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Nachschlag

■ Graf Öderland von Max Frisch im Zan Pollo Theater

„Graf Öderland“Foto: Thomas Seufert/Sequenz

Die Spannung verrinnt in der Kanalisation. Dort, wo Graf Öderlands Gefolgschaft sitzt, die Revolution der Axtträger. „Plopp, plopp“ klingt hohl und dumpf der schwermütig fallende Wassertropfen im Untergrund. Ein steter Tropfen, der die Aufmerksamkeit des letzten Zuschauers noch aushöhlt, um ihn endlich in Tiefschlaf zu versetzen. Öde ist's im Land des Grafen.

Zugegeben, Frischs in den fünfziger Jahren entstandenes Stück ist kein leicht verdaulicher Happen: kein stringenter Ablauf einer Handlung, keine eindeutige Botschaft. Bei der Uraufführung in Zürich ein Mißerfolg, schrieb Max Frisch es selber mehrfach um. Die schwere Deutbarkeit des Stückes ist aber – wie so oft – seine Substanz. Wir können den Grafen Öderland im schnellen Wechsel seiner Rollen, seines Kontextes nicht als Person fassen, er entschlüpft uns. So wird er zu einer phantastischen Figur, halb Alptraum, halb Legende, der in verschiedenen Welten auftaucht und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen. Der ganz normale Wahnsinn. Graf Öderland mit der Axt in der Hand. Sich den Weg freikämpfen, ohne zu wissen warum. „Was nämlich diesen Grafen von allen Zeitgenossen unterscheidet, die wie er die Axt schwingen, ist dies: Er kommt uns ohne Programm, ohne Vokabeln des Heils, er kommt mit der blanken Axt, er verbirgt sie in seiner Ledermappe, gewiß, aber nicht in dieser oder jener Ideologie“, schreibt Frisch im Werkbericht 1961. Zu Beginn der Aufführung zeigen die Schauspieler spannend die Alltäglichkeit der Gewalt bis zur Bewußtlosigkeit. Wenn Öderland mit der Axt auftaucht, scheint das niemand sonderlich zu verwundern, ihn selber am wenigsten. Teilnahmslos starrt er aus dem Fenster. Es ist ihm gleich, ob die Fenstergitter zum Gefängnis oder der Bank, wo er arbeitet, gehören. Christian Bleyhoffer gibt ihm eine erschreckend naive Gleichgültigkeit, die jeden plumpen Erklärungsansatz seiner Morde im Keim erstickt. Seine Geliebte Inge ist eine kongeniale Traumtänzerin: An seiner Seite lebt auch sie in der psychotischen Phantasie. Isabella Mamatis ist seine herrschaftliche Schreckensgräfin, in ihrer distanzierten Kälte in einer anderen Wirklichkeit lebend. Im Verlauf des Abends aber wird der Autismus der Gewalt immer weniger erkennbar. Öderland Revolutionär in der Kanalisation, Öderland Terrorist, Öderland übernimmt die Macht. Das verkleinert ihn leider vom sinnlosen Phantasten zum machthungrigen Irren. Nun von dieser Welt, begeht er Selbstmord an der Figur Graf Öderland, die im öden Land des Konkreten nicht existieren kann. Uta von Armin

Weitere Vorstellungen: 8.,9. 10.5., 21 Uhr, Zan Pollo Theater

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