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Politik der verbrannten Erde in Zaire

In Zaires Südprovinz Katanga (Shaba) werden Hunderttausende aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit aus ihrer Heimat vertrieben / Diktator Mobutu destabilisiert das eigene Land  ■ Von Dominic Johnson

Durch die süd-zairische Provinz Katanga, auch als Shaba bekannt, verläuft eine Eisenbahnlinie, die südwärts nach Sambia führt und in der anderen Richtung tief in das Innere des zentralafrikanischen Staates. Bis Ende letzten Jahres verkehrte auf dieser Strecke ein Zug pro Woche, mit einer Kapazität von etwa 1.000 Fahrgästen. Im Dezember fiel er bis auf weiteres aus; seitdem ist der Zugverkehr unregelmäßig. Der Reisebedarf ist groß: Auf den Bahnhöfen von Kolwezi, Lubumbashi und Likasi drängen sich Zehntausende von Menschen, die einen Weg hinaus aus Katanga nach Norden suchen.

Wieviele es sind, weiß keiner genau. 40.000 bis 60.000 Ausreisewillige in jeder Stadt – das ist die verläßlichste Schätzung. Etwa 30.000 Menschen sollen die über 1.000 Kilometer lange Fahrt bisher geschafft haben. Die anderen kampieren, wo sie können: neben den Gleisen, unter Bäumen, in Lagerhallen und Güterwaggons. Von zu Bratpfannen eingeschmolzenen Schienenstücken wird berichtet – die Versorgungslage ist schlecht. Und vom Aufbau eigener Schutztruppen – die Fluchtwilligen sind in Lebensgefahr.

Zumeist sind es Angehörige des Baluba-Volkes, die von ethnischen Katangern als in ihre nordwärts liegende „Heimatprovinz“ Kasai zu verjagende Fremdlinge betrachtet werden. „Katanga den Katangern!“ ist die Parole, mit der seit über einem halben Jahr die in Katanga lebenden Baluba aus ihren Häusern gejagt werden. Zu Kolonialzeiten wurden Baluba aus Kasai als billige „Gastarbeiter“ in den Kupferminen Katangas gesucht. Heute stellen sie einen Großteil der Verwaltungsangestellten der Provinz. „Die Kasai haben uns Jahrzehnte dominiert – wir müssen sie davonjagen“, sagt der Sohn des Provinzgouverneurs. Die Baluba nehmen euch die Frauen und die Arbeit, erklären die örtlichen Behörden ihren Anhängern, die mit dieser politischen Rückendeckung auf Menschenjagd gehen.

Wer organisiert diese Vertreibungen, die Hunderttausende von Menschen zu Flüchtlingen gemacht haben?

„Katanga den Katangern!“

Das Leiden der Baluba erklärt sich zu einem großen Teil aus den politischen Verwerfungen in Zaire, dessen Diktator Mobutu seit Jahren unter Druck der demokratischen Opposition steht. Der wichtigste Oppositionsführer, Etienne Tshisekedi, ist ein Baluba aus Kasai. Am 15. August 1992 wurde er von der zairischen Nationalkonferenz zum Premierminister gewählt. Zusammen mit seinen Mitstreitern in der „Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt“ (UDPS) wollte er Mobutus Allmacht schrittweise zurückdrängen.

Widerstand erfuhr der Baluba Tshisekedi nicht nur von Mobutu, sondern auch von zwei Politikern aus Katanga: Nguza Karl I Bond, vor Tshisekedi Premierminister Zaires, und Kyungu wa Kumwanza, Provinzgouverneur von Katanga. Nguza, ein abtrünniger Ex-Regimegegner, und der Mobutu-treue Kyungu sind Anführer der „Union der Föderalisten und Unabhängigen Republikaner“ (UFERI). Nach Tshisekedis Ernennung erklärte Kyungu, die neue Regierung habe in seiner Provinz nichts zu sagen. Nguza seinerseits drohte, die reiche Provinz von Zaire abzuspalten, wie in den 60er Jahren. Um den Drohungen Nachdruck zu verleihen, schickten Nguza und Kyungu die Aktivisten des UFERI-Jugendverband auf die Straße.

„Alles ging am Abend des 15. August schief“, zitiert der zairische Journalist Pontien Mpoy wa Ku Mayi ein 16jähriges Mädchen aus Lubumbashi. „Die UDPS-Massenversammlungen provozierten die UFERI-Militanten“. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Tshisekedi-Anhängern und Kyungus Miliz habe dann fünf Tote und eine Reihe angezündeter Baluba-Häuser gefordert. Auf dem Land sei es zu noch schlimmeren Übergriffen gekommen.

Nachdem Dutzende getötet wurden, sammelten sich verängstigte Baluba in Lagern – unter Militärschutz. Im Oktober 1992 verfügte Gouverneur Kyungu ihre Ausweisung nach Kasai. Zehntausende zogen in die Kasai-Städte Kananga und Mbuji-Mayi, bevor der Zugverkehr im Dezember zusammenbrach. Seitdem wachsen die Flüchtlingscamps an den Bahnhöfen. Die Angriffe haben nicht aufgehört: Am 21. März holten UFERI-Aktivisten auch in Kolwezi Baluba aus ihren Häusern.

Die Gewalt wütete nicht nur in den Bergbaustädten des Südens. Auch in Kaniama, im Norden der Provinz, wo seit jeher Baluba leben, finden Vertreibungen statt – mit eigenen regionalen Hintergründen. In Kaniama herrscht seit 1968, als „Statthalter“ Mobutus, der süd-katangische „Stammeschef und Kommissar“ Tshilay Mpoyo. Bereits 1979 hatten die Baluba der Stadt eine Widerstandsfront gegen ihn gegründet. Am 1. August 1992 riefen sie eine eigene Lokalverwaltung aus, woraufhin Tshilay Mpoyo eine Baluba-Gegenorganisation gründete.

Im Herbst 1992 kam es so in Kaniama zum Bürgerkrieg. Dabei rief Tshilay Mpoyo auch die in der nahen Militärbasis Kamina – von wo aus in den 70er Jahren Angolas Rebellenführer Savimbi mit Waffen versorgt wurde – stationierten Eliteeinheiten der Armee zu Hilfe. Die Bilanz, laut der Zeitung Le Potentiel: „Verbrannte und geplünderte Dörfer, Menschen nach Kasai und in den Wald vertrieben, massive Verhaftungen.“

Hexenjagd auf Regimegegner

Was soll dieses Chaos, das Regimegegner als „ethnische Säuberungen“ brandmarken? „Mobutu“, erklärt der in Deutschland lebende Zairer Bruno Luaula, „will einfach überall Unruhe, damit er später sagen kann: Nur ich allein kann regieren“. Den Baluba solle deutlich gemacht werden, daß der Aufstieg eines der Ihren zum Premierminister ihnen nur Nachteile gebracht hat.

Auch auf politischer Ebene ist Mobutu eifrig dabei, den Demokratisierungsprozeß zu unterminieren. Er erkennt Tshisekedi als Premierminister nicht mehr an, sondern hat einen eigenen ernannt: Faustin Birindwa, der Ende März sein Amt antrat. Nach der Ernennung Birindwas versprach Gouverneur Kyungu, nun würden die Vertreibungen in Katanga aufhören. Doch kurz vor Ostern machte Birindwa den UFERI- Chef Nguza zu seinem Verteidigungsminister – und das scheint die Lage wieder zugespitzt zu haben. Die zairische Menschenrechtsliga (LDHZ) konstatiert eine „Hexenjagd“ gegen Oppositionelle in Kinshasa. In der Hauptstadt und in Katanga könne man sich nach 19 Uhr nicht mehr auf die Straße trauen.

„Nicht nur entführen sie Regimegegner zu später Stunde, wenn das Opfer keine Hilfe von Nachbarn mehr erwarten kann“, beschreibt die LDHZ das Vorgehen der Militärkommandos in Kinshasa. „Sie vergewaltigen auch am hellen Tag die Kinder oder die Ehefrau in Gegenwart der anderen Familienangehörigen“.

Aufgrund dieser Aussagen hat die einstige Kolonialmacht Belgien zusammen mit Frankreich und den USA die Einschaltung der UNO gefordert. In den nächsten Tagen wird UNO-Generalsekretär Butros Ghali in Brüssel über Maßnahmen gegen Zaire beraten.

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