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„Es gibt keine Bia-Lessa-Ästhetik“

■ Sommertheater: Ein Gespräch mit der Regisseurin von „Viagem Ao Centro Da Terra“

Bia Lessa (36), die heute Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde beim Sommertheater zeigen wird, ist eine der wichtigsten Regisseurinnen in Lateinamerika. Die Brasilianerin, eine quirlige, kleine Person unter ständigem Starkstrom und mit Schalk im Nacken, hätte eigentlich schon zum letzten Festival Movimientos '92 mit ihrer Orlando-Adaption kommen sollen. Doch weil es auf Kampnagel keine Oberbühnen gibt, konnte das dreistündige Herabrieseln von Laub, das zur Produktion gehört, hier nicht realisiert werden.

Mit ihrer in Rio de Janeiro beheimateten Company BLLS hat sie zuerst lateinamerikanische, zuletzt verstärkt europäische Autoren auf die Bühne ihres eigenen, unsubventionierten Theaters gebracht. Diverse Tourneen in Amerika und Europa haben sie auch einem internationalen Publikum bekannt gemacht. Eine ihrer nächsten Arbeiten ist ein Film über Kafka.

Über Die Reise zum Mittelpunkt der Erde sagt sie: „Ich entschied mich, Jules Verne zu machen, als wir mit Orlando in Brasilien auf Tour waren. Für mich war die Ausgangsidee, den Mann Orlando in den Planeten hineinzuversetzen. So stieß ich auf Jules Verne. Mich faszinierte die von ihm beschriebene innere Notwendigkeit von Männern, Wissen zu finden. Es ist derselbe Impuls, der ein Kind zum Eisstand und den Mann auf den Mond bringt. Die mehrteilige Version dieser Sehnsucht, das interessierte mich. Außerdem gefällt mir diese naive, kindliche Weltsicht, diese Suche nach Unendlichkeit.“

Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst ist ein starkes Glied in Bia Lessas Arbeit. Zwei Jahre lang beteiligte sie sich an einem Salon aus Wissenschaftlern und Künstlern, der sich mit der Quantenphysik und der universellen Erklärungsmomente in dieser Theorie beschäftigte. Heute sagt sie, daß diese Entdeckung ihr Denken radikal geändert hat: „Wichtig für mich war, daß diese Art zu Denken eine andere Art der Arbeit möglich macht. Die Physik zeigt einem, daß man alles von der Ebene der Abstraktion und des beweglichen Beobachterstandpunktes betrachten muß. So habe ich gelernt, daß ich keinen Schauspieler lehren kann, wie er eine Szene zu spielen hat. Ich muß mit dem Material umgehen, daß er mir anbietet, und das kann viel interessanter sein.“

In sehr intensiven, täglichen Arbeitsphasen von acht Stunden entwickelt Bia Lessa mit ihren Schauspielern für jedes Stücke eine neue Struktur, so daß sie auf die Frage nach einem durchgängigen Thema oder Stil sagt: „Meine Stücke sind alle sehr unterschiedlich, denn ich fühle geradezu die Notwendigkeit, kein Überthema zu haben. Es gibt nur den Weg, wie ich mein Theater entwickle, aber keine Bia-Lessa-Ästhetik.“ Ihre Methode ist untergliedert in drei Phasen: Intuition, Analyse und Präzisierung. Im ersten Schritt versucht sie ihre Schauspieler mit scheinbar fremden Rollen von ihrer ursprünglichen Absicht weitestgehend abzulenken, um in diesem Material zu „fischen“. In der zweiten Phase wird teilweise tagelang nur diskutiert . Schließlich folgt die „Bildhauerarbeit“ des Polierens. Wobei sie ausdrücklich bemerkt, daß „die Persönlichkeit jedes einzelnen Schauspielers die fundamentale Rolle in jedem meiner Stücke spielt“.

Gleichzeitig ist ihre Arbeit von einer stark leidenschaftlichen Note geprägt. „Ich brauche auf der Bühne immer sehr konträre Elemente, das führt zu Lebendigkeit. Ich bin die schöpferische Beobachterin, nicht diejenige, die alles vorher im Kopf hat und es dann so ausführen läßt.“ Diese Haltung prägt auch ihre Sicht des Welttheaters: „Heutzutage Theater zu machen, ist weit schwieriger als früher, weil alles derartig in Bewegung ist, daß man eigentlich für jedes neue Stück eine neue Ästhetik bräuchte. Die Zeiten, wo man sich damit beschäftigen konnte, Technik und Ästhetik über Jahre perfekt auszufeilen, sind vorbei.“

Auch ihre Stellung zu politischer Theatersprache ist distanziert: „Ich bringe keine politische Haltung auf die Bühne, aber ich bin mir gewahr, daß jedes meiner Stück Teil einer allgemeinen politschen Bewegung ist. Schon Theaterspielen ist in einem Land, das keine Unterstützung für Kultur kennt, ein politischer Akt.“ Till Briegleb

Heute und morgen, Halle 6, 20.30 Uhr - Es gibt noch Karten !

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