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Wand und BodenHandwerker des Phantasmagorischen

■ Kunst in Berlin jetzt: Man Ray/Duchamp, Thomas Wörgötter, Gerhard Merz, Max Klinger

Man hätte meinen können, mit einem schrägen Vogel wie Marcel Duchamp hätte die Kunst die ideologische Last des beginnenden Jahrhunderts abwerfen können. Statt dessen ist er der tote Kronzeuge einer gnadenlosen Überfrachtung geworden, einer Dehnung des Kunstbegriffs bis an jene Grenze, wo er spröde wird – untauglich, einen Plan, eine Strategie, eine Handlung oder ein Produkt zu beschreiben. Sein später Erfolg scheint die unendliche Wiederholung sämtlicher Entdeckungen und Erfindungen, die ihm zugeschrieben werden, zu legitimieren.

Es war klug von ihm, sein Geburtsdatum so zu legen, daß ihm eine geläuterte, wendige Fotografie zur Seite stand, die Kapriolen seines grellen Nebenpfads zu dokumentieren. Man Ray war sich nicht zu schade, als Reprofotograf einzusteigen, um Duchamps kubistisches Lehrlingsstück („Akt...“) abzulichten. So beginnt, 1917, eine Kooperation, die zur rückwirkenden Legendenbildung mehr als tauglich ist. Duchamp beginnt mit dem Bau von Kisten und Schächtelchen, erfindet ein literarisches Alter ego (Rose oder Rrose Selavy), führt als Modell mit fünfzackiger Sterntonsur die Politik als Lifestyle vor und trägt als Schachspieler die Gleichgültigkeit seiner Berufung zur Schau. Alternativ dient die Travestie als Geste des Entkommens.

Die ganze Foto-Geschichte ist in Frankreich gesammelt und bewahrt worden, sie steht jetzt – 46, zum Teil winzige, Bilder sind es insgesamt – zum Verkauf. Angeblich nur komplett. Vier Stück hat man in die Ausstellung im Martin- Gropius-Bau gegeben, die restlichen Fotografien zeigt die Galerie Springer, die die verkäufliche Sammlung von der Galerie Kicken und Pauseback in Köln kurzfristig übernommen hat. Nun muß sich nur noch ein Museum finden, daß die Beleg-Reste jenes Künstlerlebens, das als einzigartig Exemplarisches zu Ruhm gekommen ist, für zwei Millionen Mark erwirbt.

Dem weithin bekannten Material unähnlich ist ein gräulich verwaschenes Querformat, das Marcel Duchamp über den Dächern von Paris zeigt, im Profil, ohne Pomade. Der Wind ist ihm in die Haare gefahren. Das ganze angestrengte Geaffe, mit dem er sich auf die Hinterbühne der Kunst dieses Jahrhunderts gehangelt hat, ist von ihm abgefallen. Er sieht sich zum Verwechseln ähnlich.

Fasanenstraße 13. Bis zum 8.6., Mo.-Fr. 10-19, Sa. 11-14 Uhr

Zwei demonstrativ sachlich fotografierte Nackte auf der Einladungskarte sind schon ein Grund, an einem drückend warmen Nachmittag nach Pankow zu rasen. Und tatsächlich, da sind sie, lebensgroß: die junge Frau und der junge Mann in dieser Biologiebuch-Haltung; und auf der Rückseite der an der Decke aufgehängten Cibachromes findet sich die Rückseite der Figuren. Leider in etwas unmotiviert veränderter Haltung. Soviel zum Fleischlichen.

Im zentralen Raum von Wewerkas grauer Villa zeigt Thomas Wörgötter Weinflaschen in grün, braun und durchsichtig, die er nach den Regeln der Glaskunst gekrümmt, gestaucht und gebogen hat; etliche auch zerschnitten, eine durchlöchert. Auf zwei weißen Borden – rechts und links vom Terassenfenster zum üppigen Garten hin – brav aufgestellt, wirken die Objekte leblos. Selbst das Humorpotential, das in einer deformierten Flasche steckt, bleibt unausgeschöpft. Natürlich hat das Zerschneiden einer Flasche in säuberlich kubische Formen auch etwas von „grammatischer Disziplin“, aber Wörgötters Interesse am Ganzen, für das die Flasche doch wohl exemplarisch steht, bleibt aufgesetzt. Bei Thomas Virnich, zum Beispiel, lernt man viel mehr über Volumen und Hülle, Stück und Gegenstück; bei Morandi mehr über Flaschen, nämlich: Gleichmut, aus dem Kraft fließt.

Auf dem Fensterbrett ein DIN- A-4-Blatt mit der Nachricht „Vermessenheit“, im Raum der Nackten die Nachricht „Maß“: der 1959 in Tirol zur Welt gekommene Künstler gibt sich rätselhaft, aber ein Rätsel aufzugeben gelingt ihm nicht.

Galerie Wewerka, Homeyerstr. 32, 1110 Berlin. Bis zum 29.4., Mo.-Fr. 14-18.30, Sa. 11-14 Uhr

Wenn es um Prätention geht, ist Gerhard Merz wohl unschlagbar. Seit Jahren sucht er die Museen und Kunstvereine heim, läßt Gehäuse mauern, Tafeln installieren, Texte in penetrant akkuraten Versalien auf die Wände bringen: „Ed io anche son architetto“, Tiefsinn aus der Bildungslache. Jetzt hat er seine Projekte aus 13 Städten nachskizziert. Etwa in Postergröße, mit hellem Holz gerahmt, sind die Memorabilia per Computer auf einen weißen Bildträger gebracht. Ihrer Monumentalität beraubt, werden die Texte lesbar, und auch die akkuraten architektonischen Schemata wollen „gelesen“ werden: unter der Homogenisierung der Formen verbirgt sich einerseits die Darstellung der vorgefundenen Architektur, andererseits zeigen sie ebenso den Eingriff des Künstlers. Der Größenwahn ist nicht mehr sichtbar.

„Archipittura“ – Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80. Bis zum 19.6., Di.-Fr.14-18.30, Sa. 11-14 Uhr

Fin de siècle: Max Klinger, der sich 1893 in Leipzig niederließ, ist so eine Gestalt, die die Widersprüche ihrer Zeit aufsaugt, treiben läßt, riesig werden – aber nicht lösen kann. Der Künstler als Handwerker des Phantasmagorischen, als Sachwalter antiken Ballasts, als Antipode des Jahrhunderts der industriellen Revolution. Hingerissen vom Profanen, einerseits: „Das unterbrochene Picknick im Grünen“, eine Tuschfeder- und Pinselzeichnung von 1883/84 zeigt die ganze Familie beim Pissen. Andererseits der Schwulst von nackten Gipfelstürmern, Elfen und Titanen, die glorreiche Antike heidnisch aufgemischt, wie aus dunklen Wohnzimmermöbeln gebrochen und mit Verzweiflung zum Leben erweckt. Unter den Erlösungsphantasien der fliegenden, sich reckenden und geraubten Körper lauern Gewalt und Vergewaltigung, oder andersherum.

Als Radierer und Kupferstecher hat sich Klinger in der Erinnerung gehalten, als verstiegener Träumer des „Gesamtkunstwerks“ ist er so gut wie vergessen. Der Verleger Georg Hirzel in Leipzig war ein Freund des gefühlsseeligen Künstlers mit dem gut sortierten Weinkeller und der treueste Sammler seiner Blätter. Die Erben haben die ganze Sammlung an die Villa Griesebach gegeben, wo sie am 4. Juni versteigert wird.

Es gibt schon einige recht bizarre Blätter, wie die Serie „Ein Handschuh“, ganz deutlich ein Vorläufer surrealistischer Tätigkeit. Mein Lieblingsdruck zeigt eine Fledermaus, die mit dem Handschuh aus einem Fenster flüchtet. Wenn ich nicht irre, greift eine Hand nach ihr.

Fasanenstraße 24. Bis zum 3.6., Mi.-Mo. 11-18 Uhr (Katalog)

Ulf Erdmann Ziegler

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