: Wunderlicher Kakophonie: Wie geht „bluesy“?
■ Die Offene Jazzschule in Bremen: Jazz lernen in der Band, mit den Profis Wand an Wand im Keller der städtischen Galerie
„It's only a papermoon,“ singt Ella Fitzgerald vom Band einen Uralt-Titel aus den 30ern. Dann wird der Recorder abgestellt und Lutz verteilt die Noten an die Band. Die Querflöte übernimmt Ellas Melodie, den Chor machen die Bläser, freie fills werden vom Piano erwartet, und selbst die E-Gitarre hat ihren Part. Und dann geht die Post ab.
Was dabei an Sound entsteht, ist gewöhnungsbedürftig — akustische und elektronisch verstärkte Instrumente durcheinander, dazischen ein schüchternes Schlagwerk. Und in der Ecke zupft stoisch der Mann am Contrabaß und macht den Infraschall. „Haaalt!“ Lutz hebt die Hand. „Nochmal vom dritten Takt an.“
Unterrichtsstunde in der Offenen Jazzschule Bremen. In den Kellerräumen der Städtischen Galerie im Buntentor, in denen es wie in einem Verließ aussieht, wurden Wände eingezogen und weißgepinselt. Hier entstand im letzten Jahr ein neues Zentrum Bremer Jazzkultur. Verschiedene Bremer Gruppen spielen hier ihren Türk-Jazz (Iki Dünya), den Blues (Voodoo Child) und die Wasserorgel (Marc Pira). Auch Hainer Wöhrmann (Improvisations-Reihe in der Buchtstraße) probt hier. Alles, was sich unter dem Dach der ruhmreichen MIB (MusikerInnen Initiative Bremen) versammelt hat, darf sich in die „Belegungspläne“ eintragen.
So hat auch die Offene Jazzschule im ehemaligen Brauhauskeller endlich nach langen Wirren ihr Quartier gefunden: an einem Ort, wo Anfänger Wand an Wand mit alten Hasen proben.
In der Jazzschule wird grundsätzlich innerhalb einer Band gelernt. Jeder neue Kurs (gerade dieser Tage beginnt das Sommersemester) ist deshalb ein Experiment: Niemand weiß vorher, welche Instrumente und welche Niveaus sich treffen. Eine Aufnahmeprüfung gibt's nicht. In der Lehr-Band des Mainstreamers Lutz Büchner (klassischer Swing und Bebop) tuten und blasen, zupfen und klimpern eine Ärztin, LehrerInnen und Studies, aber auch Musikprofis. Musik als Banderlebnis wird hier großgeschrieben.
Noten konnte er nicht lesen, aber er war ein begeisterter Musikant
„Voneinander lernen“, die „soziale Komponente“ im Unterricht findet auch der Jazzlehrer Uli Sobotta wichtig. Der Gitarrist und Euphonist (er spielt eine Tenor-Tuba) gehörte 1975 zusammen mit den Bremer Szene- Daddies Ed Kröger und Sigi Busch zu den Mitbegründern der MIB, die heute 40 Mitglieder zählt. 1986 eröffneten sie die Jazzschule. Sobotta als Free-Jazzer ist hier der Mann fürs Schräge. Begeistert erzählt er von schwierigen Fällen in seinem Unterricht. Da war mal ein Mexikaner, der kam mit einem selbstgeschnitzten Holz-Saxophon, das man nicht stimmen konnte; Noten konnte er nicht lesen, aber er war ein begeisternder Musikant.
Uli Sobotta (Markenzeichen Zopf) legt in seinem Unterricht keinen gesteigerten Wert auf Notenlesen: Seine SchülerInnen müssen vielmehr versuchen, nach Gehör zu spielen. Gehörbildung, Improvisationslehre, Harmonielehre, das sind einige der Lernziele der Offenen Jazzschule. In der Woche wird zwei Stunden gespielt, eine Stunde dient der Theorie, und eine Stunde wird geklatscht und gelaufen: Rhythmik ist angesagt, da lernt man, Triolen über Achteln zu spielen.
Die Schule ist nicht billig. SchülerInnen und StudentInnen sind eher selten: 512 Mark muß man im Semester anlegen. Staatliche Unterstützung füllt gerade mal die Portokasse: 2000 Mark zweigt man vom MIB-Haushalt ab. Dafür bleiben die Bands, die sich einmal gefunden haben, gern auch nach der „Schulzeit“ zusammen. Der Kurs von Lutz Büchner ist auch nicht taufrisch — man war schon im letzten Semester zusammen.
Ein echtes Ärgernis im Jazzkeller am Buntentor ist die miserable Akustik; proben hier drei Bands gleichzeitig, ergibt sich eine wunderliche Kakophonie. Für zig-tausend Mark hängen schwere Samtvorhänge herum, ohne Abhilfe zu schaffen. Angesichts der Haushaltslage steht in den Sternen, ob sich an diesem Übel je etwas ändern wird.
Ein Wort kommt nicht nur in Lutz Büchners Unterricht häufiger vor: „bluesy“ sollen sie spielen. Ein Lernziel, das allerdings ist nicht näher zu bestimmen und erst recht nicht aus Büchern zu lernen ist. Es ergibt sich beim Spiel — oder auch nicht. Erfahrungsgemäß am besten in der Band.
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