurückzuverlegen. Dadurch würden Entlastungsflächen geschaffen, wohin sich das Wasser bei Sturmflut ausdehnen kann, statt die Hamburger Innenstadt zu überschwemmen. Dazu müßten allerdings an der Unterelbe viele Bauern ihre Ländereien wieder aufgeben, die sie dank der Eindeichungen in den 70er Jahren landwirtschaftlich intensiv nutzen können.
Bis sich die Behörden für eine der Lösungen entschieden haben, können die HamburgerInnen nur darauf hoffen, daß die nächste Jahrhundertflut noch lange auf sich warten läßt. Vera Stadie
Klimaveränderung und Sturmflut —
2. Teil am 6. März
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen