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Das Ende der „orientalischen“ Differenz

■ Japans Wandel handelt von der Überbrückung kultureller Gegensätze

Ob der Mann, der den Japanern einst die Demokratie beibrachte, sich heute über den spannendsten Wahlsonntag seit dem Ende der amerikanischen Besatzungszeit freuen könnte? General Douglas Mac Arthur, Sieger des Pazifikkrieges und sechs Jahre Oberkommandant über Japan, rühmte sich Zeit seines Lebens für seine Kenntnisse des, wie er es nannte, „orientalischen Wesens“. Damals entwickelte Mac Arthur die außergewöhnliche Begabung, die Japaner selbst für bescheidene demokratische Fortschritte mit Lobeshymnen zu überschütten, freilich nur so lange, bis 1947 ein Generalstreik drohte, den der General mit Gewalt zerschlug.

Vor der japanischen Linken bräuchte sich Mac Arthur heute nicht mehr zu fürchten. Eher schon müßte sich der Asien-Kenner in Uniform um den Erhalt des orientalischen Wesens sorgen. Denn was ist an Japan derzeit noch original bis auf den Fujiyama? Wo ist Nippons Wesen, außer im Pragmatismus, erhalten geblieben?

In der Nachkriegszeit bedingten sich in Japan der Erhalt der Tradition und der neue amerikanische Einfluß gegenseitig. Wer Jeans und Minirock auf der Party trug, wählte den Kimono zur Hochzeit. Wer den einen Tag einen Hamburger aß, ging am nächsten in die Sushi-Bar. Noch wußten die Japaner, was ihres und was fremd für sie war. „Was wir in der Betrachtung des Orients anstreben können, sind keine andere Weisheiten, sondern die Möglichkeit einer Differenz“, beobachtete der französische Soziologe Roland Barthes noch im Jahr 1970. Tatsächlich lebte kein anderes Land diese Differenz mehr als Japan.

Doch die Dialektik reizt zur Synthese: In den siebziger Jahren schafften die japanischen Modemacher als erste diesen Schritt. Yohji Yamamoto und Issey Miyake entwarfen Köstüme einer japanischen Ästhetik, die so tollkühn waren, daß sie zuerst nur die Pariser Schickeria entzückten. Doch der Weg war gefunden: In den achtziger Jahren lieferte Mazda das individualistischste Autodesign. Vor allem die müden Europäer waren begeistert.

Ebenso verhält es sich mit der japanischen Demokratie: Sie ist nicht mehr das Gegenstück zum Kaisersystem, wie Mac Arthur sie erfand; sie ist samt dem Sturz der LDP-Diktatur Teil der japanischen Normalisierung. Das Modell Japan aber hat damit nicht ausgedient. Im Gegenteil: Je weniger sich die japanischen Wirtschaftserfolge „orientalisieren“ lassen, desto erdrückender werden sie für uns. Georg Blume

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