■ Wider das Gerede von der Politikverdrossenheit: Bastard Publikum
Sowenig es Adenauer gelang, Deutschbanker Abs zu ministrieren, so wenig wartet Kohl mit Christians auf – wird Engholm Edzard Reuter vorzeigen. Eher schon umgekehrt: Die notorische Klage über Mangel an Sachverstand in allen Gelddingen gerinnt zur Automatik. Der Verweis auf das Vorrecht wirtschaftlicher Grundregeln bildet das Glaubensbekenntnis der alten und erst recht neuen Bundesrepublik. Daß ein Krebskranker die Amputation seines Raucherbeins mißbilligt, weil er sich fortan gehindert sieht, dem Arzt in den Arsch zu treten, mag noch als Überreaktion verstanden werden. Daß aber die Deutschen sich politikverdrossen erklären, zwingt zu überlegen, ob die wirtschaftliche Lage den Bürger zu vergleichbaren Verzweiflungstaten fehlzuleiten imstande ist.
An dieser Stelle verabschieden wir uns herzlich von allen Lesern, die spätestens am Fuße dieser Einleitung in die nächstbeste, und, was die Eingängigkeit angeht, verheißungsvollere Darbietung gezappt haben. Wir danken für Ihr Interesse und behalten uns vor, Sie im folgenden als Beweis für so ziemlich alles vorzuführen, was über die Bestie Publikum immer schon mal gesagt werden mußte.
„Da regt mich ja schon die Frage auf!“ – ist ein Klassiker, der seit seiner Enttarnung (Loriot, „das Jodeldiplom“) so viel Junge bekommen hat, wie die notgedrungene Phantasie der Beteiligten hervorzubringen fähig ist. Vom notorischen Kohl – („Lassen Sie mich in dieser Stunde zunächst einmal ...“) – über den beständigen Vogel – („Sie müssen erst mal Ihre Hausaufgaben machen, denn ...“) – bis hin zum Urtyp Wehner: „Sie wissen nichts, Herr Lueg, und ich weiß – auch nichts!“ Letzteres mag den nostalgischen Ruf nach mehr Ehrlichkeit zu untermauern scheinen, belegt aber tatsächlich kaum mehr als die Verfertigung des Gedankens beim Sprechen. Im Ergebnis gemahnt das Ritual an ein Trauungszeremoniell, bei dem der Bräutigam statt „ja“ lieber was zu seinen Kumpels sagt, und die Braut mit ein paar interessanten Beobachtungen aus ihrer Jugend beispringt. Der Pfarrer beschließt die Szene mit einem hektischen Blick auf den abwinkenden Küster und verweist auf die Spätausgabe, die vielleicht erste konkrete Ergebnisse bringt. Oder auch nicht.
Diese stets anmutig und wortreich sich verschleppende Eheschließung zwischen Medien und Politik nennt sich gemeinhin politischer Journalismus. Ihr öffentliches Stattfinden Berichterstattung, ihr Produkt Verdrossenheit. Da sich Verdruß vernünftig als Spätstadium von Überdruß erklären läßt, befinden wir uns also bereits am Ende von Etwas. Das Thema Massenarbeitslosigkeit läßt sich nicht 20 Jahre durchschleppen, ohne zu verschleißen. Was an Rezepten, Lösungen, Entwürfen und Strategien vorgetragen wurde, hat so nachhaltig wenig geleistet, daß die Ernüchterung zwangsläufig lauten muß: Wir haben 20 Jahre lang den Schwanz befragt, wohin sein Dackel läuft. Wer jetzt neue Schwänze fordert, ist selber schuld.
Querleser – die Ahnen fernbedienender Zuschauer – sind womöglich reingefallen: Mehr Schwanz gibt's nicht. Minutenquote nennt sich das Armutszeugnis, das die Einschaltmessung den Machern dafür am nächsten Morgen ausstellt. Ein mitunter explosionsartiger Ausrutscher nach oben, der je nach Programm belegt, daß der Beitrag über Kinderporno den über Asylbewerber quotentechnisch rausgerissen hat, daß man beim Drogenthema etwas mehr Beschaffungsprostitution statt zuviel Gesellschaftsanalyse hätte abbilden müssen, daß der schläfrige Talk mit der rüden Beschimpfung des Ministers gerade nochmal in erträgliche Aufmerksamkeit zurückfand. Weh' dem Politiker, der da nicht funkelnd seine brillierende Rhetorik ausfährt; Frust dem Journalisten, der sich an einem schweigsamen Wirtschaftsexperten abarbeitet.
Soweit, so Vorurteil: Der historische Kompromiß zwischen Kapital und Kirche – „Halt du sie dumm, ich halt sie arm“, – entwickelt sich zur Arbeitsteilung zwischen Machern und Medien: Was immer in einer halbwegs verkabelten Gesellschaft vor sich geht – der böse Bilderkasten wird es schon in einen impressionistischen Atomnebel zerlegen und verstäuben.
Dies erst recht, wenn das letzte Freilos verspielt wird: Längst nämlich hat der Bastard Zuschauer seiner Fernbedienung nicht nur sein geringes Abstraktionsvermögen anvertraut. Wie der Neandertaler ein beständiges Blätterrauschen nicht mehr wahrnimmt, braucht auch sein Elektroenkel mindestens das Knistern eines anschleichenden Wolfes im TV-Unterholz, um seinen Reflexen folgend hinzuschauen. Bleiben Sie dran, ich zähle auf Sie.
Und wie der kluge Wolf sich an Alten oder Kranken bevorzugt zu schaffen macht, so gucken diese auch heute als erste in die Röhre. Wer sein Leben lang Omo gekauft hat, ist vom vertrauenswürdigen Persilonkel nicht mehr umzustimmen; und wer für beides kein Geld hat, ist auch uninteressant: Zwischen 14 und 40 ist Kaufkraft im Beutel und Bereitschaft im Herzen, the West zu testen oder sonstwas. Diese Zielgruppe wird mit Programmen zugeworfen, von n-tv und Vox („die Info-Elite“) bis zu premiere, wo schon der Empfang extra kostet, und, am ehrlichsten: RTL2, „das junge Programm“.
Also Maschinensturm: „Zerschneidet Kabel-Laokoon! Friede den Flugblättern, Krieg den Sendepalästen.“ Als am Vorort Leipzig um 1840 die Kunde von der Rotationspresse Unruhe unter die Druckarbeiter brachte, stürmten sie vor das Verlagshaus und gaben nicht Ruhe, bis der alte Brockhaus persönlich sich ihnen stellte. „Wir sind Arbeiter im Weinberg des Geistes!“ beharrte ein zeitgenössisches Flugblatt; und erst recht wollten sie ihren hochgeistigen Job nicht an die tumbe, seelenlose Druckmaschine verlieren. Der Prinzipal vernahm das Tosen, räusperte sich und bot den lautesten Rufern neue Jobs als Druckmaschinenbediener an. Die Masse verlief sich.
Dieser neue Maschinensturm müßte doch etwas intelligenter vorgetragen werden. Es war ja geradezu avantgardistisch, mit Brockhaus selbst zu streiten – statt eine Talkshow mit dem Leipziger Oberbürgermeister zu organisieren. Immerhin gründete sich aus der Mitte der Protestierenden Deutschlands erste Gewerkschaft, die später auch selbst Druckmaschinen kaufte, um Öffentlichkeit zu erlangen.
So langweilig ist das also alles: Politiker sind nicht zwangsläufig schlechter geworden. Vielmehr ist in der Krise ein kleiner Spielraum eben gefährlicher als im Wirtschaftswunder. Das Gewese um Politikverdrossenheit jedenfalls gerät, da es heute beinahe gleichlautend von Tyll Necker wie Gregor Gysi vorgetragen wird, in abstruse Nähe zur Endzwanziger-Parole von der „Weimarer Quasselbude“. Wem es nützt, taugt als Gegenfrage. Und auch die elektronischen Medien werden nicht zwangsläufig schlechter: eher entlassen aus einem öffentlich-rechtlichen Feuchtbiotop; aus über Parteien vermittelten Marktgesetzen in deren reine Form des Fressens oder Gefressenwerdens.
Vielleicht vermag Einsicht in die Ohnmacht der Politiker sie von brachialen Gesten abhalten, wie etwa demonstrativ binnen nicht mal zweier Jahre das Grundgesetz zu zerlegen. Vielleicht vermag Einsicht in die eigenen Sehgewohnheiten Journalisten davon abhalten, Müll zu produzieren und dabei vom quotenfreien Ghettofunk zu träumen. „Man soll sich keine besseren Menschen wünschen – es gibt nur diese.“ (Konrad Adenauer.) Friedrich Küppersbusch
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