: Gedenktafel-Guerilla unterwegs
■ Das Aktive Museum Faschismus und Widerstand erneuert Gedenktafeln, die nach der Wende zerstört wurden / Spion Richard Sorge und unbekannte Nazi-Opfer
Ostteil.Vor anderthalb Jahren rissen Unbekannte eine Gedenktafel an der Rheinsberger Straße 31 ab, die dort vom Bezirk Mitte kurz nach Gründung der DDR angebracht worden war. Der Text, der die Gedenktafelschänder störte, lautete: „In diesem Haus wohnte der Antifaschist Wilhelm Schwarz. Am 24.4.1945 wurde er von Hitlerknechten ermordet. Vergeßt es nie!“ Später brachte eine westliche Versicherungsgesellschaft genau an der gleichen Stelle ihr Firmenemblem an. Wilhelm Schwarz schien vergessen, die neue Zeit hat andere Symbole. Auch in anderen Bezirken verschwanden Gedenktafeln, die in der DDR-Zeit an Antifaschisten erinnert hatten. Im Ostteil insgesamt 33 Tafeln.
Und diese Demontage könnte weitergehen, wenn es nicht, wie die amerikanische Zeitschrift Village Voice schrieb, die „Gedenktafel- Guerilla“ geben würde. Dahinter verbirgt sich das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin, dessen Mitarbeiter viele der 33 entfernten Tafeln wieder neu anbrachten oder Ersatztafeln am gleichen Ort aufhängten. Gestern, einen Tag vor dem 48. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Diktatur, schlug die „Guerilla“ wieder zu. Acht Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus in Mitte, Prenzlauer Berg, Pankow und Friedrichshain erhielten neue Tafeln mit neuem Text.
Zum Beispiel Wilhelm Schwarz. Die neue Inschrift, viel eindrucksvoller und befreit vom sozialistischen Pathos läßt ahnen, was 1945 im Bezirk Mitte wirklich passierte. Sie erzählt, daß Wilhelm Schwarz am 25. April auf Befehl des Ortsgruppenleiters der NSDAP am Baugerüst der Zionskirche erhängt wurde. Der parteilose und gehbehinderte Mann hatte zu Beginn der Kämpfe mit den sowjetischen Truppen die weiße Fahne aus dem Fenster gehängt und sie nicht, wie seine Nachbarn, während der kurzfristigen Rückeroberung des Gebiets durch deutsche Truppen wieder entfernt.
Einen neuen Text erhielt auch die Tafel für Richard Sorge in der gleichnamigen Straße in Friedrichshain. Das Orginal, auf dem nur die Lebensdaten (1895–1944) zu lesen war, hatten Unbekannte schon kurz nach der Wende gestohlen. Jetzt ist zu erfahren, daß Richard Sorge als Journalist in Tokio arbeitete und von dort aus den sowjetischen Nachrichtendienst mit Informationen versorgte. 1941 berichtete er über den bevorstehenden deutschen Überfall und darüber, daß Japan die Sowjetunion nicht angreifen werde. Dafür wurde er in dem mit Deutschland verbündeten Japan zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Auch an den Landarbeiter Fritz Schmenkel erinnert wieder ein Ort in Berlin. Die nach ihm benannte Straße vor dem „Kapitulationsmuseum“ in Karlhorst heißt schon längst wieder Rheinsteinstraße, die Tafel an seinem Geburtshaus in der Revaler Straße hatte im Herbst 1991 die Reichsbahn abmontieren lassen. Das Aktive Museum revidierte dies gestern. Jetzt hängt dort wieder die alte Inschrift, mit dem Hinweis, daß Schmenkel Kommunist und Patriot gewesen sei und am 22. April 1944 von Faschisten erschossen wurde.
Christine Fischer-Defoy, Vorstandsvorsitzende des Aktiven Museums, hofft, daß die Bevölkerung in Zukunft Zerstörungen verhindert. Von den im vergangenen Jahr erneuerten Tafeln sei nur eine einzige, die aber gleich dreimal hintereinander wieder zerschlagen worden. Es handelt sich dabei um die weiße Marmorplatte unter der S-Bahnbrücke am Bahnhof Friedrichstraße. Gestern wurde zum vierten Mal der Originaltext befestigt. Er lautet: „Kurz vor Beendigung des verbrecherischen Hitlerkrieges wurden hier zwei junge deutsche Soldaten von entmenschten SS-Banditen erhängt“. Im der vom Aktiven Museum herausgegebenen Broschüre „Gedenktafeln in Ostberlin“, ist mehr über die beiden Soldaten zu lesen. Die SS- Schergen hängten ihnen Schilder um: „Ich war zu feige, meine Frau und meine Kinder zu verteidigen“ stand auf dem einen und auf dem anderen „Ich war zu feige, meine Eltern zu verteidigen“. Zwei Wochen später mußte Keitel die Kapitulation unterzeichnen. Detaillierte Informationen über die jetzt von der „Gedenktafel-Guerilla“ wieder geehrten Menschen bietet die gestern vorgestellte Broschüre „Entfernt, Gestohlen, Zerstört“. Anita Kugler
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