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Stell dir vor, die regieren Deutschland

In der Berliner Szene befinden sich Autonome gegenüber Stalinisten und MLern in der Defensive/ Kritik nach Anschlägen/ Ostszene wehrt sich gegen Vereinnahmung aus dem Westen  ■ Aus Berlin Uwe Rada

In der Berliner linksradikalen Szene scheint derzeit erlaubt, was gefällt: Um eine Diskussion mit dem CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer zu verhindern, verübten „einige Kommunisten“ im Februar einen Brandanschlag auf das Ostberliner Szenekino Babylon. Ein „Kommando Filmriß“ zerstörte die Filmspulen des umstrittenen Reißers „Terror 2000“ und verletzte den Filmvorführer des Off- Kinos Sputnik mit Tränengas. Und vor wenigen Tagen drohte eine stalinistische ML-Sekte einem taz- Redakteur mit Knieschuß, falls dieser ein Pamphlet der Gruppe nicht abdrucken sollte.

In dem Pamphlet analysiert die selbsternannte Avantgarde der Linksradikalen, wer „unserer Klasse“ als Feind gegenübersteht: „all jene Künstler, Wissenschaftler, Architekten, Journalisten, die ihre Arbeiten auf die herrschende Klasse ausrichten, Pfaffen, Lehrer und Sozialarbeiter“ sowie „mittelständische Gewerbetreibende“, die seien, obwohl selber von der kapitalistischen Umstrukturierung bedroht, mehrheitlich immer noch Propagandisten der sozialen Durchmischung proletarischer Stadtteile und Rufer nach Ruhe und Ordnung.

Autonome contra Kommunisten

Wenn es in Berlin von links kracht, sind die TäterInnen, vor allem bei Medien und Ermittlungsbehörden, schnell geortet: Autonom ist militant und militant folglich autonom. Doch seit der deutschen Vereinigung gilt auch in der Szene: Die einen suchen nach neuen Wegen, während die anderen trotzig auf der Stelle treten – oder wild um sich schlagen. Für Teile der Szene nunmehr Anlaß, einen Trennungsstrich zu ziehen: „Die jüngsten Anschläge wurden nicht von Autonomen verübt“, betont die Westberlinerin Elke*, „sondern von Kommunisten.“ Für die Autonome Elke ein wichtiger Unterschied: „Wir müssen zwar unsere Positionen nach wie vor eindeutig vermitteln, aber nicht mit solchen Mitteln.“ Holger, ein Autonomer aus dem Prenzlauer Berg, meint verärgert: „Wir haben in der DDR doch nicht gegen die Diktatur der Partei gekämpft, nur um uns jetzt wieder mit Avantgarden rumzuprügeln.“

Militante Auseinandersetzungen mit der maoistischen RIM (Revolutionäre Internationale Bewegung) und türkischen Stalinisten oder Grabenkriege zwischen undogmatischen Gruppen und selbsternannten Revolutionären, die den Trennungsstrich zum Feind hinter dem eigenen Rücken ziehen, gehören mittlerweile zum Alltag in der linksradikalen Politszene der Hauptstadt.

Von Anziehungskraft auch auf Alternativkreise, gar von politischer Kreativität ist in den „Szenehochburgen“ Westberlins schon lange nichts mehr zu spüren. Statt sich den Fragen von heute zu stellen, bemüht man die Antworten von gestern. Das „Wem nützt es?“ als Begründung für Kritikverbot feiert dabei ebenso traurige Urständ wie das stalinistische Primat der „objektiven Klasseninteressen“ gegenüber der viel komplexeren Wahrnehmung derer, die damit gemeint sind.

„Innerhalb der linksradikalen Szene“, bedauert Elke, „befinden sich die undogmatischen Autonomen, Anarchisten und Antiautoritären heute in der Defensive.“ Ihnen gegenüber: autonome Kommunisten, Maoisten, Marxisten- Leninisten, türkische Avantgarden sowie Kaderstrukturen, deren liebstes Kind die Organisationsdebatte ist. Standen noch vor wenigen Jahren Vollversammlungen im Mehringhof, Kiezdiscos oder Kiezpalaver im Mittelpunkt autonomer Meinungsbildung, so hat sich dies heute grundlegend geändert. „Eine autonome Struktur gibt es so gut wie nicht mehr“, meint Elke. Ein wesentlicher Grund dafür sei, daß viele, vor allem ältere Autonome, mittlerweile in Basisinitiativen wie Flüchtlings- oder Stadtteilgruppen arbeiteten. „Die sind zwar als Individuen immer noch Autonome, das Bild nach außen aber bestimmen andere.“

Ost-West-Konflikt auch bei den Autonomen

Zum Beispiel auf der Vorbereitung für die diesjährige „revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“: Nachdem sich in den vergangenen Jahren kaum einer gefunden hatte, das Kreuzberger Massenhappening mit zumeist militantem Ausgang vorzubereiten, haben sich heuer vor allem autonome Kommunisten und türkische Gruppen der Demo angenommen. „Dabei wird ein Politikstil angewandt, der weder revolutionär noch autonom ist“, schreibt eine Gruppe im Szeneblatt Interim. Die Konsequenz der eher anarchistischen Szene: Sie ruft mittlerweile zum „autonomen Block“ in der einstmals autonomen Demo auf.

Einen eigenen „Block“ seit längerem bilden die Ostberliner Autonomen. „Zum Kotzen“ findet es der Prenzelberger Falko, „wenn die Westlinken zu uns kommen und uns erklären, was die DDR gewesen ist. Da verhält sich die Westszene mittlerweile nicht anders als die West-CDU gegenüber der Ost-CDU.“ Die „Arroganz der Wessis“ hat mittlerweile dazu geführt, daß die Prenzelberger Szene nur noch punktuell bereit ist, mit den Gesinnungsgenossen aus dem Westen zusammenzuarbeiten. „Nach der Maueröffnung“, sagt Marc, „sind viele von uns voller Neugier nach Kreuzberg gegangen, doch wir waren für die letztlich nur Staffage.“ Mittlerweile konzentriert sich Marc ganz auf die Stadtteilarbeit am Prenzlauer Berg.

Die Ursache für die neuen Mauern unter den Linken liegt für Falko vor allem darin, daß die Westlinke den eigenen Stalinismus nie wirklich aufgearbeitet hat. Auch die Bereitschaft, die Widersprüchlichkeit linker Politik zu akzeptieren, sei nicht sonderlich ausgeprägt. „Die Fähigkeit zur Selbstkritik fehlt“, sagt Falko. Während im Osten der Streit zwischen Autonomen und Bürgerbewegten oftmals produktiv sei, wisse man im Westen bereits auf alles eine Antwort. „Die tun so“, meint Falko, „als hätte sich nicht auch ihre Welt grundlegend verändert.“

Die Dogmatiker bekommen Oberwasser

Der Vorwurf vieler OstberlinerInnen, daß die Menschen, um die es in linker Politik eigentlich gehen müßte, zum bloßen Objekt der eigenen Klassenanalyse degradiert werden, trifft offenbar ins Schwarze. So heißt es in einem Protokoll der 1.-Mai-Vorbereitung: Die Demo könnte auch „vom Wedding, wo es viele ,AusländerInnen‘ gibt, zum Prenzelberg laufen, wo es viele ,Ossis‘ gibt“. Im Prenzlauer Berg weiß man mittlerweile nicht mehr, ob man sich auf solcherlei Westbesuch freuen soll. „Hier gibt es einfach Themen, die den Leuten mehr unter den Nägeln brennen“, meint ein Hausbesetzer, „da nutzt es wenig, wenn man sich einmal im Jahr feiert.“ Die Themen, das sind vor allem steigende Mieten, drohende Vertreibung oder die Auswirkung der olympischen Bauten auf die Kieze.

Das wiederum interessiert die Westszene kaum. Als im vergangenen Jahr das Aktionsbündnis „Wir bleiben alle“, ein Zusammenschluß von Hausbesetzern bis Bürgerbewegten, Zehntausende zu zwei Mietendemonstrationen mobilisierte, bestand der einzige Kreuzberger Beitrag aus einem Flugblatt, in dem die Forderung nach „Mietenstopp“ in den Kontext rechter Nationalrevolutionäre gestellt wurde.

Ernst, ein Autonomer älteren Semesters, findet solche „Blüten“ allerdings nicht weiter verwunderlich: „Es war schließlich auch schon Anfang der siebziger Jahre so, daß in einem Auflösungsprozeß einer linken Bewegung die Dogmatiker das Oberwasser bekommen.“ Für ihn geht es nun darum, zu schauen, ob eine undogmatische Linke „eine konsequente Oppositionspolitik zusammen mit den Menschen“ zustande bringe.

Daß „wir mittlerweile nur noch Rufer in der Wüste sind“, weiß auch Elke. Sich mit dem herrschenden System zu arrangieren, liegt ihr dabei ebenso fern, wie mit einem sozialistischen zu kokettieren. „Opposition heißt für mich, sich mit und nicht gegen die Menschen zu wehren“, meint Falko und fügt leise hinzu: „Stell dir vor, diese Linken regieren Deutschland.“

*Namen von der Redaktion geändert.

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