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■ StadtmitteBloße Appelle helfen niemandem

Seit in der Bundesrepublik eine beispiellose Welle des Rassismus um sich greift, stellen sich für Minderheiten neue Fragen zum Polizei-Bürger-Verhältnis.

1. Warum sind die deutschen Sicherheitsorgane nicht imstande, Orgien rechter Gewalt wie in Rostock oder Hoyerswerda, heimtückische Anschläge der örtlichen rechten Szene wie in Mölln oder Solingen oder die zahllosen Erscheinungen rassistischer Subkultur zu verhindern?

2. Wenn rassistisch motivierte Straftaten nur mit geringem Erfolg verhindert werden – kann man sich dann wenigstens auf gewissenhafte Strafverfolgung verlassen?

3. Was tun, wenn man sich auf diesem Boden nicht mehr sicher fühlen kann?

Über 6.000 fremdenfeindlich motivierte Straftaten im vergangenen Jahr, anhaltende rassistische Gewalt in diesem Jahr: diese ungebremste Entwicklung bereitet Minderheiten natürlich Sorge, auch wenn Berlin bei Gewalttaten je Einwohner statistisch im unteren Drittel der Länder- Rangliste steht. – Die sechs bekannt gewordenen Fälle, in denen Berliner Polizisten Nichtdeutsche mißhandelt haben sollen, sind Gift für die Glaubwürdigkeit der Polizei. Sie gesellen sich zu vielen nicht gemeldeten Erfahrungen, nach denen die Polizei als gleichgültig, parteiisch oder gar rassistisch erlebt wurde. Dabei wurde in den Gesprächen, die der TGB-Vorstand bisher mit der Polizei geführt hat, deutlich, daß die Anliegen von Minderheiten keineswegs auf taube Ohren stoßen. Doch Gespräche unter Funktionären allein ändern am Umgang miteinander im Notfall und im Alltag, auf der Straße oder auf der Wache nicht viel. Eine schonungslose Aufklärung der Vorwürfe und eine höhere Wachsamkeit gegenüber rechtsextremen Tendenzen tun not.

Die TGB möchte deutliche Zeichen, daß das Sicherheitsbedürfnis der Minderheiten ernst genommen wird: Größeren Objektschutz – gemeint sind sechs zusätzliche Moscheen – hat Innensenator Heckelmann der TGB bereits zugesagt.

Unter einer/m Ausländerbeauftragten der Polizei, den wir der Polizei vorgeschlagen haben, stellen wir uns jemand vor, der den Dialog der Minderheiten mit der Polizei aufbaut und in Gang hält. Für die Minderheiten sollte es ein Anhörungsrecht bei allen Fragen der Polizeiarbeit geben, die sie betreffen, und regelmäßige Folgetreffen, auf denen unter anderem über rassistische Vorfälle, die der Polizei gemeldet wurden, berichtet und diskutiert wird. Es freut uns, das Klaus-Dieter Reichert offiziell zum Koordinator der polizeilichen Angelegenheiten der ausländischen Mitbürger ernannt wurde. Wir hoffen, daß die Aufgaben des „Koordinators“ denen eines Ausländerbeauftragten möglichst nahe kommen und nicht mit der Suche nach „Scheinehen“, illegalem Aufenthalt und Abschiebung zusammenfallen.

Die Berliner Polizei sollte darüber aufklären, wie weit Notwehr und aktive Hilfe gegenüber Angegriffenen gehen können, wie Opfer, Zeugen und Nachbarn sich am besten verhalten und welche Hilfe von der Polizei zu erwarten ist. So zeigt die Polizei selbst Aufmerksamkeit da, wo sie nicht ständig präsent sein kann und ermuntert die Bürger, Straftaten vorzubeugen oder zu ihrer Aufklärung beizutragen.

Im Bundesgebiet wurden allerdings schon gute Erfahrungen mit Aufklärungsaktionen wie dieser gemacht. Auch regelmäßige Statistiken über die rassistischen Vorfälle, von denen die Polizei Kenntnis erhalten hat, führten dort nicht zu einer Verschlechterung des Klimas zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, sondern, wie beabsichtigt, zu mehr Transparenz.

Indem Berlin auch Nichtdeutsche für den Polizeidienst ausbildet, ist ein guter Anfang gemacht für eine Polizei, die der Bevölkerung dieser Stadt entspricht. Minderheiten sind zwar noch immer stark unterrepräsentiert. Doch die TGB ist zuversichtlich, daß es hier bald größere Fortschritte gibt.

Durch praktische Schritte wie diese kann Vertrauen zwischen Bürgern und Sicherheitskräften wachsen. Bloße Appelle jedoch, trotz der rassistischen Gewalt die Ruhe zu bewahren, helfen niemandem über Furcht und Zorn hinweg. Mustafa Turgut Cakmakoglu

Der Autor ist Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin.

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